Grafik: Cestonaros Erben (Logo: Jan Ehlers)

Wer die letzten Spiele der Lilien besucht hat und sich auch nicht scheut, Facebook, Twitter und Fanforen aufzusuchen, dem kann schnell Hören und Sehen vergehen. Die Erwartungshaltung ist gewachsen, die Unzufriedenheit groß, die Stimmung angespannt, der Tonfall immer wieder anstrengend – und teilweise einfach unterirdisch.

Mitte November 2019: Die Lilien stehen in der 2. Bundesliga nach 13 Spieltagen an Position 13. Drei Siege, sechs Remis, vier Niederlagen. Fünf Punkte hinter Rang 4, fünf Punkte vor Platz 18. Alles noch drin also. Nach vorne, aber natürlich auch nach hinten. Nicht zuletzt deshalb ist die Stimmung im Herbst 2019 bei so manchem Fan ziemlich gereizt. Die Ansprüche sind gewachsen und da schließe ich mich ausdrücklich mit ein. Nach vier Jahren, in denen die 1. und 2. Bundesliga primär Klassenkampf bedeutete, sollte endlich der nächste Schritt in der fußballerischen Entwicklung der 98er folgen. Eigentlich keine allzu vermessene Erwartungshaltung. Umso mehr, als unter Dimitrios Grammozis und seinem Trainerteam im Frühjahr vielversprechende Schritte in diese Richtung unternommen wurden. Auch in dieser Saison wird der Ball deutlich häufiger in die gegnerische Spielhälfte kombiniert als geschlagen. Man hält den Ball länger in den eigenen Reihen und läuft ihm nicht so sehr hinterher. Doch im letzten Spieldrittel ist das Team schnell am Ende mit seinem Latein. Das Selbstbewusstsein ist nicht sonderlich ausgeprägt, Torabschlüsse sind Mangelware, die unzähligen Flanken eine leichte Beute der gegnerischen Abwehr. Und werden dann doch mal Schüsse abgegeben, dann sausen sie mit einer abenteuerlichen Streuung am Ziel vorbei. So wird der höhere Ballbesitz zum Muster ohne Wert.

Wenn Sehnsucht …


Die Sehnsucht nach einem schlüssigen Angriffskonzept mit schnellem und zielstrebigem Spiel ist derzeit sehr ausgeprägt. Auf den Rängen und erst recht in den (a)sozialen Netzwerken. Dabei vergisst man allzu schnell, welch Grottenfußball der SVD in der Endphase unter Torsten Frings und noch vor Jahresfrist unter Dirk Schuster dargeboten hatte. Rückstände waren die Regel. Ein Spiel dann noch zu drehen, war aufgrund begrenzter spielerischer Mittel und eines hölzernen Spielsystems so gut wie ausgeschlossen. Auch damals murrten die Fans, das gehört am Bölle schließlich zum guten Ton. Aber gerade, als sich das Team Anfang 2018 in schier aussichtsloser Situation befand, da standen die Anhänger wie eine Wand hinter ihren Jungs. „We fight together“ war der Slogan, der die Lilien zum kaum noch für möglich gehaltenen Klassenerhalt führte. Unvergessen, wie die Gegengerade im Spiel gegen Heidenheim ihr in Unterzahl spielendes Team noch zum Unentschieden trug. Dieser Spirit, der fehlt momentan. Aktuell kommt es mir so vor, als ob überall nur das Negative herausgekehrt wird. Dabei sah das Team nur in Osnabrück und in Fürth wirklich schlecht aus. Wir haben es immer noch mit einer jungen, entwicklungsfähigen Mannschaft zu tun, die ganz sicher nicht überragend spielt, aber auf Augenhöhe agiert. All das betrachten viele jedoch als nicht mehr ausreichend.

… in Unmut umschlägt


Wozu das führt? Zu Ungeduld und Unmut, die immer häufiger übers Ziel hinausschießen. Schon bei der Verpflichtung von Dimitrios Grammozis ging es in Fanforen und auf Facebook hoch her. Da wurde etwa die Gruppe „Lilienfans gegen Trainerexperimente“ gegründet. Da wurde Sportdirektor Carsten Wehlmann vorgehalten, er hätte sich nur für Grammozis entschieden, weil er einem (vermeintlich) alten Buddy einen Gefallen tun wolle. Der ehemalige Bundesligaprofi selbst wird heute noch von seinen Kritikern so dargestellt, als ob er von Fußball überhaupt keinen Schimmer habe. Und da war was los, als er sich erlaubte, den heiligen Tobi Kempe auf die Tribüne zu setzen. Irgendwann wurde er von einigen im Netz dann nur noch auf seine (familiäre) Herkunft reduziert. Von „der Grieche“ ist dann da zu lesen, der „Sirtaki tanzen“ solle und ähnliches. Gibt man bei Google jedoch die Suchbegriffe „Grammozis“ und „Herkunft“ ein, dann wird einem doch glatt die Karte von Wuppertal angezeigt. Denn dort ist der 41-Jährige am 8. Juli 1978 geboren. Dennoch oder gerade deshalb geht es einigen wohl nur darum, niedere Instinkte zu bedienen. Was soll das?

Krasse Ausfälligkeiten


Noch bitterer war es, was Serdar Dursun wiederfuhr. Als er gegen Regensburg beim Stand von 0:1 einen Elfer ziemlich arrogant ausführte und verschoss, da ging mir ein „Was für ein Depp“ durch den Kopf. Dass allerdings im gleichen Moment mehrere Lilienfans auf „meiner“ Gegengerade und angeblich auch im A-Block und auf der Südtribüne steil gingen und lautstark „Dursun raus“ skandierten, das war schon krass. Ja, Dursun polarisiert mit seiner durchaus eigensinnigen Spielweise. Ja, er hat bislang nicht so getroffen wie noch im letzten Jahr. Und ja, man darf für ihn durchaus einen anderen Stürmer in der Startelf fordern. Aber einen eigenen Spieler im eigenen Stadion derart anzugehen, das habe ich in meiner Lilienbiografie noch nicht erlebt. Dass mir dann auch noch ein Kumpel erbost berichtete, Dursun wurde schon im Heimspiel davor von einem Fan durchweg „Dürüm“ gerufen und nach einer vergebenen Chance als „Dreckstürke“ bezeichnet, das ist nicht zu entschuldigen. Da beginnt das Gift von Facebook & Co. langsam ins Stadion einzusickern und das darf nicht sein. Wer plötzlich Akteure und Verantwortliche des eigenen Klubs nach ihrer Herkunft kategorisiert und diffamiert, der hat definitiv andere Probleme, als dass der SVD eine weitere zähe Saison in der 2. Bundesliga spielt. Rund um die Lilien ist die Stimmung derzeit irgendwie anders. Hoffen wir, dass es nur eine kurze Episode ist. Denn eins täte uns Fans derzeit ganz gut: ein wenig Gelassenheit. Auch wenn’s schwerfällt.

 

We fight together!

So, 01.12., 13.30 Uhr: SVD – Arminia Bielefeld

So, 08.12., 13.30 Uhr: Wehen Wiesbaden – SVD

Mo, 16.12., 20.30 Uhr: SVD – VfB Stuttgart

Sa, 21.12., 13 Uhr: SVD – Hamburger SV

www.sv98.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

www.kickschuh.blog