Wie ein ausgeschnittener Schatten liegt es da: ein Spiel aus Hell und Dunkel, aus Fläche und Linie. Die Figuren und Zeichen sind nicht gemalt, nicht modelliert, sondern scheinen vielmehr herausgelöst, als hätte jemand sie mit ruhiger Hand herausgeschnitten. Die Referenz an Schnittmuster ist unübersehbar. Alles Unnötige wurde entfernt, das Übriggebliebene wirkt wie Essenz: Körper, vielleicht Werkzeuge, eine Geste der Arbeit.
Dass das Werk in der Sgraffitotechnik – dem Kratzputz – ausgeführt ist, unterstreicht diesen Eindruck. Auch hier wird Material nicht auf-, sondern abgetragen. Linien entstehen nicht durch das Hinzufügen, sondern durch Subtraktion. Form als Negativ, als Reduktion. Es ist diese Ästhetik der Abwesenheit, die an die Silhouette denken lässt – jene schwarze Form ohne Innenleben, einst beliebt als Porträt in der Zeit vor der Fotografie. Der Begriff geht auf Étienne de Silhouette zurück, einen französischen Finanzminister des 18. Jahrhunderts, berüchtigt für seine strengen Sparmaßnahmen. Weil er jede unnötige Ausgabe strich, wurde alles Billige spöttisch „à la Silhouette“ genannt – auch jene kostengünstigen Scherenschnittportraits, die bald zu einer eigenen Kunstform wurden.
In Vogels Wandbild trifft dieses kulturelle Echo auf den Ort, an dem es hängt – eine Fassade, einst vielleicht ein Schneideratelier. Motiv und Machart greifen ineinander: Diese Kunst im öffentlichen Raum ist nicht einfach die Darstellung eines Handwerks, sie verwendet seine Mittel, statt Fasern und Fäden mit Kalk und Sand. Vielleicht ist es das, was das Werk so anziehend macht: Es zeigt uns nicht nur das Schneiderhandwerk, sondern lebt seine Prinzipien. Maß nehmen, reduzieren und anpassen.
Kunst im öffentlichen Raum
Kunst findet man nicht nur in Museen und Galerien, sondern oft auch im Freien und für jede:n sichtbar. Manche Werke sind schon seit Jahrhunderten ein Teil des Stadtbildes, andere zieren es nur kurz. In Darmstadt haben einige Fügungen des Schicksals dafür gesorgt, dass es besonders viele Kunstwerke im öffentlichen Raum gibt. Ohne die schützenden Laborbedingungen eines White Cube gehen sie allerdings schnell unter. Dabei können gerade diese stillen Zeitgenossen unsere Wahrnehmung des Stadtraumes verändern und unser Verständnis von Welt herausfordern. Eine Einladung zum Fantasieren.