Illustration: Martina Hillemann

Erhobene Zeigefinger sind unentspannt und spießig. Leute, die anderen erklären, was sie wie zu tun und zu lassen haben, gibt’s schon genug. Was aber tut der Motzki, der nicht anders kann? Er eskaliert. Das kathartische Wutschreiben im Zeichen des erhobenen MITTELfingers widmet sich dieses Mal … dem Mitarbeiter des Monats der Deutschen Bahn.

Regionalbahn zwischen Wiesbaden und Darmstadt. Mitternacht. „Die Fahrscheine, bitte!“ Ich fummle das zerknickte Ticket vom Punkkonzert, von dem mein Kumpel und ich gerade kommen, aus der Hosentasche. Wir nippen am letzten Bier des Abends und freuen uns, dass uns die alte Kapelle noch mal richtig eingeheizt hat. Der Zugbegleiter fragt nach meinem Ausweis. Ohne nachzudenken reiche ich ihm auch den. „Sie fahren schwarz“, stellt er fest, ohne eine Miene zu verziehen. Wir schauen ihn ungläubig an.

„Sie sitzen in der ersten Klasse.“ Huch! Stimmt. Jetzt wo er’s sagt … Als wir quatschend die Treppe hochgestolpert sind, haben wir die kleine „1“ an der Tür zum Abteil glatt übersehen. Das lässt der Bahner nicht als Ausrede gelten. „Die erste Klasse ist klar gekennzeichnet“, doziert er. „Und die Sitze sind hier auch viel breiter.“ Spätestens das hätten wir merken müssen. „Ja, Kollege, wir sind ja auch viel breiter als auf der Hinfahrt“, denke ich, aber bewahre die Fassung. Wir sitzen anständig auf dem exklusiven Gestühl, machen weder Lärm noch Dreck. Der Zug ist praktisch leer. Der gute Mann wird jetzt ja wohl den Stock aus dem Arsch nehmen und uns mit einem Spruch in die Holzklasse zu unseresgleichen komplimentieren. Aber nix da! Soft Skills wie Denken und Menschlichkeit standen nicht im Jobprofil des Mr. Gewissenhaft. Er! Hat! Zwei! Schwarzfahrer! Entdeckt!

Der Ernst unserer Lage dämmert uns, als Kontroll-Otto Einblick in seine … äh … Denkmuster gewährt. „Ich bilde auch aus!“, lässt er uns wissen – und ich glaube zu bemerken, wie er dabei die Brust rausschiebt und die Gummihacken zusammenschlägt. Hä? Wir blicken erst ihn, dann uns ratlos an. Unser Ausbilder erklärt: „Hätte ich jetzt einen Azubi dabei, müsste ich auch konsequent sein.“ Aaah … okay. Is klar. Vorschrift ist Vorschrift. Trottel wie der haben dieses Land weit gebracht.

Unser freundlicher Hinweis, dass wir beide für teuer Geld Tickets gelöst haben, schießt resonanzlos durch die kurz geschorene Rübe des Vorzeige-Bahners. Linkes Ohr rein, oh, aufgeräumt hier, hallo Echo!, schade, keine Synapsen zum Andocken – und direkt zum rechten Ohr wieder raus. „Nein, Sie besitzen keine gültigen Fahrscheine für die erste Klasse“, befindet Robocop. Er reicht mir eine „Fahrpreisnacherhebung und Zahlungsaufforderung“. 60 Euro. Ich muss lachen. Mit Dosenbier beim Schwarzfahren erwischt zu werden, ist ja bestimmt voll punk. Aber doch nicht so!

Jetzt knöpft sich der Terrier meinen Kumpel vor, verlangt dessen Ausweis. „Hab ich leider nicht dabei.“ – „Adresse?“, fragt das Sackgesicht. „Hindenburgstraße 88“. Der Versuch, einen Hinweis auf die Gesinnung des Uniformierten zu erlangen, läuft ins Leere. Keine Reaktion. Auch politische Bildung war kein Einstellungskriterium. Der brave Soldat gibt die Fake-Adresse eifrig in sein „Mobiles Terminal für Kontroll- und Vertriebsaufgaben“ ein. Dabei wandert Dummbatzens Zungenspitze von einem zum anderen Mundwinkel. Er tippt sich wahrscheinlich gerade zum Mitarbeiter des Monats. 120 Euro von zwei langjährigen Kunden abgezockt. Geiler Typ.

Als der Sheriff von uns ablässt und John-Wayne-artig das leere Erste-Klasse-Abteil abschreitet, blicken wir ihm bewundernd nach. Wow. Ein Musterexemplar einer perfekt ans Ökosystem DB angepassten Lebensform. Als Ausbilder und Vorbild zieht Sackgesicht eine kleine Armee weiterer Vollpfosten in Bahnwesten heran und rettet so seine nutzlose Spezies in die nächste Generation herüber. Und mit den von ihnen generierten Zusatzeinnahmen können die Dilettanten im Management die Finanzierungslöcher in ihren Großprojekten füllen. Taugt als Lehrstück, sollte ich später mal meinen Enkeln erzählen, wie die Deutsche Bahn sich selbst abgeschafft hat.

Als wir aussteigen, sind wir Kontroll-Otto dankbar. Er hat uns noch mal ins Gedächtnis gerufen, gegen welche Verhältnisse und Vollhonks wir vorhin beim Konzert angesungen haben. Danke, Deutsche Bahn. Danke, Dummbatz.