Illustration: Hans-Jörg Brehm

„Auch in dieser Woche stehen wieder spannende Termine in meinem Kalender. Besonders freue ich mich auf die Seniorensitzung beim KCA, das macht jedes Jahr richtig Spaß“, schrieb Michael Siebel, SPD-Kandidat für das Oberbürgermeisteramt, am 06.02.2017 auf Facebook. Das Zitat soll an dieser Stelle Symbol sein: Die Oberbürgermeisterwahl ist so spannend wie die Seniorensitzung beim Karnevalsclub. Die Darmstädter haben Jochen Partsch vor sechs Jahren mit überwältigender Mehrheit (69 Prozent nach Stichwahl) gewählt und es sieht derzeit nicht so aus, als ob seine Bestätigung für ein zweite Amtszeit knapp ausfallen sollte. Allerdings kann auch eine Seniorensitzung ein paar gute Lacher bieten. Und so zeigt auch dieser Wahlkampf Bemerkenswertes.

Denn die CDU tritt erst gar nicht mit einem eigenen Kandidaten an. Für die letzte Volkspartei der Republik ist das in einer nicht unbedeutenden Stadt wie Darmstadt ungewöhnlich. Aber die Schwarzen scheinen zufrieden, Juniorpartner der Grünen im Stadtparlament zu sein, und möchten wohl in der Koalition kein Porzellan zerdeppern. Immerhin ist der mutmaßliche Doch-Nicht-Kandidat Rafael Reißer nicht nur Magistratsmitglied, sondern als Bürgermeister auch Stellvertreter von Oberbürgermeister Partsch – eine Rolle, in die sich nach einem ernsthaften (und verlorenen) Wahlkampf nicht einfach zurückkehren ließe.

Wie aussichtslos der Kampf Reißer gegen Partsch wäre, zeigte die vergangene Oberbürgermeisterwahl: Damals schaffte es Reißer nicht mal in die Stichwahl – und so profillos wie der Rest der Darmstädter CDU blieb von seinen Wahlkampfthemen eigentlich nur die Forderung nach einer Wasserrutsche im Nordbad in Erinnerung. Die ist übrigens bis heute nicht gebaut und auch im Sanierungsplan für 2020 nicht vorgesehen, obwohl das Nordbad in das Verwaltungsressort fällt, das Reißer seit 2011 leitet.

Rafael Reißer ist übrigens Sohn des für seine in den 1970er Jahren gescheiterten Stadtautobahn-Pläne bekannten Stadtrats Herbert „Abreißer“ Reißer (siehe vergangene Kolumne). Als der Sohn im Sommer die obersten Amtsgeschäfte leiten durfte (Partsch weilte dienstlich in den USA) richtete er erheblichen Schaden an. Sein für sich schon fragwürdiges Innenstadtverbot für Eintracht-Fans vorm Derby gegen die Lilien war vom Gericht umgehend kassiert worden. Reißers Sturheit verursachte innerhalb weniger Stunden weitere Gerichtskosten von rund 165.000 Euro. Partsch ließ die Rücktrittsforderungen der Opposition verklingen, indem er Reißer erst öffentlich tadelte und dann seine schützende Hand über ihn hielt. Hierarchie und Kompetenz hat Partsch damit erst mal klargestellt.

Für die CDU scheint es also mit einer Kandidatur nichts zu gewinnen zu geben. Daher unterstützt sie ganz offiziell Partsch. Die SPD hingegen hat nichts mehr zu verlieren. Sie hat in den vergangenen Jahren bereits alles verloren: Das Oberbürgermeisteramt, die Führung im Parlament und die Regierungsbeteiligung. Allerdings kann man ihren Kandidaten Michael Siebel nun auch nicht als ernsthaften Versuch werten, Partsch wieder vom Thron zu stoßen. Noch nicht mal die eigene Partei steht geschlossen hinter ihm, bei seiner Nominierung kassierte Siebel 14 Gegenstimmen. Dass die Partei dazu am 11.11. tagte, dürfte Karnevalsliebhaber Siebel auch nicht getröstet haben.

Dabei spiegelt das Zitat über die Seniorensitzung auch die allgemein schwierige Lage der SPD. Genauso wie die CDU werden die Sozen in den Großstädten eigentlich nur noch in den Altersheimen gewählt. Natürlich wird die SPD hoffen, dass das CDU-Klientel nicht geschlossen dem Aufruf ihrer Stammpartei folgt, den Grünen Jochen Partsch zu wählen. Allerdings dürfte es gerade für Siebel schwierig sein, beim konservativen Klientel zu punkten. Schließlich macht der seit 18 Jahren Oppositionsarbeit gegen die CDU-Regierung im hessischen Landtag und war 2008 mitverantwortlich für die Abschaffung der Studiengebühren.

Zum Amtsinhaber. Die größte Kritik an seiner bisherigen Arbeit dürfte sich im Stau bei vielen Bauvorhaben finden lassen. Und auch der letzte Darmstädter dürfte mittlerweile begriffen haben, dass Partsch niemals die Absicht hatte, ein neues Stadion für den SV Darmstadt 98 zu bauen. Doch dürfte das die Heiner vielleicht gar nicht stören. Schließlich wollen die meisten Lilienfans ihr Bölle behalten, und traditionell findet sich in der Bürgerschaft seit jeher eine gefühlte Mehrheit gegen so gut wie jedes Bauprojekt. Für diese Anti-Baukultur stehen Partsch und seine Grünen par excellence. Schließlich verhalf ihnen nicht zuletzt ihre Position gegen den Bau der Nordostumgehung an die Machtspitze. Und als der Oberbürgermeister nach dem überraschenden Weggang von Baudezernentin Cornelia Zuschke selbst für einige Monate das Baudezernat leitete, sagte Partsch längst durchgeplante Projekte wie die Neuordnung der Karlstraße ab – sehr zur Freude der Anwohner, denen so erhebliche Anliegergebühren erspart bleiben.

Für Überraschungen bei der Oberbürgermeisterwahl könnten indes zwei Kandidaten sorgen. Da mit einer Stichwahl zu rechnen ist, könnte mancher links-eingestellte oder nicht hundert-prozentig zufriedene Grünen-Wähler im ersten Wahlgang verleitet sein, seine Stimme Kerstin Lau von Uffbasse zu schenken. Und dann hat auch die AfD einen Kandidaten aufgestellt. Der könnte die Wähler einsammeln, die die CDU bei dieser Wahl nicht auf ihrem Stimmzettel finden. Wer also die AfD in seiner Heimatstadt nicht feiern sehen möchte, sollte wählen gehen – egal wie langweilig ihm die Oberbürgermeisterwahl auf den ersten Blick erscheinen mag.

 

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Neue Lokalpolitik-Kolumne im P

Sebastian Weissgerber hat bis 2009 für die Frankfurter Rundschau aus dem Darmstädter Stadtparlament berichtet. Im P schreibt er seit Februar 2017 als „Vierte Säule“ über die hiesige Politik.