Jonas Zipf
Foto: Lena Klöppinger + Laura Zachmann

Im kulturellen Leben Darmstadts spielt das Theater eine zentrale Rolle. Das Staatstheater bietet Oper, Schauspiel, Tanztheater und Orchester. Neben diesem staatlichen Angebot gibt es zahlreiche kleine, private Bühnen wie die Comedy Hall mit dem Kikeriki-Theater, die Neue Bühne in Arheilgen oder den Verein „Freie Szene Darmstadt“, einen Zusammenschluss freier Theatergruppen und Einzelkünstler, der das Theater Moller Haus mit Programm für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Kultur füllt. In einer Artikel-Reihe, die das Resultat einer Kooperation der Hochschule Darmstadt, Studiengang Onlinejournalismus, mit dem P Magazin ist, stellen wir interessante Protagonisten und Projekte vor.

Seit der Spielzeit 2014/15 ist er der neue Schauspieldirektor am Staatstheater Darmstadt: Jonas Zipf. Am 21. Juli 1982 in Jugenheim geboren, in Ueberau aufgewachsen, Abi an der Bertold-Brecht-Schule in Darmstadt. Danach bereiste er die Theaterwelt (Bayerische Theaterakademie „August Everding“, Théâtre Alfortville Paris, Kampnagel Hamburg, Tacheles Berlin, Schauspielhaus Zürich, Stuttgarter Wagenhallen, Thalia Theater Hamburg, Theaterhaus Jena). Aktuell ist er auch noch als Kurator des Datterich Festivals im wie immer leidenschaftlichen Einsatz. Wir sprachen mit Jonas über das „neue“ Staatstheater Darmstadt mit seiner verjüngten Führung, Live-Kontakt zu den Besuchern, angemessene Kleidung – und den SV Darmstadt 98.

Warum sollten junge Leute ins Theater gehen? Kino bietet doch viel mehr, oder?

Jonas Zipf: Naja, ich würde das Kino mit dem Theater überhaupt nicht vergleichen. Das Theater ist eine Live-Kunst, die jetzt und unmittelbar vor unseren Augen stattfindet. Es gibt einen Moment von Gemeinschaftsbildung. Vierhundert Zuschauer sitzen zusammen in einem Saal und erleben gemeinsam diesen Moment, den es im Kino so nicht gibt. Kino ist ein und dasselbe Produkt, das weltweit gesehen werden kann. Theater ist total brüchig, kann schief gehen. Da ist immer der Kitzel dabei, dass es ganz knapp am Scheitern gebaut ist. Und das ist etwas, das in unserer Gesellschaft sehr, sehr selten geworden ist. Ich kenne das sonst nur noch aus dem Fußball-Stadion, wenn ich ehrlich bin.

Schaust Du Zeichentrickfilme?

Ja, natürlich. Ich bin extrem geprägt von den „Simpsons“. Ich kann mich daran erinnern, dass ich mit 13 die erste Staffel gesehen habe. Auch diese ganzen HBO-Serien haben mich geprägt, mittlerweile gehören sie zum guten Kulturkanon. Das ist das, was Schauspieler am Theater heute schauen. Die lesen weniger, als dass sie diese Serien schauen. Und das wird sich in absehbarer Zeit auch anhand der Formate, die wir machen, wiederfinden. Da bin ich mir ziemlich sicher. Aber warum fragt Ihr nach Zeichentrick-Serien?

Wir haben uns gefragt, ob Menschen vom Theater, von denen man so ein sehr hochkulturelles Bild im Kopf hat, nicht eher Arte gucken.

Das ist genau das Problem, dass dieses Vorurteil gegenüber Theater vorherrscht. Dass es sich quasi um einen Tempel der Hochkultur handelt und diese Schwelle erst übertreten werden muss. Dass man da abends gut gekleidet sein muss, das Stück vorher schon gelesen haben oder den Schauspielführer kennen muss, damit man überhaupt mithalten kann. Das entspricht überhaupt nicht meinem Begriff von Theater. In meiner Theaterwelt gibt es keinen Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigkultur. Es gibt keine Art von elitärem Kulturbegriff. Bei vielen Theatermachern meiner Generation ist das längst vorbei. Das hat sich nur noch nicht wirklich rumgesprochen, dass wir da ein bisschen anders ticken.

Und nach Feierabend: zur Entspannung lieber „Der Kaufmann von Venedig“ oder „Tatort“?

Wenn man am Theater arbeitet, dann fließen Freizeit und Arbeit ineinander. Freizeit wird oft mit Theaterbesuchen verplant und man könnte sich fragen: „Ist das jetzt Freizeit oder nicht?“ – auch beim „Tatort“. Ich versuche den regelmäßig zu schauen und es vergeht kein Sonntag, an dem ich nicht mindestens einen Schauspieler sehe, den ich persönlich kenne. Gerade im „Tatort“ sind viele Theater-Schauspieler dabei. Auch bei Filmen, das sind immer Inspirationsquellen. Wenn ich wirklich mal Abstand will, dann eher durch Sport oder Familie. Ich kann kein Buch mehr lesen und keinen Film mehr sehen, ohne dass das etwas mit meiner Arbeit zu tun hat. Einerseits traurig, aber andererseits auch ein Privileg.

Welche Schlagzeile würdest Du dieses Jahr am liebsten über Dich oder das Staatstheater lesen?

Ich schaue selten in die Presse. Wenn etwas wichtig ist, bekomme ich das meistens irgendwie mit. Ich freue mich aber manchmal auch über negative Schlagzeilen, weil sie Diskussionen entfachen und das Theater lebt von Auseinandersetzung. Mich würde viel mehr interessieren, was sich Leute eins zu eins zu sagen haben.

Gibt es schon einen Austausch mit den Zuschauern? Beispielsweise über Facebook?

Ich bin noch überhaupt nicht zufrieden, was soziale Medien anbelangt. Aber ich finde auch, man sollte das Thema nicht überstrapazieren. Das, was mich am meisten interessiert, ist der Live-Kontakt mit den Menschen. Den Kontakt suchen wir ziemlich intensiv und das funktioniert bisher auch gut. Es gibt Einführungen, Publikumsgespräche, einen Theaterstammtisch — man kann sogar Hausbesuche von uns bei einer Verlosung gewinnen. Da kommen oft interessante Gespräche und Rückmeldungen zustande.

Wenn Du einen guten Tag hast, tanzt Du dann auch mal durch den Flur?

Noch nicht. In Jena war das anders, da waren wir ein kleines, sehr junges Team. Da konnten wir auch schon mal unseriös wirken, wenn jemand anrief und bei uns laute Musik lief und zwei Leute am Rumschreien waren. Das ist jetzt ein bisschen anders. Das ist ein Staatstheater, damit muss ich mich noch ein bisschen zurecht finden. Ich bekomme manchmal Briefe von Abonnenten, die mir sagen, dass ich mich mal anders anziehen soll. Einmal wurde mir sogar vorgeschlagen, dass sie mit mir shoppen gehen und die Rechnung übernehmen würden. Da muss ich wohl ein bisschen acht geben.

Hast Du Marotten?

Ich habe den Hang, zu viel auf einmal zu machen, bin aber trotzdem kein Multitasker. Das ist für meine Kollegen, die das ausgleichen müssen, glaube ich, manchmal anstrengend. Ich nehme den Mund außerdem gerne ein bisschen voll. Ich bin ein Optimist und sage dann immer: „Wir machen das jetzt, kein Problem!“. Und ich arbeite zu viel, das macht meine Freundin wahnsinnig. Die größte Marotte, die ich habe, ist aber wahrscheinlich der SV Darmstadt 98.

Diese Marotte haben viele Darmstädter.

Ich habe diese Marotte seit 1997 und wir haben schon ziemlich harte Jahre durchlebt. Ich bin auch zu einigen Spielen, als ich in Hamburg, Paris und Schottland gelebt habe. Dann habe ich meine Reisen so gelegt, dass ich die Spiele sehen konnte. Jetzt zu den Heimspielen zu gehen und eine Dauerkarte zu haben, das ist Lebensqualität für mich. Weil ich den Verein wirklich liebe.

Was ist, wenn es mal stressig wird?

Fußball kann mich gut ablenken. Rugby und Schach auch. Und meine Familie, zu der habe ich ein sehr enges Verhältnis. Das ist ein guter Ausgleich für mich.

Du hast lange Zeit nicht in Darmstadt gelebt, was vermisst Du, wenn Du nicht hier bist?

Was ich hier mag ist, dass es kurze Wege gibt. Kulturarbeit in Berlin oder München ist viel abstrakter und anonymer. Dann mag ich sehr den Stolz vieler Menschen, die hier leben, was sich aber absurder Weise nicht nach außen überträgt. Diejenigen, die hier sind, sind gerne hier und schätzen die Stadt sehr. Es gibt eine gewisse Selbstironie, man kann herzlich über sich lachen. Ich kenne auch nicht viele Städte, die so klein und trotzdem so liberal sind. Zum Beispiel die Punks am Luisenplatz, die werden meistens in Ruhe gelassen. Darmstadt hat einfach etwas sehr Liberales, Offenes und Zugewandtes.

Also ist ein echter Heiner offen, liberal und selbstironisch?

Auch. Das sind jetzt aber nur die positiven Eigenschaften. Negatives gehört genauso dazu. Der Heiner ist ein unfassbarer „Knotterer“, es wird einfach gemeckert, was das Zeug hält. Heiner sind auch unglaublich träge. Es gibt eine ganz klare Beamtenmentalität in dieser Stadt. Insgesamt sind Heiner liebenswert, knorrig und eigenbrötlerisch.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Lena Klöppinger („Theater überrascht mich immer wieder“) + Laura Zachmann („Es ist der Reiz des Spontanen, denn Theater ist live.“)

 

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Foto: Staatstheater Darmstadt

Ich bin das Staatstheater

Ich bin 42 Jahre alt – 72iger Baujahr. Mein Vater ist der Darmstädter Architekt Rolf Prange. Gekostet habe ich über 70 Millionen DM. Man nennt mich „Staatstheater Darmstadt“. Ich beherberge drei Bühnen, alle benötigten Werkstätten und einen Großteil der Kulissenmagazine. Ich biete Platz für rund 1.700 Zuschauer. Zwischen 2002 und 2006 wurde ein Großteil von mir saniert. Endlich wurden Brandschutz und Arbeitssicherheit für meine Mitarbeiter verbessert. Ich habe schon viele Menschen kommen und gehen sehen. Innerhalb meiner Wände gab es Tränen, Lacher, Ärger und Erstaunen. Es sind Träume geplatzt, aber auch viele Träume wahr geworden. Willkommen! Tretet doch ein.

Text: Lisa-Marie Vogler („Im Theater bin ich hin- und hergerissen zwischen herzhaft lachen, zu Tode betrübt und beeindruckt. Wie im echtem Leben halt!“)

 

Die Autorinnen sind Teilnehmerinnen des Semesterprojekts „Theater in Darmstadt“ an der Hochschule Darmstadt, Studiengang Onlinejournalismus in Kooperation mit dem P Stadtkulturmagazin

www.hochschulprojekt.wordpress.com

 

Artikelbild
Foto: Inka Gösmann + Lisa-Marie Vogler
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Foto: Inka Gösmann + Lisa-Marie Vogler
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