Foto: Stadtarchiv der Wissenschaftsstadt Darmstadt

Vor 70 Jahren starb der Darmstädter Dichter Karl Wolfskehl im neuseeländischen Exil. Er war ein Weggefährte des Lyrikers Stefan George, Liebling der Münchener Bohème und Intellektueller der Weimarer Republik. Doch Karl Wolfskehl wurde als Jude verstoßen und geriet nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend in Vergessenheit. Das P möchte an ihn erinnern.

„Ich habe nämlich die Heimat verloren. Weißt Du, was das heißt für einen Dichter?“, schrieb Wolfskehl 1947 aus Auckland in Neuseeland an den deutschen Grafiker Emil Preetorius. Der Schmerz über die Vertreibung aus seiner Heimat und aus seiner Sprache saßen tief bei ihm. Denn er verstand sich selbst als „jüdisch, römisch, deutsch zugleich“. Diese unterschiedlichen Identitäten waren für ihn nie exklusiv, sondern ergänzten sich und formten ihn.

Ein echter Heiner

Karl Wolfskehl kam am 17. September 1869 als Sohn von Otto und Paula Wolfskehl in Darmstadt zur Welt. Sein Vater war ein wohlhabender Bankier, Mitglied des hessischen Landtags und der Darmstädter Stadtverordnetenversammlung sowie Mitbegründer des Bauvereins. Karl besuchte später das Ludwig-Georgs-Gymnasium und verließ seine Heimatstadt 1887, um in Gießen Germanistik zu studieren. Das Geld des Vaters erlaubte ihm ein unbeschwertes Leben.

In Darmstadt erinnert heute nicht mehr viel an die Familie Wolfskehl. Es gibt eine Wolfskehlstraße an der Rosenhöhe, zwei Gebäude der TU sind nach Vater und Sohn benannt. Dass im schönen Wolfskehl‘schen Park (Ecke Klappacher Straße/Karlstraße) bis 1945 die Familienvilla stand, wissen die Wenigsten. Erst seit vier Jahren informiert dort eine Schautafel darüber. Dabei hatte Karl Wolfskehl selbst viel für die Darmstädter und ihre Art übrig. In dem Aufsatz „Darmstädter Nationalgesichter“ von 1925 beschäftigte er sich mit dem Datterich und attestierte den Heinern anerkennend „ein Stück innerlichen Outsidertums“.

Dichter und Bohemien

Es war die Entdeckung der Dichtkunst von Stefan George, die Wolfskehl 1892 eine neue Welt eröffnete und ihn zu dessen lebenslangem Verehrer machten. Seine frühen Gedichte waren noch stark von der Lyrik „des Meisters“, wie er George ehrfürchtig nannte, orientiert. Im Vordergrund standen ästhetische Ideale, doch bald tauchten bei Wolfskehl auch jüdische Motive auf.

Ende 1898 heiratete er in Darmstadt Johanna de Haan, mit der er zwei Töchter hatte, und übersiedelte nach München. Ihre Wohnung wurde dort zum Anziehungspunkt der Schwabinger Bohème und Wolfskehl als „Zeus von Schwabing“ bekannt. Dies waren die produktivsten und unbeschwertesten Jahre in Wolfskehls Leben. Zusammen mit George gab er die Literaturzeitschrift „Blätter für die Kunst“ heraus und veröffentlichte darin auch seine Gedichte.

Der Erste Weltkrieg machte dem ein Ende. Nach Kriegsende verlor er durch die Inflation den Großteil seines Vermögens. Die Familie musste die Wohnung in München aufgeben und zog auf ein Landgut im badischen Kiechlinsbergen, das sie noch vor dem Krieg erworben hatte. Wolfskehl wurde freier Mitarbeiter größerer Zeitungen, übersetzte, gab zahlreiche Bücher heraus, seine dichterische Stimme aber verstummte darüber fast vollkommen. Erst 1927 erschien mit dem Band „Der Umkreis“ wieder Lyrisches. Seine Aufsatzsammlung „Bild und Gesetz“ aus dem Jahr 1930 wurde sogar von Thomas Mann gelobt.

Der Weg ins Exil

Aber die Katastrophe zeichnete sich da schon ab. Im Juni 1932 schrieb er an Stefan George: „Meister, in grosser Ungewissheit schreib ich Ihnen tief bedrängt von dem was jetzt sich vollzieht, was mich den Juden bedroht […].“ Am 28. Februar 1933, dem Tag nach dem Reichstagsbrand, verließ der 63-jährige Wolfskehl Deutschland. Zunächst ging er ohne Familie in die Schweiz, dann zog er weiter nach Italien und schließlich ab 1938 nach Neuseeland – ans andere Ende der Welt, möglichst weit weg vom regierenden Ungeist.

Das Exil wurde für ihn noch einmal zu einer produktiven Zeit. Es entstehen unter anderem der wichtige Gedichtzyklus „Die Stimme spricht“, in dem der Bezug zum Judentum prominent hervortritt, der Mittelmeer-Zyklus und sein Hiob-Zyklus. Deutschland ist jetzt nicht mehr nur geografisch weit entfernt, auch Wolfskehl sagt sich los. Sein im Exil fertiggestelltes Gedicht „Der Abgesang“, das sich an Deutschland richtet, beginnt mit den Worten: „Dein Weg ist nicht mehr der meine […]“.

Nach dem Krieg korrespondierte er wieder mit Bekannten aus Deutschland, die während der Nazi-Zeit lieber keinen Kontakt zu dem Juden Wolfskehl haben wollten. Doch die Briefe, wie der von der Darmstädterin Marie Buchhold, ernüchtern und schmerzen ihn. Buchhold klagte ihm nur ihr Leid und das ihrer Familie. „Mit keinem Wort erkundest Du, wie ich lebe, was ich beginne“, antwortet er ihr enttäuscht. Sein fünf Jahre jüngerer Bruder Eduard Wolfskehl, der in Darmstadt geblieben war, wurde 1943 im Arbeitslager Frankfurt-Heddernheim ermordet.

Karl Wolfskehl stirbt am 30. Juni 1948 im Alter von 78 Jahren im Exil; nicht alleine, aber doch einsam, mehr als 18.000 Kilometer entfernt von seiner Heimatstadt Darmstadt. In seinen Grabstein ließ er als Mahnung die lateinischen Worte „Exul Poeta“ eingravieren: verbannter Dichter.

 

Wolfskehl-Biografie

Eine gute Einführung bietet die kurze Biografie (80 Seiten) von Sabine Neubert „Karl Wolfskehl – Vom Bohemien zum Dichter des Exils“ (Hentrich & Hentrich Verlag) für 8,90 €.

www.darmstaedter-geschichtswerkstatt.de