Here comes the Man in Black! Der Darmstädter Jan Stütz sorgt seit den Neunzigern mit diversen Bands und Projekten – wie Frtznschndr, Lichtpausen, The Orphaned, Ufo vs. Riesenwelle oder derzeit Kolter – aus dem Keller der Oetinger Villa heraus für Bewegung in der Subkultur der Stadt: Mal punkiger, mal eher geräuschig, ab und zu melodisch, aber immer düster – passend zur Kleidung. Aber was hat dieser Mann mit Adriano Celentano zu schaffen? Dieses P-Hörspiel klärt es auf.
Stereolab / Nurse With Wound „Simple Headphone Mind”
Die beliebte englisch-französische Indie-Band lässt sich von dem Industrial-Avantgardisten Steve Stapleton aka Nurse With Wound remixen.
Jan [hört aufmerksam zu]: Ich lass mir ’n bisschen Zeit. Ist das Kreidler?
Nein. Man beachte die schönen Stereoeffekte.
Es ist aber nicht Stereolab, oder?
Doch. Zusammen mit „Nurse With Wound“.
Die sind auch so unheimlich vielfältig. Das ist auf jeden Fall ein Einfluss für Kolter. Es macht immer Spaß, eine Platte von denen zu hören, weil man nie weiß, was man erwarten soll. Industrial Music interessiert mich nicht aufgrund des
shocking factors, sondern weil es darum geht, Sounds zu erforschen.
My Bloody Valentine „Strawberry Wine“
Ein Frühwerk der legendären irischen Noisepopper um Kevin Shields vom Album „Ecstasy and Wine“, hier noch eher brav-indie-poppig.
[vor Beginn des Songs]: Oh je, jetzt kommt bestimmt noch viel nerdigeres Zeug …
Da könntest Du recht haben.
[nach drei Sekunden]: Ah, das ist My Bloody Valentine. Deren Album „Loveless“ ist ja der absolute Meilenstein. Schlüsselbegriff: Sound! Experimentieren! Mit Gitarren auch mal anders umgehen!
Was macht Kevin Shields denn derzeit so?
Festivals wie „All Tomorrow’s Parties“ organisieren und Platten produzieren, zum Beispiel mit J Mascis [Dinosaur Jr., Anm. d. Red.] und Patti Smith.
Einstürzende Neubauten „I Kissed Glenn Gould“
Die einstigen Krachmacher mit einem experimentellen Stück von ihrer 2007er Fan-Edition „The Jewels“.
Eindeutig Blixa Bargeld. Ist das von der letzten Neubauten-Platte?
Nein, nicht ganz. Das ist von den „Jewels“.
Darüber gibt’s auch eine sehr schöne Dokumentation: Die Neubauten hatten eine große Kiste mit Zetteln, die gezogen wurden und festlegten, wer welches Geräusch erzeugen soll. Dann sind die Jungs in ihr Lager gegangen, haben Klangmaterialien zusammengesucht und jeder für sich aufgenommen.
Hast Du die Neubauten schon mal live gesehen?
Nein – ich will mir da aber auch nicht den Mythos nehmen lassen. Da hör ich mir lieber die alten Achtziger- Jahre-Platten an und behalte meine Erinnerung.
Von Südenfed „Speech Contamination / German Fear of Österreich”
Der Sänger von The Fall, Mark E. Smith, hat es sich auf seine alten Tage nicht nehmen lassen, mit dem Düsseldorfer Duo Mouse On Mars ’rumzufrickeln. Und bei seinem Manchester-Deutsch klingt die Textzeile „Dein Pullover passt doch gut zu deinem neuen Rock“ wie „Pass tock good Sue Dinosaur Rock“.
Ah ja, das ist Mark E. Smith. Von Südenfed. Das war ja nur eine Frage der Zeit, bis der mit den Krautrockern was macht.
Verstehst Du, was er da singt?
„Zu seinem neuen Rock“? Schotte ist er aber nicht, oder?
Hast du das Konzert von Mouse On Mars im 603 gesehen?
Nee … da war ich wahrscheinlich gerade in Tokyo auf Tour. Mit Kevin Shields. Nein, schreib das nicht, dann bin ich der ewig-gestrige Hochstapler. Ich glaub, ich hab’s einfach nur verschlafen.
Ich schreib’ das mit Tokyo, das ist glamouröser.
Felix Kubin „Radio Pangäa”
Der enigmatische Hamburger Elektronik-Musiker, über den es einen englischen, aber keinen deutschen Wikipedia-Eintrag gibt, remixt die Schweizer Sonderlinge „Die Welttraumforscher“
[quält sich]: Ah … Scheiße, was is’n das? Ist das aus dem Düsseldorfer Neue-Deutsche-Welle Umfeld? Asmus Tietchens? Felix Kubin?
Letzterer.
Was ich so nett an Felix Kubin finde, ist, dass er sich zwischen den Welten bewegt. Avantgarde und Hochkultur. Er schlägt Haken und hält sich aus der Pfeife rauchenden Feuilleton-Ecke fern.
Der muss total früh angefangen haben, mit 13 oder noch früher.
Ja, ich hab beim Umzug alte Kubin-Tapes gefunden. Ich hab mit meinem Bruder im Grundschulalter auch alle drei Tage eine neue Band gegründet und NDW gemacht.
Sigur Rós „Gobbledigook“
Ein vergleichsweise poppiges Stück der Isländer, vom 2008er Album „Me su í eyrum vi spilum endalaust“.
Ah … Sigur Rós. Ich hab bis jetzt noch nicht rausgekriegt, ob das stimmt, dass sie in ihrer Phantasiesprache „Hopelandish“ singen, wie sie immer behaupten, oder einfach in Isländisch.
Außer Sigur Rós ist der einzige Musiker, der seine eigene Sprache erfunden hat, meines Wissens Adriano Celentano [auf der Single „Prinsencolinsinainciusol“, Anm. d. Red.].
Mir fallen da noch die Cocteau Twins ein. Da gibt es Fan-Foren, die Texte interpretieren, aber da geht es nicht um „Ja“ oder „Nein“, sondern Klang oder Schönheit. Das haben die Cocteau Twins womöglich mit Sigur Rós gemeinsam. Man könnte es als formale Oberflächlichkeit anprangern, aber ich find’s okay.
Und welche Rolle spielt jetzt Adriano?
Der hat das nötige Testosteron …
… für alle drei Bands zusammen Ich finde übrigens, dein bislang noch namenloses Pop-Projekt hat Anklänge an Sigur Rós.
Es gibt bei meinem Projekt keinen roten Faden. Aber Sigur Rós ist dafür schon eine der wichtigsten Erfahrungen. Wegen der sakralesoterischen Attitüde distanzieren sich ja viele von ihnen. Ich find’s aber eher aus ästhetischen Gründen gut. Mir geht’s ja auch nicht drum, Punkparolen zu grölen oder die innovativste Musik zu machen, sondern mir geht’s um Atmosphäre und Stimmung. Und wenn das wer kann, dann ist das unter vielen anderen – Sigur Rós. Es gibt nur gute und schlechte Musik. Wer hat das noch mal gesagt? Leonard Bernstein? Oder Adriano Celentano.
Wahrscheinlich war’s Celentano. Der hat beide Sorten gemacht.
Sisters Of Mercy „This Corrosion”
88er-Smash-Hit der Dunkel männer um Ober-Dunkelmann Andrew Eldritch
[lacht nach zwei Sekundenlaut auf]: Sisters Of Mercy! Da gibt’s eine sehr schöne Version von Lambchop, da ist komplett diese geballte Faust ’rausgenommen [lacht immer noch]. Unglaublich! Ein unglaublicher Text: „Bring diese Verrostung an mich!“ Jetzt bin ich mal gespannt, in welchem Zusammenhang Du das hier anbringst?
Ich dachte, das würdest Du mir sagen.
[weltmännisch]: Ja, damals, als ich mit Andrew Eldritch in San Francisco war … das war aber ’ne ganz andere Zeit … Ich hab mal ’ne Grufti-Doku gesehen, da hat Wayne Hussey [Gitarrist in der Sisters-Frühphase und Gründer von The Mission, Anm. d. Red.] gesagt, dass er zu Sisters-Zeiten immer mit ’nem Ständer ’rumgelaufen ist. Ist auf gewisse Weise auch Macker- Musik. Die Sisters Of Mercy haben mich nie interessiert, weil es mir zu viel Theater-Donner war. Diese gesamte Gothic-Sache ist ja relativ schnell als Theater-Szene entlarvt worden. Wenn schon Sisters, ist mir die „First And Last And Always“ viel sympathischer.
Unheilig „Geboren um zu leben“
Mittlerweile wohl die erfolgreichsten deutschen Gruftis, bekannt aus Funk und Fernsehen.
Oh nein!
Du hast es also erkannt?
Ja. Das ist die unheilige Brut. Generation Zillo. Verabscheuungswürdig.
Erklär mal dem Leser, warum das verabscheuungswürdig ist.
Ich fühl mich hier einfach verarscht, denn hier geht es um einen ganz berechnenden Umgang mit Gefühlen. Mit Musik kann man sehr gut Gefühlstiefe vorheucheln und an den Menschen bringen. Das hier ist alles berechnend produziert: Jetzt kommt auch noch der Kinderchor! Im Prinzip könnte das genauso gut die Schlager-Michelle sein, nur dass bei Unheilig nicht die junge Frau ihre Seelenpein, sondern der altersweise Patriarch seine Lebensweisheit absondert. Aber Du merkst schon, dass es mich auch emotional berührt, es lässt mich nicht kalt.
Fazit: Ja klar, kapiert! Wir merken uns also: Laut Adriano Celentano gibt es nur gute und schlechte Musik. Um erstere zu machen, hilft es unglaublich, sich eine eigene Sprache auszudenken. Und macht man letztere, wird man schnell zur unheiligen Brut. Besten Dank für diese Lektion, Man in Black! Es hat großen Spaß gemacht!