Zwei rechteckige Aussparungen, umrandet von seicht windschiefen, geometrischen Strukturen. Wie eine riesige, auf dem Erdboden platzierte Brille wirkt diese Skulptur, die umringt ist von Bäumen und anderen Natürlichkeiten. Und so wie eine Brille auch, kann dieses Werk als Sehhilfe verstanden werden. Sie umrahmt einen klaren Bereich und gibt dem Auge eine leicht verdauliche Menge dessen, was wir Landschaft nennen. Aber was ist das eigentlich, Landschaft?
Der französische Philosoph François Jullien hat vor einigen Jahren ein Buch mit dem Titel „Von Landschaft leben“ geschrieben und denkt genau über diese Frage nach. Die Wörterbuchdefinition lautet, dass Landschaft „[…] der Teil eines Landes ist, den die Natur dem Betrachter präsentiert. Das Gebiet, das sich so weit erstreckt, wie das Auge sehen kann.“ Jullien stellt diese Definition dem chinesischen Verständnis der Landschaft gegenüber. Im Chinesischen wird der Begriff für Landschaft mit „Berg(e)-Gewässer“ (shan shui) oder „Berg(e)-Fluss/Flüsse“ (shan chuan) wiedergegeben. Diese Terminologie bezeichnet nicht einen vom Auge des Betrachters eingerahmten Teil der Natur. Vielmehr beschreibt er ein dynamisches Zusammenspiel von Kräften, die die Welt grundlegend formen und organisieren. Es spiegelt zwei gegensätzliche und doch komplementäre Tendenzen wider: auf der einen Seite das Streben nach Höhe, Unbeweglichkeit, Beständigkeit und Form, repräsentiert durch die Berge; auf der anderen Seite die Neigung zu Tiefe, Bewegung, Variabilität und Formlosigkeit, symbolisiert durch das Wasser. Dieses Konzept verkörpert das Zusammenspiel von festen und verstreuten, stabilen und fließenden Elementen, die miteinander verschmelzen und sich gegenseitig verstärken. Ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Sprache zu einer völlig anderen Wahrnehmung dessen führen kann, was man betrachtet, auch ohne Besuch beim Optiker.
Kunst im öffentlichen Raum
Kunst findet man nicht nur in Museen und Galerien, sondern oft auch im Freien und für jede:n sichtbar. Manche Werke sind schon seit Jahrhunderten ein Teil des Stadtbildes, andere zieren es nur kurz. In Darmstadt haben einige Fügungen des Schicksals dafür gesorgt, dass es besonders viele Kunstwerke im öffentlichen Raum gibt. Ohne die schützenden Laborbedingungen eines White Cube gehen sie allerdings schnell unter. Dabei können gerade diese stillen Zeitgenossen unsere Wahrnehmung des Stadtraumes verändern und unser Verständnis von Welt herausfordern. Eine Einladung zum Fantasieren.