Fotos: Nouki Ehlers, nouki.co

Sport, der in Darmstadt betrieben wird, und – Trommelwirbel – nicht Fußball ist? Vor lauter Lilienfieber ist’s ein bisschen in den Hintergrund geraten, aber: Jawohl, das gibt’s! Hier stellen wir sie vor, die Sportarten, die (noch) nicht von einem großen Publikum bejubelt werden. Zum Beispiel, weil sie bislang kaum jemand kennt. Oder weil sie eben einfach zu speziell sind, um die Massen zu begeistern. Oder vielleicht, weil man lieber unter sich bleibt? Wir gucken uns das für Euch aus der Nähe an. In dieser Ausgabe: Flow Arts.

Zum ersten Mal gesehen habe ich das, was sich – wie ich später gelernt habe – Flow Arts nennt, auf einem Hippiefestival. Und dann auf einem anderen Hippiefestival. Und da habe ich mich verliebt. Unbedingt selbst ausprobieren musste ich das fließende Bewegen von und mit brennenden Stäben, Kugeln und Fächern. Ebenso überrascht wie gefreut hat mich, dass es gerade in Darmstadt eine gar nicht so kleine Community gibt, die sich regelmäßig zum gemeinsamen Flowen trifft.

Am spätsommerlichen Osthang angekommen versuche ich mich mit Unterstützung von Tom, der seit etwa einem halben Jahr regelmäßig flowt, als Erstes an den Poi. Dabei fühle ich mich wie eine Bändigerin, die mit Avatar Aang für das Gute kämpft. Pois sind Kugeln, die an Seilen herumgeschwungen werden – und das kann, so simpel es klingt, echt toll aussehen. Mit den Poi fangen viele Flow Artists an. Wer sich darin mal zu Hause ausprobieren will, kann einfach Tennisbälle in lange Strümpfe stecken und diese herumschwingen (Sockenpoi). Wer mit den Flow Arts anfängt, lernt so wie ich an diesem Abend meist einige erste Figuren und Grundhaltungen, die dann mit tänzerischen Elementen zu Musik frei erweitert werden können. Bei den Poi erfolgt die kreisende Grundbewegung aus den Handgelenken, für größere Figuren kann auch der ganze Arm rotiert werden.

Fotos: Nouki Ehlers, nouki.co
Fotos: Nouki Ehlers, nouki.co

Elemente aus Kampfsport und Bauchtanz

Was so leicht aussieht, ist echt Übungssache: In meinem ersten Training scheitere ich schon daran, die beiden Kugeln gleichzeitig in verschiedene Richtungen zu schwingen. Trotz blauer Flecken bin ich aber restlos motiviert, es weiter zu probieren – ein Gefühl, das ich als verträumtes Gemütlichkeitstierchen eher weniger kenne. Das liegt, glaube ich, an der Art, wie Flow Arts praktiziert, erlernt und vermittelt werden: Anders als bei den meisten Sportarten gibt es nicht ein:e Lehrer:in und keine vorgegebenen Übungen. Und das übt Offenheit: Ich muss auf andere zugehen, mich vorstellen und gezielt fragen, ob eine Person mir etwas beibringen möchte. Es lernt jede:r von jedem und jeder und die Spielweisen sind so vielfältig wie individuell. Ursache ist, dass es neben unzähligen verschiedenen Tools auch ganz unterschiedliche Einflüsse gibt: Flow Artists gucken sich manche Figuren aus dem Kampfsport ab, andere empfinden mit Handfackeln Bewegungen aus dem Bauchtanz nach. Poi beispielsweise wurden bei den Maori schon vor 1.000 Jahren als Trainingsvorbereitung für Kämpfe verwendet – mein Avatar-Kampfgefühl war also gar nicht so falsch. Falsch machen kann man bei den Flow Arts sowieso erst mal nichts, erklärt mir Julia (außer, mit dem Feuer unvorsichtig zu sein!): „Alles, was sich gut anfühlt, ist erst mal richtig.“ Ziel sei auch nicht, in Shows aufzutreten – auch wenn es sich natürlich gut anfühlt, neu Erlerntes vorzuführen und damit andere auch noch zu begeistern. „Ich mag es einfach, Leute zu verzaubern“, meint Julia, die die regelmäßigen Flow-Treffen in Darmstadt etabliert hat.

Verzaubern kann sie mit einem ihrer Lieblingstools, dem Levistick, ganz wunderbar. Das ist ein Stab, der in seiner Mitte von einer dünnen Schnur gehalten und darüber bewegt wird. Die Schnur ist so dünn, dass es mit den richtigen Bewegungen aussieht, als würde der Stab zwischen den Händen schweben. Der Trick dabei ist, wie mir Adrian zeigt, die zweite, freie Hand immer mitzubewegen – das fühlt sich für mich ein bisschen an, als würde ich Zaubertricks üben. Und während ich mich in meiner Ungeübtheit nicht sehr zauberhaft fühle, bleiben dennoch nicht nur Kinder mit großen Augen vor mir stehen, während ich den Stab unter meinen Händen und um meinen Körper kreisen lasse.

Fotos: Nouki Ehlers, nouki.co
Fotos: Nouki Ehlers, nouki.co

Feuer oder leuchtende LEDs

Das Spiel mit Feuer, das mich anfangs so fasziniert hat, ist mittwochs allerdings eher Ausnahme. Weil es schon gefährlich ist, mit Feuer wortwörtlich zu spielen, muss auf einiges geachtet werden: das Richtige anziehen, ein nasses Handtuch zum Löschen sowie Aufsichtspersonen dabeihaben – und natürlich sollte man schon etwas Übung mit dem Tool der Wahl haben, bevor man es anzündet. Die Webseite des Firespace e. V. erklärt genau, worauf geachtet werden muss. Und für diejenigen, die Lichtspiele im Dunkeln nicht missen wollen, sich aber noch nicht ans Feuer herantrauen, gibt es fast jedes Tool als leuchtende LED-Variante.

Egal, wie unterschiedlich die Tools sind, die im dämmernden Abendlicht tänzerisch geschwungen werden, sie kommen unter dem Namen „Flow Arts“ zusammen: so genannt, weil durch die konzentrierte und balancierte Bewegung mit dem Tool eine Art meditativer Zustand entstehen kann. Julia beschreibt diesen Flow-Zustand als „eine Art des Nichtnachdenkens – das Tool in der Hand fühlen und sich von diesem leiten lassen“. Diese Bewegungsmeditation führt bei ihr zu einem beruhigenden Gefühl der Einheit und Verbundenheit, Alltagssorgen können mal so ganz ausgeblendet werden. Während es jedem und jeder guttun kann und wird, sich ganz der Bewegung hinzugeben, ist die Sportart wegen dieses stressreduzierenden Effekts besonders bei Menschen mit AD(H)S oder Borderline beliebt. Mehr als andere Disziplinen zeichnen sich die Flow Arts nach meinem Eindruck auch über Gemeinschaft und Szenezugehörigkeit aus: Gemeinsam geht es zu Conventions und Festivals und die Übungstreffen sind zu einem großen Teil von persönlichen Gesprächen und Wiedersehensfreude geprägt. Auch wenn meist jede:r für sich flowt, wird das Gemeinsame betont, nicht das Gegeneinander. Wettbewerbe gibt es kaum bis gar nicht – wer für die Freude an Sport und Spiel gewinnen muss, bleibt doch lieber beim Fußball.

Mitmachen

In den warmen Monaten treffen sich die Flow Artists mittwochsabends am Osthang. Überwintert wird in der Baas-Halle im Martinsviertel, mittwochs ab 20 Uhr. Willkommen ist jede:r, mitbringen braucht Ihr lediglich Interesse und Offenheit. Kosten: keine – außer für die Tools, die Ihr spielen wollt. Gerade zu Beginn – wenn Ihr noch nicht wisst, wofür Eure Begeisterung brennt und Ihr einfach mal alles ausprobieren wollt – macht es Sinn, einfach zuzuschauen, offen zu sein und lieb zu fragen, ob Euch jemand etwas zeigen und das dazugehörige Tool leihen würde. Wer Lust hat, die Magie in den eigenen Fingern zu entdecken, kann sich per Mail bei flowarts.darmstadt@gmail.com melden.

Keine Regeln

Offiziell gehört die Bewegungskunst zur Sportart der Jonglage. Wer mit dem Flowen anfangen will, hat die Qual der Wahl: ob Poi, Stäbe (zum Beispiel der Dragonstaff), Reifen, Fächer, Devil Sticks, Diabolos – alles ist möglich und auch alles kann prinzipiell brennend gespielt werden. So unterschiedlich wie die Tools sind auch die Spielweisen, weswegen es im sportlichen Sinne keine Regeln gibt. Achtsamkeit ist allerdings auf jedem Fall gefordert – besonders, wenn mit Feuer gespielt wird.

Weitere (nicht Darmstadt-spezifische) Infos: flow-arts.de und fire-space.com