Illustration: André Liegl

Liebe Leser, liebe Darmstädter,

Ihr kennt das: Eben träumt man noch friedlich im tiefen Schlaf, zum Beispiel von einer asiatischen Gerichtsverhandlung mit orangefarbenen Schalensesseln in einem Gerichtssaal irgendwo in Slowenien, es wird gerade richtig spannend, weil eine geheimnisvolle Person, einen Chihuahua im Arm haltend, über das Dach in den Saal einsteigt … und plötzlich sitzt man hellwach im Bett. Grund dafür ist ein hochmotivierter Mitarbeiter der Stadtreinigung, der elfengleich den Laubbläser schwingt. Morgens, kurz nach sechs. Im August. Wo er Laub zu finden glaubt, fragt man sich verwundert. Begleitet wird das Getöse natürlich vom Rattern und Schrubben einer Kehrmaschine. Untermalt wird das Ganze mit Flüchen vereinzelter Radfahrer und Hupen gut gelaunter Autofahrer, die vermutlich auf dem Weg zur Arbeit sind. Ein morgendliches Hasskonzert bei Sonnenschein und Vogelgezwitscher. Hass zumindest für denjenigen, der gerne gewusst hätte, wie der geträumte Traum ausgegangen wäre. Es nützt nichts, man ist nun wach und kann in den Tag starten, auch wenn man dies zwei Stunden später hätte genauso gut tun können.

Tagesordnungspunkt eins: Kaffee kochen. Gefolgt vom ersten Tagestief: Kein Kaffee im Haus. Also Klamotten an, Schuhe an, Schlüssel und Lieblingsstoffbeutel greifen und rüber in den Supermarkt. Zweites Tagestief: Der Supermarkt ist verschlossen. Geöffnet wird pünktlich um sieben. Wuaargh. Ist ein Notfall-Kaffee bei einem Bäcker erwerbbar? Nein, der hiesige Bäcker ist im Sommerurlaub. Geil. Flüche. Verwünschungen. Aufkeimender Unmut. Warten. Die Uhr im Telefon (Armbanduhren sind erst langsam wieder im Kommen und schmücken zumeist noch Männerhandgelenke) zeigt die mir bis dato nicht oft in dieser Kombination untergekommenen Ziffern 7 und 3. Im Inneren schleicht nun ein junger Mann mit Schlüsselbund langsam in Richtung Fluchtwegschiebetür. Seinem Gesichtsausdruck zu urteilen hatte der Gute wohl auch noch keinen Kaffee. Er öffnet die Tür und trällert den fünf Zombies, die auf ihre Einkaufschance warten, ein fröhliches „Guten Morgen! Kommen Sie rein, kommen Sie rein!“ entgegen. [Schlurf – schlurf – schlurf – schlurf] Die vier Zombies verteilen sich in der Obst- und Gemüseabteilung sowie an der Wurst- und Käsetheke. Ich hingegen improvisiere einen „Dawn Of The Dead“-Remake-Rennzombie in Richtung Kaffeeregal und erleide, am Ziel meiner Gier angekommen, mein drittes Tagestief. Kein Espresso. Mein rechtes Auge zuckt. Auf Nachfrage erhalte ich die Zwei-Wort-Information: „Is‘ alle.“

Geknickt und mit Tränen in den Augen verlasse ich den Markt und trete den Heimweg an. Stundenlang sitze ich auf dem Bett und starre mit leeren Blicken Löcher in die Luft, als es unverhofft an der Tür klingelt. Ich öffne, ein flotter Paketbote kommt die Treppe hoch gesprintet und drückt mir lächelnd ein Päckchen in die Hand. Am heimischen Küchentisch reiße ich neugierig die Box auf und finde darin eine hübsch verzierte Blechdose, die ein historisches Nürnberg zeigt. Eine beigelegte Karte verrät, dass sich in der Dose Seelenfutter in Form selbst gebackener Kekse findet. Abgeschickt von einer Freundin, die das Bedürfnis hatte, Freude zu bereiten. An dieser Stelle kann ich bestätigen: Hat erstklassig funktioniert. Scheiß auf Kaffee! Hier ist mein erstes Tageshoch.

Es wünscht Euch, liebe Leser und Darmstädter, ebenfalls den einen Tageshöhepunkt, der alle anderen Tiefpunkte auszugleichen vermag,

Eure Moppel

 

Wer ist diese Moppel?

Moppel Wehnemann arbeitet in Frankfurt für das „Caricatura – Museum für Komische Kunst“, außerdem als Fotografin und Teilzeit-Bloggerin. Der Pop-Redakteur Linus Volkmann nennt sie „eine beliebte und prominente Akteurin aus der Titanic-Clique.“ Ihre Hobbys: Bier, American Football, Postkarten und Satire. Außerdem ist Moppel Initiatorin der erfolgreichen Open-Air-Reihe „Bier trinken und Joggern gute Tipps zurufen“. Künftig wird Moppel unseren Kolumnisten-Pool mit ihren Beobachtungen des Alltagswahnsinn bereichern.

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