Illustration: Hans-Jörg Brehm

 

Der Winter war nicht länger als sonst, aber definitiv härter. Homeschooling, Existenzängste, Zottelfrisur und man hat Jens Spahn so oft im Fernsehen den Durchbruch verkünden hören, dass man es fast selbst geglaubt hat. Am Ende gleicht der zwar eher einem Blinddarmdurchbruch, aber ändern kann man es eh nicht, nur aushalten. Mal stiller, mal lauter, oft wütend und meist fassungslos. Das alles fällt in die dunkelste Zeit des Jahres, den südhessischen Pisswinter. Mittelkalt, grau und nass.

Spazieren nervt so richtig, es macht keinen Spaß mehr. Wehrhafte Kinder werden bei Eisregen in ihren Filzanzügen auf den Spielplatz geschleift, damit sie wenigstens ein bisschen frische Luft haben. Mit dem Kaffee to go in den klammen Fingern hat man sich schon zum dritten Mal die Woche den guten Mantel vollgeschlabbert und überall blickt man doch nur in traurige und ausdruckslose Augen über FFP2-Masken. Aber damit ist nun Schluss, seit Mitte Februar geht ein Ruck durch unser wunderbares Darmstadt. Der Frühling ist da, hurra!

Der Klimawandel kommt uns in diesem Jahr sehr gelegen, Temperaturen um die 20 Grad im tiefsten Winter zaubern den pandemiegeplagten Heinern ein mildes Lächeln auf die fahlen Gesichter. Alle strömen sie hinaus, wirklich ausnahmslos alle. Die Zustände am Oberwaldhaus am ersten Sonnenwochenende gleichen einem Festival (sofern man sich an solche Veranstaltungen noch vage erinnern kann). Wie Lemminge drücken sich Kinderwägen, Fahrräder und Fußgänger um den ansonsten beschaulichen Tümpel. Beim dort heimischen Wassergefieder kann man Anzeichen von Stress wahrnehmen, so viele Leute auf einmal haben die seit September nicht mehr gesehen.

Doch auch in der Stadt selbst sind alle Zeichen auf Frühling gestellt: Im Bürgerpark wird trainiert, als gäbe es dieses Jahr sportliche Großveranstaltungen. Alle Tennis- und Basketbälle Darmstadts befinden sich gleichzeitig in der Luft, es ist ein eindrucksvolles Schauspiel. Wer kann und will, trainiert oberkörperfrei, man muss den Frühling feiern, wie er fällt. Und wenn es halt Mitte Februar ist. Wo man eine Woche vorher noch mit Schlittschuhen über den Ententeich im Herrngarten geschlittert ist, kann man nun auf den Bänken in der Sonne fläzen, sofern man früh genug da war, um einen Platz zu ergattern. Auch die ersten Picknickdecken werden auf der Wiese aufgeschlagen, richtig harte Sonnenanbeter:innen tragen bereits die aktuelle Bademode 2021 zur Schau. „Hach, wie schee!“, murmelt es kollektiv durch Heinertown.

Natürlich weiß man, dass „das jetzt eigentlich auch nicht so gut ist, dass so viele Menschen auf einem Haufen sind“. Aber das gilt immer nur für die anderen, die sich auf dem Gehweg an einem vorbeidrücken. „Ob das zwei Haushalte sind??“, fragt man sich hinter vorgehaltener Alltagsmaske, wenn eine besonders große Gruppe an einem vorbeimarschiert. Sei’s drum, man gönnt sich derzeit ja sonst nichts, dann doch wenigstens allen ein bisschen was vom Wetter.

Aber nicht jede:r kann die Sonne für Freizeitaktivitäten nutzen: In den Küchen aller Eisdielen dieser Stadt wird hastig das erste Eis zusammengerührt, die Theken poliert und los geht’s: Großkampftag an der Spaghettieis-Front. Am Riegerplatz gibt es heuer Bilder wie bei den Corona-Teststationen vor Weihnachten: meterlange Schlangen bis um die nächste Straßenecke, verzweifeltes Kinderweinen, wenn die favorisierte Sorte ausverkauft ist, nachdem man 90 Minuten angestanden hat.

An den Abenden dieser ersten sonnigen Tage ist es wirklich bei allen angekommen: Es geht wieder aufwärts. Im Sonnenuntergangslicht kann man den Frühling riechen und, wenn man ganz leise ist, sogar hören: Überall brutzelt und zischt es. Wer das Glück einer Wohnung mit Balkon hat, grillt an. Bei Maiskolben, Grillkäse oder Steak kann man die Pandemie in unserer südhessischen Oase der Sonne kurz vergessen.

Und wenn eine Beobachtung wirklich Hoffnung für den Sommer gibt, dann diese: Man sieht mehr bleiche Knöchel im Februar unter hochgekrempelten Hosen als Nasen über den Masken hervorlugen. Das macht Mut für den Endspurt der Pandemie: Auf geht’s, des schaffe mer!

 

Du bist fies? Ich bin Fiesa!

Ich bin Isa, 33, spiele Roller Derby und mag Tierbabys aller Art. Ich wohne seit 2007 in Darmstadt, wollte nur kurz zum Studium bleiben … das hat ja hervorragend geklappt. Darmstadt war Liebe auf den zweiten Blick und ist Zuhause geworden. Die Schrullen und Besonderheiten der Stadt bringen mich zum Lachen, daran wollte ich Euch teilhaben lassen. Da ich keine echte Heinerin bin, ist das natürlich nie ganz ernst zu nehmen und mit einem Augenzwinkern zu verstehen.