Illustration: Hans-Jörg Brehm

Die Vierte Säule wagt eine Prognose: Die grün-schwarze Stadtregierung wird zum 1. Januar 2019 endlich ihr mittlerweile sechs Jahre altes Versprechen einlösen, Darmstadt zur Fahrradstadt zu machen. Aber nur, weil sie die Bürger dazu zwingen.

David Grünewald von der Initiative „Radentscheid Darmstadt“ droht der Stadt Darmstadt mit einer „Zwangsmaßnahme“: Mindestens 2,6 Millionen Euro – und damit viermal so viel wie bisher – solle jährlich in bessere Radwege investiert werden. Sonst kommt im Oktober ein Bürgerentscheid.

So will das dreizehnköpfige Team des Radentscheid Darmstadts die Stadt zu sieben Maßnahmen (siehe Infobox) verpflichten, die das Darmstädter Straßenbild in wenigen Jahren grundlegend verändern dürften. Was sich wenigstens aus Sicht der Herrschenden überheblich anhören mag, hat in Berlin und Bamberg schon gefruchtet.

In beiden Städten haben Grünewalds Mitstreiter von Changings Cities schon per Bürger- beziehungsweise Volksbegehren so viel Druck aufgebaut, dass die Regierenden noch vor einem drohenden Volksentscheid Gesetze auf den Weg gebracht haben, die die Forderungen der Radentscheide zum Teil noch übertreffen.

„Die ziehen den Regierungen in den Verhandlungen die Daumenschrauben an“, berichtet Grünewald. Der Maschinenbaustudent und AStA-Referent an der TU Darmstadt ist siegessicher. Genau 3.447 Unterschriften muss die Initiative für den ersten Schritt des Bürgerbegehrens zusammenbekommen. Grünewald plant, sogar sechs- bis zehntausend Ende April bei der Stadt einzureichen. Unterstützt wird er dabei unter anderem von Sabine Crook, die schon vor zehn Jahren bei der Bürgerinitiative Ohne Nordostumgehung innerhalb von vier Wochen 15.000 Unterschriften sammelte.

Auch an formelle Hürden – so wie jüngst in Pfungstadt beim Widerstand gegen das Mega-Aquarium Shark City – dürfte das Bürgerbegehren nicht scheitern, dafür hat Changing Cities extra Anwälte engagiert. Und Darmstadt soll zwar die dritte, aber nicht die letzte Stadt sein. Im Grunde rennt die Initiative ja auch auf Seiten der Politik offene Türen ein. Doch „die Bürger wollen mehr als sich die Politik traut“, meint Grünewald.

 

Die sieben Ziele des Radentscheides

1. Planungen nach dem Stand der Technik! Denn anders, als man vermuten könnte, halten sich die Darmstädter Straßenbauer nicht immer an die aktuellen Empfehlungen für Fußgänger- und Radverkehrsanlagen.

2. Fünf Kilometer Radwege an Hauptstraßen pro Jahr! Die neuen Spuren verbinden jeweils zwei Knotenpunkte, sind 2,30 Meter breit und baulich so getrennt, dass keine Lieferwagen darauf halten können.

3. Drei sichere Kreuzungen pro Jahr! Radfahrer bekommen eine eigene Ampel und die Kreuzung wird nach holländischem Vorbild so umgebaut, dass Radfahrer vor rechts-abbiegenden Autos geschützt sind.

4. Fünf Kilometer attraktive Nebenstraßen pro Jahr! Bedeutet: Einbahnstraßen für Fahrräder öffnen, Schleichwege für Autos zu Sackgassen machen oder die Fahrradstraße – hier hat die Stadt die Wahl.

5. Effektive Mängelbeseitigung! Über ein öffentlich einsehbares Kataster im Internet kann jeder der Stadt von Baustellen zugestellte oder beschädigte Radwege melden.

6. 50 Bordstein-Absenkungen pro Jahr! Nicht nur für volle Fahrradkörbe, sondern vor allem für Menschen mit Gehschwäche oder Rollstuhl soll die Tortur hoher Bordsteine enden.

7. Zehn Gehweg-Aufpflasterungen an Kreuzungen pro Jahr! In Zukunft sollen nicht mehr die Fußgänger runter vom Bordsteig, die Straße queren und dann wieder den Bordstein hoch. Stattdessen müssen die Autos, wenn sie an eine Fußgängerfurt fahren, erst hoch und dann wieder runter.

Unterschreiben lässt sich das Bürgerbegehren bei mehr als 60 Darmstädter Einzelhändlern oder auf dem eigenen Ausdruck, online herunterladbar von: www.radentscheid-darmstadt.de.

 

Was ist ein Bürgerbegehren?

Das Bürgerbegehren ist in der Hessischen Gemeindeordnung geregelt. In Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern müssen mindestens drei Prozent der Wahlberechtigten für ein Vorhaben unterschreiben, damit sich die Stadtverordneten damit befassen müssen. Lehnt das Parlament das Bürgerbegehren ab, folgt der Bürgerentscheid. Stimmen dabei mindestens die Hälfte der Wähler und zugleich auch mindestens 15 Prozent der Wahlberechtigten (Quorum) für das Vorhaben, ist die Stadt drei Jahre lang an die Entscheidung gebunden.

 

Lokalpolitik-Kolumne im P

Sebastian Weissgerber hat bis 2009 für die Frankfurter Rundschau aus dem Darmstädter Stadtparlament berichtet. Im P schreibt er seit Februar 2017 als „Vierte Säule“ über die hiesige Politik.