Illustration: Martina Hillemann

Freitagabend im Hochsommer, 17.45 Uhr, trotzdem sind es noch 32 Grad und die Sonne hat enorme Kraft. Es ist schwül, die komplette Stadt flirrt vor Hitze, der Asphalt glüht. Allgemeine Feierabendstimmung, nichts wie nach Hause. Allen ist zu warm, wohin man schaut: schwitzig-glänzende, grimmige Gesichter. Es fallen einem auf Anhieb Tausend angenehme Dinge ein, die man zum Start ins Wochenende nun angehen könnte. Während alle nur nach Abkühlung lechzen, fassen manche Menschen exakt in dieser Situation den aktiven Entschluss, genau jetzt im Herrngarten eine Runde joggen zu gehen.

Man erkennt sie an schrillbunten, sündhaft teuren Sportklamotten schon von Weitem. Sie laufen ein bisschen zu schnell an Gruppen vorbei und man sieht an ihren leicht verkniffenen Gesichtern, dass das Training eigentlich nicht als Intervalleinheit geplant war. Egal … was muss, das muss. Mit der selbstverständlichen Sicherheit, das Richtige zu tun, drehen sie ihre Runden. Vorbei an improvisierten Grillplätzen, von denen der Geruch von leicht angekokeltem Grillkäse rüberweht, laut diskutierenden Shisharunden und der jeweiligen Outdoor-Trendsportart des Jahres, die auf den Wiesen des Herrngartens ausprobiert wird. Während andere noch keine fünf Sekunden auf der Slackline geschafft haben, joggen sie schon Runde drei fehlerfrei. Von der leisen Gitarrenmusik, die durch das Gemurmel der vollen Wiesen getragen wird, bekommen sie nichts mit: Die 450 Euro für die besten Noise-Cancelling-Kopfhörer waren gut investiertes Geld. Von der Welt nichts mitbekommen, während die Welt sehr deutlich mitbekommt, wie sehr man seinen Sport liebt.

Sollte man sie übersehen haben oder wenn sie von hinten überholen möchten, machen sie mit einem lauten „Voorrrsicht!“ auf sich aufmerksam. Meist folgt dann eine Art Tanz, eine witzige Choreografie verschiedener Interessen auf den Wegen zwischen Karolinenplatz und Schlossgartenstraße: Sporty Spice setzt zum Überholen an, das schlendernde Fußvolk erschrickt sich und wechselt hektisch die Richtung, es folgen einige Ausweichmanöver beider Parteien, die nach endlich erfolgtem Überholvorgang mit einem leisen, aber deutlich wahrnehmbaren Zischlaut, wie er abfälliger nicht in eine schnelle Atmung passt, quittiert werden. Nur zum obligatorischen Augenrollen wird sich noch mal umgedreht, die Amateure sollen ruhig mitbekommen, dass solche Aktionen das Tempo stören. Nach einem beherzten Sprung über ein Kleinkind mit Laufrad und einer halben Drehung an einem hechelnden Hund vorbei, wird das Tempo gesteigert und zur nächsten Runde angesetzt. Okay, Olympia fällt dieses Jahr aus, aber wir alle sehen: Du bist in Bestform. Du bist die Überlegenheit in Hightech-Joggingschuhen und glänzender Funktionsklamotte. Du bist super fit und Dein Herz-Kreislauf-System ist durch jahrelanges Training an extreme Wetterbedingungen angepasst. Du gehst laufen, egal ob es 40 oder -10 Grad ist. Alles andere wäre eine unnötig verweichlichte Ausführung Deines Hobbys und dann kann man es direkt lassen. Unter zehn Kilometern schickst Du noch nicht mal einen Screenshot Deiner Laufauswertung an Deine Laufgruppe. Denn das ist ein Spaziergang und nicht erwähnenswert.

Nach mindestens einer Stunde emsigem Gerenne durch den Herrngarten folgt die Kür des Abends: das langsame Auslaufen. Lautes Schnauben, die Arme schwingen links und rechts am Körper, wippender Gang. Alle dürfen an diesem Moment teilhaben, dass das Training nun beendet ist. Je nach Laune folgen noch einige akrobatische Dehnübungen, gut sichtbar für alle. Man muss seine Vorbildfunktion schließlich ernst nehmen, auch wenn der Applaus leider wieder mal ausbleibt. Die Übungen sehen vielleicht aus wie die Zugabe beim „Cirque du Soleil“, sind aber selbstverständlich das Ergebnis der neuesten wissenschaftlichen Forschung zum Thema Ausdauersport.

Nachdem auch diese Übungen mit Bravour gemeistert wurden, traben sie davon, die Athletinnen und Athleten dieser Stadt. Ganz sicher kommen sie morgen zurück, es soll ja wieder sehr heiß werden.

 

Du bist fies? Ich bin Fiesa!

Ich bin Isa, 32, spiele Roller Derby und mag Tierbabys aller Art. Ich wohne seit 2007 in Darmstadt, wollte nur kurz zum Studium bleiben … das hat ja hervorragend geklappt. Darmstadt war Liebe auf den zweiten Blick und ist Zuhause geworden. Die Schrullen und Besonderheiten der Stadt bringen mich zum Lachen, daran wollte ich Euch teilhaben lassen. Da ich keine echte Heinerin bin, ist das natürlich nie ganz ernst zu nehmen und mit einem Augenzwinkern zu verstehen.