Foto: Jan Ehlers

 

Als die Lilien am 29. Februar zu Hause gegen Heidenheim überzeugten und eine Woche später am Bölle mit dem VfL Bochum die Punkte teilten, gab es unter den Fans ein Thema: die geplatzte Vertragsverlängerung mit Coach Dimitrios Grammozis. Die Bilanz des Trainernovizen beim SVD liest sich alles in allem positiv. Ein Rückblick mit Ausblick.

Da sitze ich Mitte April in meinem sonnendurchfluteten Wohnzimmer und der Fußball spielt inmitten des Corona-Alltags so gut wie keine Rolle. Die DFL hat sich mit den Klubs der Bundesligen auf eine Verlängerung der spielfreien Zeit bis Ende April geeinigt. Vielleicht wurde diese Phase inzwischen nochmals verlängert, wenn ihr dieses P in Euren Händen haltet. Die Klubs brauchen und wollen aber (Geister-)Spiele, um zumindest TV-Einnahmen den laufenden Ausgaben entgegenzusetzen. Sollte der Ball für die Lilien in dieser Saison tatsächlich noch einmal rollen, dann gewiss mit Dimi Grammozis am Spielfeldrand.

Eine verzwickte Situation

Zur Spielzeit 2020/21 wird er dort nicht mehr stehen. Der SVD hatte ihm die Verlängerung seines Kontrakts um ein Jahr offeriert. Ein Angebot, dass der Trainer ins Leere laufen ließ. Rumms. Das saß. Dabei hatten beide Seiten zuvor immer wieder ihr Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit signalisiert. Dass die 98er von langfristigen Vertragsangeboten absehen, ist verständlich. Schließlich will der Stadionumbau finanziert werden und dann ist da noch die schmerzliche Erfahrung mit „Gehaltslisten-Veteran“ Torsten Frings. Genauso verständlich ist aber auch Grammozis‘ Ablehnung. Nur ein weiteres Jahr klingt nicht unbedingt nach grenzenloser Überzeugung und immensem Vertrauensvorschuss von Vereinsseite.

Planungssicherheit … eigentlich

Dabei hatte der Ex-Profi die Blau-Weißen in der vergangenen Saison souverän zum Klassenerhalt geführt. In der aktuellen Spielzeit blieb sein Team in der Hinrunde zwar hinter den hoffnungsvollen Erwartungen der Fans und sicher auch der Klubverantwortlichen zurück. Doch dann begannen Fabian Holland & Co. Punkt an Punkt und irgendwann auch Sieg an Sieg zu reihen. Zur Erinnerung: Aktuell steht das Team auf dem sechsten Tabellenplatz. Mit 36 Zählern beträgt der Rückstand auf Rang 3 acht und der Vorsprung auf Position 16 elf Punkte. Noch in den Aufstiegskampf einzugreifen erscheint unwahrscheinlich. In den Abstiegsstrudel zu geraten aber noch mehr. Für Darmstädter Verhältnisse ist das nach einer Dreiviertelsaison eine höchst komfortable Situation. Schließlich hat der Klub frühzeitig eine gewisse Planungssicherheit für die nächste Saison. Corona und die damit einhergehenden Einbußen einmal außen vor lassend.

Trares? Anfang!

Diese Planungssicherheit war nach dem Grammozis-Verzicht auf der Trainerposition erst mal nicht mehr gegeben. Prompt schossen die Spekulationen ins Kraut. Liefert Bernhard Trares beim Waldhof nicht seit geraumer Zeit gute Arbeit ab? Verfügt er zudem mit über 100 Profieinsätzen für den SVD nicht über die gerne ins Feld geführte Lilien-DNA? Und hat er nicht sogar bei Alberto Coluccis‘ Lilienlied im Background-Chor mitgeträllert? In Zeiten von Tinder & Co. könnte man sagen: „It’s a match“. Genauso schnell wie er gehandelt wurde, hagelte es jedoch Dementis aus Mannheim. Das ganz normale Schauspiel eben. Die Zwangspause im Fußball führte dann rasch dazu, dass sich das Thema nicht weiter verselbstständigte. Stattdessen machte nach Ostern Markus Anfang das Rennen. Dass er und Sportdirektor Carsten Wehlmann sich noch aus gemeinsamen Kieler Zeiten kennen und Wehlmann große Stücke auf ihn hält, machen ihn zum passenden Puzzleteil. Seine Vorschusslorbeeren sind so groß, dass Anfang gar einen Zweijahresvertrag erhielt, der Grammozis vorenthalten blieb. Ein fader Beigeschmack? Sicher. Wer aber einen Trainer haben will, der bereits zwei Zweitligisten trainiert hat, der lockt ihn nicht mit einem Zwölfmonatspapier nach Darmstadt. Zudem führte er Kiel auf Platz 3 und Köln auf Platz 1, bevor er kurz vor dem Aufstieg gehen musste. Ob sich die Lilien mit dem Trainerwechsel verzockt haben, wird die Zeit zeigen.

Die Zahlen von Grammozis überzeugten

Dass Grammozis seine Arbeit nicht fortführen wird, ist eigentlich schade. Der Ex-Profi hatte zuletzt nicht nur sein Team aus dem gröbsten Schlamassel herausmanövriert. Er hätte auch aus dem Stand sagen können, mit wem er weiterhin am Bölle zusammenarbeiten wolle und mit wem nicht. Schließlich laufen im Sommer ein gutes Dutzend Spielerverträge aus. Doch Grammozis ist bislang nicht damit aufgefallen sonderlich wankelmütig zu sein. Zu prinzipientreu erscheint er, als dass er auch in der Saison 2020/21 tatsächlich noch die Darmstädter trainiert.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache

Seine Bilanz bei den 98ern lässt sich jedenfalls sehen. Aus 36 Zweitligapartien hat er 56 Punkte geholt. Nur acht Niederlagen sprechen für sich. Der Punkteschnitt von 1,55 liegt über dem von Dirk Schusters letztem Engagement (2017–2019: 1,24) sowie deutlich höher als bei Torsten Frings (0,97) und Norbert Meier (0,73). Er liegt sogar auf Augenhöhe mit dem Punkteschnitt von Dirk Schuster bei dessen erster Amtszeit (2013–2016: 1,60) und mit dem von Kosta Runjaic (1,49). Grammozis hat zudem gezeigt, dass er ein Team wieder auf Kurs bringen kann, mit dem er in der Hinrunde bis auf den vorletzten Tabellenplatz hinabgesegelt war. Die Mannschaft ließ sich unter ihm nie hängen. Sie wirkte intakt. Bis auf wenige Ausnahmen hatte man nie den Eindruck, das Team habe keinen Zugriff auf das Spielgeschehen. Einzig die offensive Durchschlagskraft und den ein oder anderen deutlichen Sieg hatte man auf den Rängen immer wieder vermisst. Ganz nüchtern betrachtet hatten die Lilien unter Grammozis alles in allem eine gute Zeit.

Selbst, wenn er bei so manchem Fan bis zuletzt einen schweren Stand hatte, so wäre eine neue Saison mit Grammozis an der Seitenlinie im Grunde genommen logisch gewesen. Warten wir ab, wie sich Anfang schlägt. Sowohl mit Kiel als auch mit Köln wies er stets das beste Torverhältnis auf und verlor nur selten. Wenn er mit den Lilien daran anknüpft, kann es uns nur recht sein.

Aktuelle Infos zum weiteren Saisonverlauf und Stadionumbau unter sv98.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

kickschuh.blog