Foto: Stefan Holtzem, holtzem.com

In der neuen Saison wartet der SV Darmstadt 98 mit einer schönen Neuerung auf: Die Lilien schicken eine aus Fans bestehende Mannschaft in den Spielbetrieb. Ihr Zuhause ist die Kreisliga D. Während sie also sonst – wenn nicht gerade Corona ist – am Bölle auf der Tribüne stehen, werden sie ab September wie die Profis die Lilie auf der Brust tragen.

Sechs Jahre ist es her, dass der SVD seine zweite Mannschaft abgemeldet hat. Seinerzeit spielte das auch als U23-Mannschaft bekannte Team in der Verbandsliga Süd, 6. Liga. Die Mannschaft ereilte just dann das Aus, als die Profis gerade in die 2. Bundesliga aufgestiegen waren. Die Verantwortlichen wollten den Fokus vom U23-Team auf das Nachwuchsleistungszentrum verlagern. Für den Moment scheint die Neuausrichtung aufgegangen zu sein: In der kommenden Saison spielen mit der U17 und der U19 die beiden ältesten Jahrgänge in ihren jeweiligen Bundesligen.

Stadtderbys satt

Ganz unten einsteigen wird der aktuelle SV Darmstadt 98 II: in der Kreisliga D, 12. Liga. Die Kontrahenten heißen beispielsweise Blau-Gelb Darmstadt II, SV Hellas II oder auch die SG Eiche und der FC Frontal. Der Auftakt steigt am 6. September um 13 Uhr bei Türk Gücu II; der Klub trägt seine Heimspiele in Erzhausen aus. Auch die Fan-Elf der Lilien findet auf einem fremden Platz Unterschlupf: Da das Bölle und dessen Trainingsplätze den Profis vorbehalten bleiben, und auch das NLZ mit seinen zahlreichen Nachwuchsteams ausgelastet ist, hat die zweite Elf ihr Zuhause bei der Germania in Pfungstadt gefunden.

Dauerkarten für Heimspiele (vorerst) vergriffen

Wer nun Bock hat, seine Gleichgesinnten beim Kicken zu supporten, der hätte vorsorgen müssen. Aufgrund der Corona-Bestimmungen sind in Hessen derzeit nur 250 Personen bei Veranstaltungen zugelassen (Stand: Anfang August). Abzüglich der beiden Mannschaften, der Ehrenamtler, Schiedsrichter und dem ein oder anderen Gästefan sind letztlich nur 130 heimische Zuschauer erlaubt. Normalerweise völlig ausreichend für die Kreisliga D. Bei der Fanmannschaft liegt die Sache anders. Umso mehr, weil die Lilien-Fans coronabedingt die Profis wohl (noch) eine Weile nicht im Stadion unterstützen können. Warum also nicht back to the roots und die neue Elf auf den städtischen Sportplätzen anfeuern? Letztlich entschied der Spielausschuss des Teams, auf Dauerkarten zu setzen, um das Zuschaueraufkommen in geordnete Bahnen zu lenken. Und sie waren im Nu vergriffen. Wie sich das Ganze bei Auswärtsspielen darstellt, war Anfang August noch nicht geklärt. Hier lohnt es also, sich bei Interesse an einem Spielbesuch kurzfristig schlau zu machen.

Zweistufiger Auswahlprozess

Da wäre es eventuell leichter gewesen, als Spieler ins Team zu rutschen?! Womöglich. Obwohl auch hier das Interesse riesig war. Kaum hatten die Lilien im Januar einen Fragebogen ins Netz gestellt, über den man seine Motivation am Mitspielen darlegen sollte, da lag auch schon eine dreistellige Anzahl an Bewerbungen vor. Wichtig war es den 98ern um den Fanbeauftragten Alex Lehné, dass der Name Fanmannschaft mit Leben gefüllt wird. Nach einer Vorauswahl erfolgte der endgültige Auswahlprozess in zwei Schritten. Zum einen mussten die künftigen Lilien-Kicker noch einmal im persönlichen Gespräch darlegen, dass sie den SVD nicht nur vom Live-Ticker kennen, sondern schon auch regelmäßig im Stadion unterstützen. Zum anderen mussten sie in Probetrainings nachweisen, dass sie mit dem Ball umgehen können.

Ein bunter Mix: Von 17 bis 46

Letztlich zogen 25 Jungs das große Los. Fast alle sind Dauerkarten-Inhaber, die in sämtlichen Stadionbereichen am Bölle zu Hause sind. Es gibt sogar Teammitglieder, die früher schon als Junglilie in der ein oder anderen U-Mannschaft am Start waren. Ansonsten ist es ein bunter Mix aus Spielern. Einige haben in der letzten Saison noch in anderen Klubs gespielt. Andere waren dahingegen schon länger nicht mehr am Ball oder haben sogar noch nie organisiert gekickt. Während das jüngste Teammitglied gerade einmal 17 ist, könnte der Senior mit 46 Lenzen schon dessen Papa sein. Wie man hört, wollten sich auch höherklassige Bewerber ins Team schmuggeln. Wohl insgeheim in der Hoffnung, so an die Profielf heranrücken zu können. Ein vergeblicher Versuch, denn wie gesagt: Erst die Lilien im Herzen machte eine Bewerbung rund. Und wer dann noch Kicken kann: umso besser.

Ein Teil der Lilien-Sportfamilie

Dass das Team zur neuen Saison tatsächlich auflaufen kann, war lange Zeit gar nicht gesichert. Das lag natürlich an Corona. Die ursprünglich für März vorgesehenen Probetrainings mussten ausfallen. Und als diese ab dem 10. Juni endlich möglich waren, blieben nur noch drei Wochen Zeit, um die Mannschaft zusammenzustellen und fristgerecht melden zu können. Schlussendlich war es eine Punktlandung. Und so besitzen die 98er ab sofort eine Fan-Mannschaft, die diesen Namen mit Fug und Recht trägt. Die Idee dazu war in Fankreisen immer mal wieder unverbindlich diskutiert worden, bis im letzten Jahr das Projekt konkrete Formen annahm. Alex Lehné und einige Jungs aus der Fanszene gossen die Idee in ein Konzept und von da an nahm das Ganze seinen Gang. Die Fanmannschaft bereichert nunmehr wie die Tischtennis- oder auch die Judo- und Wanderabteilung die Sportfamilie der Lilien.

Das junge Team steht durchaus für die Kernwerte des Fußballs: Weg vom großen Geld, zurück zu den Basics. Für die Kicker und das Trainerteam um Andreas Degenhardt gibt es nicht mal kleines Geld. Dass es Fans von der Tribüne auf den Platz geschafft haben und die Lilie nun nicht nur im Herzen, sondern bald auch auf der Brust tragen, ist Ehre genug. Bleibt nur zu hoffen, dass der Spielplan nicht allzu oft mit den Terminen der Profielf kollidiert. Denn das wäre doch ein großes Opfer – zumindest für die Zeit nach den Geisterspielen.

 

„Die Zwote“ in der Kreisliga D

So, 06.09., 12.30 Uhr: Türk Gücü Darmstadt II – SV Darmstadt 98 II

So, 13.09., 15 Uhr: SV Darmstadt 98 II – Blau-Gelb Darmstadt II

So, 20.09., 15 Uhr: FC Frontal Darmstadt – SV Darmstadt 98 II

Di, 29.09., 19.30 Uhr: SV Darmstadt 98 II – DJK/SSG Darmstadt II

Aktuelle Infos zur Profimannschaft und zum Stadionumbau unter: sv98.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

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