Illustration: Jannik Stegen

Ich hab‘ da so ein Kopfding, mehr so eine Herzenssache, also eher so ein Bauchgefühl. Ich muss aufpassen, dass es mir nicht auf die Füße fällt. Ihr kennt doch bestimmt diese Frage: Welcher Wolf gewinnt? Der weiße oder der schwarze? Antwort: Der, den ihr füttert.

Ich habe nicht nur einen Wolf in mir. Es sind ganze Rudel. Lange habe ich die schwarzen Wölfe ignoriert. Also so getan, als wären sie nicht da. Aber wenn du die schwarzen Wölfe ignorierst oder sogar verdrängst, dann gehen sie in den Untergrund. Sie formen Terrorgruppen und verüben Anschläge auf dein Gehirn.

Darum gönne ich mir täglich zwei Stunden „GTA V“. Ich ziehe mir ein Kleid an, setze mir eine Eishockeymaske auf und ersteche hinterrücks Cracknutten. Oder überfahre mit meinem Muscle Car Wen-auch-immer auf der Strandpromenade. Wichtig ist nur, dass man die weißen Wölfe mehr füttert als die schwarzen. Damit man eben nicht Amok läuft. Ich bin nett, höflich und freundlich. Und siehe da: Die Übermacht ist gut.

Dass ich nett, höflich und freundlich bin – das war nicht immer so. Im Frühjahr 22 hatte ich die Verdachtsdiagnose Blasenkrebs. Ich suchte schon einen Platz im Hospiz raus, so down war ich. Aber irgendwann stellte ich mir die Frage, ob ich irgendwas versäumt hätte in meinem Leben. Und die Antwort war ein klares Nein, gefolgt von der Einsicht, dass ich mich und mein Leben liebe. So kam ich zu den Wölfen und wurde optimistischer.

Es war also nicht alles schlecht in den vergangenen Jahren. Natürlich hatte ich keinen Blasenkrebs, was meine Hypochondrie besiegt hat. Ich habe einfach beschlossen, mich nie mehr so in Sorgen hineinzusteigern. Mein Mantra war: „Ich verlasse diese Geisterbahn.“ All das hat geholfen. Und ich war krasser Hypochonder.

Mein geliebter Hausarzt Dr. Braun fragte mich mal: „Wollen Sie wissen, wie oft Sie diesen Monat hier waren?“ Und antwortete selbst: „Sie gehören zum Inventar. Das nächste Mal können Sie einen Kuchen mitbringen.“ Und ich hatte nicht nur einen Hausarzt. Ich hatte drei. Wegen Zweit- und Drittmeinung. Ich habe mich auch mal geweigert, meine Hautarztpraxis zu verlassen, ehe nicht der verdächtige Leberfleck entfernt wurde. Also schnitten sie das Ding weg, und es stellte sich als völlig gesunder Nävus heraus.

All das habe ich jetzt hinter mir – und das Leben ist insgesamt entspannter. Vielleicht überfahre ich später noch ein paar Rehe, Radfahrer oder Polizisten bei „GTA V“. Oder ich schaue den Cronenberg-Film auf Youtube weiter. Aber auf jeden Fall schreibe ich an meiner neuen Kurzgeschichte weiter, den ersten Satz habe ich schon:

„Sein dampfender Atem wurde begleitet von kurzem Grunzen, und mit gelben Augen starrte er auf mich herab.“

Und ihr dürft jetzt raten, welchen Wolf ich damit füttere.