Foto: Jan Ehlers

Wer sich in zwei, drei Jahren die diesjährige Abschlusstabelle der 2. Bundesliga anschaut, der dürfte rasch in die Irre geführt werden. Die altehrwürdigen Lilien rangieren mit 43 Punkten auf Platz 10. Zehn Siege, elf Niederlagen, 47:45 Tore. Alles in allem also eine geruhsame Spielzeit nach dem Bundesligaabstieg?! Pustekuchen!

Die Lilien zeigten in den vergangenen Monaten drei Gesichter, wobei sie das zweite fast schnurstracks in die 3. Liga geführt hätte. Das erste Gesicht reichte bis zur Last-Minute-Aufholjagd gegen Dresden am 8. Spieltag. Der 3:3-Ausgleich durch Tobias Kempe bedeutete den 15. Punkt, was die 98er auf Platz 4 in Schlagdistanz zur Tabellenspitze hielt. Vor ihnen rangierten nur die drei Teams, die auch zum Saisonende dort standen. Die erste Saisonphase der Lilien zeichnete sich durch viel Wucht und Wille aus, die mit reichlich Punkten belohnt wurden. Das Bemühen, das Heft in die Hand zu nehmen, war ausgeprägt, wenngleich längst nicht alles rund lief.

Die verzweifelte Suche nach sich selbst

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Noch nicht rund lief …“, war man damals geneigt zu denken. Doch dann trat das zweite Gesicht zutage, das sich schon zuvor angedeutet hatte: Die Balance im Spiel des SVD war nicht sehr ausgeprägt, das Defensivverhalten mutierte zu einer immer größeren Baustelle. Die Abwehr ließ sich mal von Flankenbällen überlisten, mal von Schnittstellenpässen. Sie stand zu hoch und kam insbesondere gegen Ingolstadt (0:3) und Nürnberg (3:4) böse unter die Räder. Die Folge war eine Mannschaft, die auf der zunehmend erfolglosen Suche nach sich selbst war. Im Spiel nach vorne verlor sie immer mehr den Faden und hatte immer weniger Lösungen parat. Erschreckend hilflose Leistungen wie gegen Sandhausen, Regensburg und Aue ließen die Lilien in die Abstiegszone taumeln. Torsten Frings war am Ende mit seinem Latein.

Auch der neue, alte Coach Dirk Schuster konnte das zweite, das verunsicherte Gesicht nicht einfach so wegzaubern. Vier Punkte aus sechs Partien ließen nur einen Schluss zu: Der Trainereffekt war ausgeblieben. Und als am 24. Spieltag Immanuel Höhn im Heimspiel gegen Heidenheim in der 17. Minute beim Stand von 0:1 vom Platz flog, da waren die Zutaten für die fünfte Niederlage infolge schon wieder beisammen.

Aber dann sollte noch in der gleichen Partie etwas folgen, was so langsam in das dritte Gesicht der Lilien mündete. Die Fans nahmen sich ein Herz und feuerten ihre sich abmühende Mannschaft in der zweiten Halbzeit bedingungslos an. Der Ausgleich durch Joevin Jones sicherte einen Punkt, und von diesem Moment an sollten die Lilien bis zum Saisonende nicht mehr verlieren. Dieses dritte Gesicht der Spielzeit 2017/18 sah aber in mancherlei Hinsicht dem zweiten noch sehr ähnlich. Hinten agierten Aytac Sulu & Co. zwar stabiler, der Wille und die Leidenschaft waren ausgeprägt. Aber mit einem druckvollen Spiel auf das gegnerische Tor, damit taten sich die 98er bis zum 34. Spieltag verdammt schwer. Deshalb benötigten sie im Abstiegskampf auch eine gehörige Portion Glück. Dreimal egalisierten sie einen Rückstand nur dank Strafstößen. Gegen Düsseldorf, Nürnberg und Regensburg überstanden die Lilien 68 Schüsse auf ihr Tor, sechsmal rettete dabei das Aluminium, sodass am Ende nur ein Gegentor, aber sieben wertvolle Punkte standen. Auf den letzten Drücker überholten sie die Konkurrenz und grüßten mit zwei blauen Augen von Platz 10.

Und in der kommenden Saison?

Welches Gesicht werden die Lilien in der neuen Spielzeit zeigen? Nun, es wird auf jeden Fall ein Facelifting geben. Spieler wie Jan Rosenthal, Artur Sobiech und Kevin Großkreutz dürf(t)en ebenso gehen wie Hamit Altintop schon im Winter. Die Routiniers konnten dem Team keine Stabilität und Zielstrebigkeit geben. Schuster hat nun eine Sommerpause lang Zeit, mehr Geschick bei der Kaderzusammenstellung zu beweisen, als es Frings zuvor vergönnt war. Zuzutrauen ist ihm dies auf alle Fälle. Schließlich hat er das schon vor den Spielzeiten 2013/14, 2014/15 und 2015/16 bewiesen.

Er achtete dabei stets auf eine laufstarke Truppe, die über reichlich Mentalität verfügte. Legt man die Maßstäbe der früheren Schuster-Mannschaften zugrunde, dann dürfte die neue Elf wieder das vielzitierte Wir-Gefühl auszeichnen. Es bedarf aber weiterer wichtiger Stellschrauben. Es muss deutlich mehr Zug und Schnelligkeit in den Kader kommen. Daneben natürlich ein Stürmer, der zuverlässig knipst. All dies zeichnete die Schuster-Teams der vergangenen Jahre aus: Sie hatten einen schnellen Marcel Heller, sie hatten giftige Dauerläufer wie Toni Sailer und Jego Gondorf sowie abschlussstarke Angreifer wie DSE und Sandro Wagner. Vielleicht steht ein legitimer Nachfolger der beiden ja bereits im Kader? Felix Platte sind jedenfalls mehr als die fünf Tore der zurückliegenden Saison zuzutrauen. Zudem verfügt er über eine ähnliche Statur wie seine Vorgänger. Er müsste aber von seinen Mitspielern häufiger als bislang in Abschlusssituationen gebracht werden.

Alle Lilienfans – auch die auf der (mindestens bis Herbst) immer noch präsenten alten Gegengerade – sind jedenfalls gespannt wie Bolle, welches Gesicht ihnen das Lilienteam in der nächsten Zweitligasaison präsentiert. Nur bitte, bitte nicht wieder das zweite der abgelaufenen!

 

Saisonziel: In der Zweiten Liga etablieren!

Am ersten August-Wochenende startet die Zweitliga-Saison 2018/19. Mit dabei: unsere Lilien!

Die erste Runde im DFB-Pokal wird vom 17.08. bis 20.08. ausgespielt, die 98er müssen am Freitag, 17.08., um 18.45 Uhr beim 1. FC Magdeburg antreten.

Alle Spiel-Termine und aktuelle Infos unter www.sv98.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

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