Illustration: André Liegl

Liebe Leser, liebe Darmstädter,

da wir nun schon einige Gelegenheiten hatten, uns zu beschnuppern, ist es langsam mal an der Zeit, dass wir Tacheles reden. Ich bin, wann immer ich in der Stadt unterwegs bin, stets freundlich und herzlich aufgenommen worden. Ich mag die Orangerie und die Parkanlage drumherum und habe in der Centralstation schon viele gute Veranstaltungen besucht. Im Schlosskeller wurde ich mit der Early Late Night Show SNotLDaD perpetuell gut unterhalten und in der Krone hatte ich Freude daran, die tanzenden Menschen bei dem zu beobachten, was sie da so tun. Vermutlich tanzen. Doch liebe Darmstädter! Euer Hauptbahnhof ist wirklich eine Qual! Und das ist noch höflich. Friedrich Pützer hat sich 1912 sicherlich gedacht: „Geiler Bahnhof! Da muss ich mir selbst mal gehörig auf die Schulter klopfen!“

Ja, nee. Also, ja, damals war der Bahnhof sicherlich ein Gewinn, aber heute ist er einfach zu überlaufen. Im ersten Monat meines Pendlerdaseins hatte ich sehr oft das zweifelhafte Vergnügen, als einer von 40.000 Reisenden täglich den Darmstädter Hauptbahnhof als Umsteigepunkt nutzen zu dürfen. Ihr wisst um meine Reiselust mit der Deutschen Bahn, und dass ich gerne unterwegs meine Lieblingsstoffbeutel zeige, auch wenn es die anderen scheinbar nicht sonderlich interessiert, wie schön sie wirklich sind, weil sie nämlich gar nicht richtig hinschauen.

Wenngleich ich katastrophenerprobt in Sachen Fernverkehr bin, der Nahverkehr verlangt einer derart zarten Seele wie der meinigen allerhand ab. Gänzlich ohne Humor schafft es die Deutsche Bahn natürlich nicht: Umsteigezeiten sind derart knapp bemessen, dass man beim Gleiswechsel alles links, rechts und vor sich wegkicken muss, um die Regional- oder S-Bahn knapp am anderen Gleis zu verpassen. Andernfalls kann man warten, warten, warten.

Aufgrund der schlechten Informationslage mittels Lautsprecherdurchsagen kann man dies wenigstens immer wieder an einem anderen Gleis tun. Was also entweder bedeutet, sich durch die Menschenmassen auf den Haupttreppen zu wühlen oder den freundlichen, von jedem Gleis gut sichtbaren, Schildern zu folgen, die einen weiteren und somit schnelleren Gleiswechsel versprechen, würde man sich dazu herablassen, das Fahrradparkhaus zu nutzen. Natürlich eine Milchmädchenrechnung, denn die Radfahrer, die tatsächlich den an der Tür geforderten „Parkhausausweis“ für Zutritt und Nutzung in der Tasche haben, müssen ihre Vehikel die Treppe herauf- und wieder herunterschleppen. Was natürlich auch wieder Zeit und Nerven aller Beteiligten kostet. Das gibt ordentlich Punktabzüge, lieber Hauptbahnhof!

Nicht nur, weil es de facto keinen „schnelleren Gleiswechsel“ wegen des Aufeinandertreffens „Mensch ohne Vehikel“ und „Mensch mit Vehikel“ gibt, vielmehr ganz besonders deshalb, weil es eine Frechheit ist, dass das Fahrradparkhaus vom Gleis lediglich über eine Treppe erreichbar ist. Oder gibt es noch weitere, möglicherweise geheime Zugänge, die nur dann zu sehen sind, wenn das Vollmondlicht durch ein bestimmtes Loch in der Fassade scheint und ein X auf dem Boden erscheinen lässt? Die Bernsteintreppe. Der Bernsteinaufzug. Der Heilige Gleiswechselgral.

Es ist und bleibt ein Jammer. Die Treppen sind derart oft mit Menschen verstopft, dass man ausrasten möchte. Und manche tun dies ja auch. Alles an diesem Bahnhof ist zu klein, zu eng, zu wenig praktikabel und im Grunde eine Frechheit, den Menschen so etwas anzutun. Liebe Darmstädter, wie könnt Ihr das ertragen? Geht auf die Straße, protestiert, fordert einen besseren Bahnhof! Einen, den Ihr verdient habt!

Im Falle einer Demo werde ich mit Bier anbei stehen und gute Tipps zurufen. Den ein oder anderen hätte ich schon parat, dazu nach der Sommerpause mehr.

In diesem Sinne, liebe Leser und liebe Darmstädter, lasst Euch die Sonne auf die Plauze scheinen, aber vergesst nicht, Euch einzucremen. Und immer schön viel trinken.

Eure Moppel

 

Wer ist diese Moppel?

Moppel Wehnemann hat in Frankfurt für das „Caricatura – Museum für Komische Kunst“ gearbeitet und ist aktuell als Fotografin und Bloggerin aktiv. Der Pop-Redakteur Linus Volkmann nennt sie „eine beliebte und prominente Akteurin aus der Titanic-Clique.“ Ihre Hobbys: Bier, American Football, Postkarten und Satire. Außerdem ist Moppel Initiatorin der erfolgreichen Open-Air-Reihe „Bier trinken und Joggern gute Tipps zurufen“. Seit Sommer 2017 bereichert Moppel unseren Kolumnisten-Pool mit ihren Beobachtungen des Alltagswahnsinns.

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