Illustration: Marie Hübner

Es ist nicht vorbei. Das wird es auch nicht eines Tages sein. Nicht morgen oder Ende September. Auch nicht im nächsten Jahr. Oder im übernächsten. Es wird keine Nach-Corona-Zeit, kein Wie-Vorher geben. Das Virus wird uns von nun an begleiten. Eine neue Alltagsgefahr, der wir uns in diesem modernen Leben aussetzen. Wie Autofahren. Da schnallt man sich ja auch an, weil man weiß, wie gefährlich das ist. Also Maske auf und Abstand halten. Die Hände zu waschen war eigentlich schon immer wichtig. Klingt beinahe einfach.

Das ist okay. Immer nur Panik und Hyperventilieren machen nichts besser. Einen Alltag im Neuen zu finden, ist richtig und wichtig. Vielen gelingt das längst. Zum Beispiel denen, die keine Kindergarten- oder Schulkinder haben, die nicht mit einem Studium beginnen wollen, die kein schnuckliges Restaurant ohne Außenbereich ihr Eigen nennen, die keine gefährliche Vorerkrankung haben, die nicht zum medizinischen Personal dieses Landes gehören, Lehrende sind oder in der Kulturbranche arbeiten.

Ein ganz normales Leben in der Pandemie?

Nach sechs Monaten Pandemie ist den meisten die Lust an der Apokalypse gründlich vergangen. Die entpuppte sich ja doch eher als umständlich und langweilig, denn gefährlich mit Potenzial zum Heldentum. Überraschend viele stellen nun fest: Verrückt, das funktioniert ja, so ein ganz normales Leben in der Pandemie. Sogar ein Spanienurlaub war drin, Venedig ist ohne die vielen Menschen traumhaft schön, draußen sitzt es sich sowieso viel angenehmer und inzwischen ist auch der letzte Netflix-Neustart synchronisiert. Wirklich fehlen tut nichts. Die besten Freunde umarmt man wieder, die würden ja sagen, wenn – man mal die Maske vergisst, ist das auch nicht so schlimm, der Kioskbesitzer lässt einen trotzdem sein Bier zahlen – mein Gott, die Zahlen, da hört man schon gar nicht mehr hin. Sie steigen übrigens.

Für mich ist leider nichts wieder normal. Ich bin Kinder- und Jugendbuchautorin, eine sogenannte Solokünstler*in, die sich in diesem Jahr darüber definieren muss, dass sie – bis auf ein einmaliges Arbeitsstipendium über 3.000 Euro – keine staatliche Unterstützung bekommt. Plus 500 Euro von der Darmstädter Initiative „Wir für Kultur“.

Vom Schreiben konnte so eine noch nie leben. Das wurde zuvor schon bemängelt, aber nicht besonders laut. Bürgermeister dieses Landes verwiesen auf die Wichtigkeit unserer Arbeit (einfach wunderbar der Satz: „Lesekompetenz ist Lebenskompetenz.“), sie drängelten mit auf Pressefotos und lobten uns dann weg. Das funktionierte. Denn die landesweiten Lesungen ermöglichten ein finanzielles Auskommen. Schreiben konnte man ja im Zug oder im Hotel.

Seit März lese ich nicht mehr auf Festivals oder in Bibliotheken, gebe keine Schreibworkshops mehr an Schulen. Da die Zahlen nun wieder steigen, wurden mir auch die Herbst-Lesungen abgesagt. Man weiß eben nicht, was sein wird. Nein, das weiß niemand. Noch immer zu neu die Situation, zu unerforscht das Virus, zu unfass- und unberechenbar das menschliche Verhalten.

Zumindest Letzteres könnte anders sein. Doch fällt es eben schwer, im eigenen, sich wieder normalisierenden Alltag solidarisch mit denen zu bleiben, die plötzlich seltsam abgehängt wirken und irgendwie stören mit ihrem Mahnen und Jammern und diesem Nichts-tun-Können. Dabei wäre der kleinste solidarische Nenner, eine Maske zu tragen. Und nicht beleidigt den Mund zu verziehen, wenn man nicht zur Begrüßung umarmen möchte. Ich will das ja eigentlich auch. Aber in meinem Leben ist die Pandemie eben noch nicht vorbei. Nichts ist darin alltäglich, nichts stimmt oder ist richtig. Vieles ist zwar beinahe. Beinahe okay. Beinahe gut. Dennoch ist es das Falsche. Und Adorno sagt – Ihr wisst schon: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ – dafür wollte ich niemals den Beweis antreten. Das war quasi das Credo meines bisherigen Lebens. Bis zum 14. März 2020.

Output braucht immer Input.

Seit sechs Monaten fühle ich mich gefangen. Klar, ich genieße die kleinen Momente. Bin sowieso ein Mensch, der sich entgegen aller physikalischen Gesetze an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen kann. Dennoch. Ich verändere mich in diesem mir so falschen Leben auf eine Weise, die ich nicht mag. Ich bin ungeduldiger. Schneller genervt. Weniger tolerant. Ich verliere meine Mitte. Das ist nicht schön. Nicht für mich und nicht für andere. Dass ich gerade und bis auf unabsehbare Zeit kaum Geld verdiene, macht große Angst und viele Sorgen. Ich reise nicht, bin nicht unterwegs, treffe mich nur mit den immer gleichen Menschen, die ich liebe und mag, doch die anderen fehlen so sehr. Genauso wie die Musik. Festivals. Kunst. Kultur. Geschichten. Austausch. Die Weite. Das Bunte. Die Welt. Weil ich äußerlich nicht unterwegs bin, reise ich auch innerlich nicht. Das bedeutet: Ich kann gerade nicht schreiben. Nicht wirklich, nicht wahrhaftig. Nichts Gutes. Output braucht immer Input. Wenn der ein Kompromiss ist, ist es das Entstehende auch.

Mein Unwort des Jahres: systemrelevant

„Stell Dich nicht so an“, sagen die, die schon längst wieder angekommen sind. Sorry, ich muss mich aber anstellen. Denn ich bin Künstlerin, Autorin. Das ist nicht nur ein Talent, nicht nur Freude und eine selbstbestimmte Form des Lebens, das ist auch eine Bürde. Anderen von Gefühlen berichten zu können, sodass sie verstanden werden, bedingt eine sehr hohe Sensibilität. Genau die macht es mir gerade so schwer. Wer jetzt Mimimimimi denkt, liest nicht. Zu erfahren, dass die Solidarität der anderen rapide abnimmt, schmerzt. Und lässt mich auf ungute Weise über Wertigkeit nachdenken. Systemrelevant ist längst mein persönliches Unwort des Jahres.

Ich möchte aber weder verzweifeln noch bitterlich werden. Ich weiß, den Weg aus der Krise muss ich alleine meistern. Ich könnte sie beispielsweise wegklatschen. Das scheint sich bewährt zu haben. Oder ich mache einfach keine brotlose Kunst mehr. Dass die preisgekrönt und sogar für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2020 nominiert ist, egal. Ich meine, wer liest denn schon? Solange Netflix gute Serien … Die haben übrigens auch Drehstopp. Nur mal so am Rande. Wie die „Umbrella Academy“ – Achtung, Spoiler! Aber wer die zweite Staffel bis jetzt noch nicht sah, hat es auch nicht anders verdient … – in der Parallelwelt klarkommt oder wahrscheinlich eher nicht, das werden wir so bald nicht erfahren.

 

Antje Herden

„Ich reise durchs Leben und schreibe Geschichten. Gerne für Kinder“, bringt Antje Herden ihr Schaffen und Wirken auf den Punkt. Die ausgezeichnete Kinder- und Jugendbuchautorin (2019: Peter-Härtling-Preis, 2020: Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis) bereicherte das P Stadtkulturmagazin schon in seinen Anfangsjahren mit Texten und Aktionen wie Bookcrossing oder Do-It-Yourself-Anleitungen. Sie erfand den „Eintagsladen“ (einen Handmade- und Kreativmarkt) und die Reihe „Tischdienst“ (wunderbares gemeinsames Speisen, Plauschen und Gerichte-Tauschen). Seit 2010 arbeitet die 49 Jahre alte Wahl-Darmstädterin und Sehnsuchts-Hamburgerin hauptberuflich als Autorin und Redakteurin. Mit ihren zwei Kindern (19 und 22 Jahre alt) lebt sie im Johannesviertel.

facebook.com/Antje.Herden.Autorin

 

Wirtschaftsmotor Kultur- und Kreativwirtschaft

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist laut Wikipedia „ein Wirtschaftssektor, der sich mit der Schaffung, Produktion, Verteilung und/oder medialen Verbreitung von kulturellen/kreativen Gütern und Dienstleistungen befasst.“ Vielen nicht bewusst: Seit Ende der 1980er-Jahre entwickelte sich die Branche zu einem der dynamischsten Wirtschaftszweige der Weltwirtschaft.

In Deutschland sind – Stand 2018 – über 256.600 Unternehmen mit knapp 1,2 Millionen Kernerwerbstätigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft tätig. Die Quote der Selbstständigen ist mit 21,5 Prozent außergewöhnlich hoch. Ihr Beitrag zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung (Bruttowertschöpfung) in Deutschland betrug 2018 100,5 Milliarden Euro (Anteil am BIP: 3,0 Prozent). „Damit übertrifft die Kultur- und Kreativwirtschaft in Sachen Wertschöpfung inzwischen andere wichtige Branchen wie die chemische Industrie, Energieversorger oder Finanzdienstleister. Nur die Automobilindustrie erzielt mit aktuell 166,7 Milliarden Euro eine deutlich höhere Bruttowertschöpfung“, stellt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie fest.

Schwer nachzuvollziehen, warum Autoren, Filmemacher, Musiker, Ton- und Veranstaltungstechniker, bildende und darstellende Künstler, Architekten, Designer oder Entwickler von Computerspielen dann nicht als systemrelevant betrachtet werden.

kultur-kreativ-wirtschaft.de