Illustration: André Liegl

Liebe Leser, liebe Darmstädter,

der Umwelt zuliebe, weil ich nie eine Fahrerlaubnis für motorisierte Fahrzeuge erworben habe, schlussendlich aber weil ich es kann, fahre ich Fahrrad. Bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit. Meistens sogar sehr gerne. Ist ja schließlich auch gesund. Sieht man mal von dem Umstand ab, dass Radfahrer im Straßenverkehr zuweilen nicht nur als Ärgernis, sondern schlichtweg auch als Hindernis, wenn nicht sogar als das absolute Böse, wahrgenommen werden und tunlichst von der Straße geschoben werden müssen. Dann kann es fix einmal ungesund werden. Sei es, weil der notwendige Sicherheitsabstand von 1,50 Meter beim Überholvorgang versehentlich nicht eingehalten wird und der Seitenspiegel des Kraftfahrzeuges den Radler sogleich in parkende Wagen stupst oder weil der Radfahrer mal wieder seinen, wenn er nicht gerade Schwarz trägt und ohne Licht fährt, Unsichtbarkeitsumhang trägt und beim Rechtsabbiegen für „normale Menschen“ deshalb gar nicht da ist. So bekommt der Begriff „toter Winkel“ einen möglicherweise schnell eintretenden Wahrheitsgehalt. Also, das mit dem tot. Schon mal ein sogenanntes Ghost Bike gesehen? Geisterräder sind weiß angestrichene Fahrräder, die an Orten aufgestellt werden, an denen es zu – meist tödlichen – Unfällen mit Radfahrern gekommen ist. Diese Räder sind in ihrer Funktion nicht nur Gedenkstätten, sondern auch Mahnmale und sollen ein Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer schaffen, achtsam zu bleiben. Oder zu werden.

Als Verkehrsteilnehmer sollte man ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit an den Tag legen. Das betrifft ja grundsätzlich erst einmal alle Menschen. Fußgänger, Radfahrer, Roller- und Motorrad-, Auto-, Lkw- und Baustellenfahrzeugfahrer. Ziemlich genau ist das auch die aufsteigende Rangfolge im Straßenverkehr. Optimal wäre, wenn jeder auf den nächst Schwächeren besonders achtgeben würde. Und auf den nächst Stärkeren. Also, im Prinzip jeder auf jeden. Der Lkw-Fahrer sitzt traditionell weit oben und schaut demnach auf alles, was sich bewegt. So er es denn sehen kann. Auto-, Motorrad-, Roller- und Radfahrer sind zwar näher an der Straße, sollten ihre Augen jedoch nicht minder nutzen. Wenn nun der Fußgänger es den anderen gleichtut und auf alles achtet, was sich in irgendeiner Weise bewegt, haben wir einen hübschen Achtsamkeitskreislauf. In der Theorie. In der Praxis gibt es Handys, Kopfhörer und allerlei nicht offensichtlich erkennbare Mittelchen der Ablenkung, die es uns ermöglichen, vor Laternen oder in Menschen hineinzulaufen, eine rote Ampel zu übersehen oder aber in einen Graben zu plumpsen. Wunderwerk Mensch.

Überall dort, wo ein Individuum auf ein anderes Individuum trifft, das nicht das tut, was erwartet, mitunter sogar verlangt wird, sind Konflikte vorprogrammiert. „Das war meine Spur, Du Ficker!“, schrie es kürzlich auf einer zweispurigen Straße aus dem geöffneten Fenster eines weißen Kleintransporters heraus, der im Begriff war, eine Frau in ihrer schwarzen Limousine von der Straße zu drängen, weil er sich von ihr genötigt, missachtet, ja respektlos behandelt fühlte. Was ihm natürlich unweigerlich das Recht auf Nötigung und Beleidigung verlieh. Das vermeintliche Recht des Stärkeren eben. Von den Pöbeleien nahezu unbeeindruckt entschied die Gute nach einer kurzen Denkpause über den Bordstein zu fahren und somit aus dem Konflikt heraus die Flucht anzutreten. Wütend hupend fuhr der Mann ihr nach. Dass bei dieser Aktion keine Menschen verletzt wurden, ist lediglich dem glücklichen Umstand geschuldet, dass an dieser Stelle der Kreuzung gerade niemand an der Fußgängerampel stand. Wie die Geschichte der beiden ausging, weiß ich natürlich nicht. Wohl aber, dass hupen hilft. Immer.

Stau wegen einer roten Ampel? Hupen hilft. Menschen auf einem Zebrastreifen? Hupen hilft. Kein Ventil für Aggressionen? Hupen hilft. In derartigen Situationen lediglich unbeteiligter Beobachter zu sein, hilft ungemein für eine emotionslose Kenntnisnahme, etwa einem Kopfschütteln oder einem „Also, so was aber auch!“, eine Randnotiz, die man ruhigen Gewissens in die geistige Ablage „erledigt“ stopfen kann.

Ich habe in einer Straßenverkehr-Konfliktsituation einmal einen Rüpel gefragt, ob er tanzen könne. Das hatte selbstredend nichts mit der Situation zu tun und die Verwirrung über meine, zunächst unsinnig erscheinende Frage, stand ihm in großen, bunten Lettern ins Gesicht geschrieben. „Ähm, ja, nee. Doch. Ja, ich kann tanzen. Warum?“ kam es wort- und geistreich aus ihm heraus gestammelt. Ich atmete einmal tief durch, baute mit einer bedeutungsschwangeren Pause einen Spannungsbogen auf und sagte „Dann tanz ab!“, ließ ihn und sein Fragezeichen im Gesicht zurück, triumphierte innerlich über meine Anti-Konflikt-Strategie durch Verwirrung und setzte meinen Weg fröhlich fort. Dummerweise kam ich nicht besonders weit, weil die Ampel auf Rot sprang. Der Wagen hielt neben mir und ich sah mich schon mit einem blauen Auge im Krankenwagen sitzen. Da spricht es zu mir „Kannst Du denn tanzen?“ Da hatte er mich! „Äh, ja, nee. Kann ich nicht“, hörte ich mich es ihm wort- und geistreich gleichtun. „Aha!“ sprach es und ließ den Motor aufheulen. Keine Pointe. Die Ampel sprang auf Grün und jeder setzte seinen Weg ohne einen weiteren Kommentar fort.

In diesem Sinne, liebe Leser und Darmstädter, gebt immer fein acht, kommt gut durch den Sommer und denkt beim Tanzen mal an mich.

Eure Moppel

 

Wer ist diese Moppel?

Moppel Wehnemann hat in Frankfurt für das „Caricatura – Museum für Komische Kunst“ gearbeitet und ist aktuell als Fotografin und Bloggerin aktiv. Der Pop-Redakteur Linus Volkmann nennt sie „eine beliebte und prominente Akteurin aus der Titanic-Clique.“ Ihre Hobbys: Bier, American Football, Postkarten und Satire. Außerdem ist Moppel Initiatorin der erfolgreichen Open-Air-Reihe „Bier trinken und Joggern gute Tipps zurufen“. Seit Sommer 2017 bereichert Moppel unseren Kolumnisten-Pool mit ihren Beobachtungen des Alltagswahnsinns.

www.facebook.com/moppelmett.de