Foto: Jan Ehlers

Hinter dem Alias „Karwath+Todisko“ verbirgt sich wider Erwarten kein angesagtes osteuropäisches Indie-Electro-DJ-Duo, sondern die Darmstädter Künstlerin Inna Wöllert. Den einschlägig interessierten Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt sollte sie spätestens seit ihrer Installation goldschimmernder Objekte im ehemaligen Atomschutzbunker unter dem Karolinenplatz bekannt sein. Was sie so mit Altersheimen, Ameisen und Alfred Hitchcock anfangen kann, klärt unser aktuelles Hörspiel …

Chic „Soup for One“

Nile Rodgers Mutter aller Disco-Projekte mit einem etwas unbekannteren Stück von 1982, das das französische House-Duo Modjo viel später für seinen Riesenhit „Lady“ sampeln sollte.

Inna: Ah, das ist Disco. Geht’s hier um meinen Künstlernamen? Ich hätte bei dem Song auf Diana Ross getippt. Aber es geht ja um den Namen, richtig?

Das P: Ja. Das ist Chic mit „Soup for One“, aber viel mehr interessiert mich, wie man als Einzelperson auf den Namen „Karwath+Todisko“ kommt.

In Berlin, wo ich Bühnenbild studiert habe, liefen meine Projekte unter dem Titel „Inna Todisko“. Beide Namen, die ich heute nutze, sind in meiner Familie begründet: Karwath ist der Mädchenname meiner Mutter, und Todisco ist ein italienischer Name aus meiner Familie, das hat was mit „tedesco“, also deutsch, zu tun [eine Gemeinsamkeit mit dem italienischen Fußballspieler und -trainer Giovanni Trapattoni, der zu seiner aktiven Zeit wegen seiner blonden Haare und stahlblauen Augen ebenfalls „il tedesco“ gerufen wurde, Anm. d. Red.].

Sonst gibt es aber keinen Bezug zur Disco, oder?

Nein – ich habe den Namen ja „ent-disco-t“, durch das „k“. Das schreibt ja heute keiner mehr mit „k“, oder?

Nur die Rockformation Diskokugel.

Ach so, die, ja klar.

 

Kraftwerk „Boing Boom Tschak“

Die Düsseldorfer Elektro-Pioniere, gerade unlängst mal wieder mit einem Grammy bedacht, mit dem Opener ihres 1986er Albums „Electric Café“, das sie später in „Techno Pop“ umbenannten und das die gleichnamige Musikrichtung kräftig angeschoben hat. Der Titel ist übrigens eine selbstironische Replik an Kritiker, die ihre Musik despektierlich als „Bumm-Tschak-Musik“ bezeichnet hatten.

Kraftwerk!

Gleich nach zwei Sekunden erkannt?

Inna [stolz]: Ja, ich könnt‘ auch ‘ne Band sein [Offenbar geht die Künstlerin hier fälschlicherweise davon aus, dass sich alle Musikschaffenden bei unserem Hörspiel toooootal auskennen, während die ganzen Künstlerpolitikerfilmemacher dilettieren. Dabei finden sich genügend Gegenbeispiele im Hörspiel-Archiv – wie zum Beispiel 47 Million Dollars, die die Beatles nicht erkannt haben (im Juli-P 2008)]. Ich erinnere mich an das Video. Das war die Zeit, in der man als junger Mensch „Formel Eins“ geguckt hat.

Die Älteren werden sich erinnern… Aber mir geht es hier darum, dass Kraftwerk zum Beispiel mit synthetisch erschaffenen Stimmen an der Schnittstelle zwischen „digital“ und „analog“ gearbeitet haben. So ähnlich wie Du bei Deinem neuen Projekt „HLR LICHTENBERG1“, bei dem Du Aphorismen von Lichtenberg als binäre Codes und Buchstaben in Leuchtschrift an das Rechenzentrum der TU Darmstadt gebannt hast.

Ja, da geht es um die Nullen und Einsen, also darum, diese hochkomplexen Vorgänge im Inneren des Rechenzentrums in ganz einfacher Form darzustellen. Der Binärcode ist auch lesbar … für Nerds! [lacht]

Wie haben denn die Leute von der TU darauf reagiert?

Positiv! Der Auftrag lautete ja, eine Lichtinstallation für die Fassade dieses Gebäudes zu entwerfen. Das Konzept hat schon überzeugt, sonst wäre es ja nicht umgesetzt worden. Der Lichtenberg-Text selbst war für mich dann auch noch mal überraschend. Ich hatte mich mit ihm vorher nicht befasst und war dann überrascht und begeistert von seiner Aktualität.

 

Die Ärzte „Wir waren die Besten“

2007 hat die selbst ernannt beste Band der Welt auf der Bonus-Single zum treffend betitelten Album „Jazz ist anders“ einen Blick in die Zukunft gewagt – und ein erschreckendes Bild von sich selbst im Altersheim gezeichnet. Am Ende wird dann auch noch Phil Collins beerdigt.

Das sind die Ärzte, oder? Ach, hier geht’s natürlich um „Attacke Alter!“ [ein Theaterprojekt des Theaters Oberhausen, für das Inna 2010 das Bühnenbild gestaltet hat].

Genau. Ich musste auch lange überlegen, bis ich zu der Thematik einen Song gefunden habe. Alter scheint als Thema für Popsongs zu unsexy zu sein.

Inna [überlegt]: Hmm … vielleicht bei Johnny Cash. Obwohl … bei dem geht es ja eher um Tod, Reue und Vergänglichkeit.

Und bei „Attacke Alter!“?

Das war ein partizipatorisches Theaterprojekt mit Betroffenen, in diesem Falle also Senioren. Wir nennen sie nicht Laienschauspieler, sondern „Experten ihrer Situation“, weil sie ja etwas können und wissen, wovon die professionellen Schauspieler keine Ahnung haben. Ich hab damals das Bühnenbild gemacht – vor allem den Vorhang, der im Laufe des Stücks immer näher an die Schauspieler rankam, bevor er sie am Ende ganz verdeckte. Das ist ein Projekt, das Leute ins Theater kriegt, die normalerweise nicht dorthin gehen – und das ist ja der Sinn von subventioniertem Theater.

Und das Stück? War das eher schwere Kost?

Nein, nein – das war auch ein lustiger Haufen. Das waren alles sehr individuelle Persönlichkeiten, und mir wurde vermittelt: Man ist so alt, wie man sich fühlt.

Klar, warum sollen die Leute im Alter auf einmal alle gleich sein?

 

Adam & The Ants „Ants Invasion“

Der vom Punk auf die dunkle, sprich: kommerzielle Seite des Pop hinübergewechselte Adam Ant sang 1980 auf dem Album „Kings Of The Wild Frontier“ über ein in der damaligen Zeit passendes Thema: Ameisen!

Ich tippe auf Ende der Siebziger. Ich wüsste aber nicht, wer es ist.

Das sind Adam & The Ants.

Ach, hätte ich auch fast gesagt. Adam Ant: Der war ja sehr clean, geschminkt, mit Kapitänsjacke und Rüschen [im Video zum Song auch genau in diesem Aufzug zu bewundern].

Und wie ist das mit Deinem „Ameisen Report“ [Theaterstück von Heike Scharpff im Frankfurter Mousonturm, zu dem Inna 2011 das Bühnenbild entworfen hat]?

Auch das ist ein Stück über „Experten ihrer Situation“, zum Thema Bedingungsloses Grundeinkommen. Das wurde auch damals schon viel diskutiert, galt aber also noch viel utopischer, als man es heute wahrnimmt. Da haben wir mit einer Friseurin, einer Reinigungskraft und drei Schauspielern gearbeitet und die haben das Thema „Arbeit“ rauf und runter dekliniert. Für die beiden mit den schlecht bezahlten Berufen war das total hart, weil die ja neben ihrer Arbeit auch noch zu den Proben gehen mussten – was uns auch vor moralische Probleme gestellt hat: Wenn bei denen dreimal die Arbeit ausfallen musste, wurde es für sie finanziell gleich haarig.

 

The Ramones „We’re a Happy Family“

Die New Yorker Punks besingen auf diesem 77er-Kracher ironisch bis sarkastisch das ach so nette Familienleben.

„We’re a Happy Family“ – aber von wem? Ich würde sagen, gleiche Zeit wie Adam Ant.

Fast – es sind die Ramones.

Die sind an mir vorbeigegangen. Ich weiß nur: Früher hatten immer alle diese Ramones-T-Shirts mit dem Adler-Logo an …

Das Thema „Familie“ scheint Dich zu beschäftigen, oder? Das ist mir zum Beispiel beim Theaterstück „Chronik von fern“ aufgefallen, wo ein „Fuck The Family“-T-Shirt auftaucht.

Das ist aber nicht meine Familie. Bei Arbeiten wie „Missed“ [ihrer Meisterschülerarbeit an der Kunsthochschule Berlin Weißensee 2006] habe ich dagegen ganz autobiografisch gearbeitet. Ich habe dabei eine Videoarbeit mit meiner Mutter gemacht und sie dabei in einen Hitchcock-Kontext gesetzt. Ich habe 50er-Jahre-Bilder meiner Mutter in Standbilder von „Vertigo“ eincollagiert und sie einen wichtigen Dialog aus dem Film sprechen lassen. Das Autobiografische schneidet meine freien Arbeiten, die ich so ab 2012 gemacht habe, viel stärker als die Theaterarbeit davor. Das Summen meiner Tochter habe ich beispielsweise schon in Werke eingebaut. Mein Freund und mein Vater wurden auch schon in Projekte eingespannt. [lacht]

 

The Fall „My New House“

Am 23.01. dieses Jahres starb Mark E. Smith, der Sänger der nordenglischen Postpunk-Institution The Fall – bei der sehr empfehlenswerten Reihe „Die besondere Platte” im Hoffart-Theater meinte zwei Tage später der Plattenvorspieler Lolo Blümler, dass es deshalb nun „erste Bürgerpflicht” sei, den Menschen The Fall vorzuspielen und sie von deren Brillanz zu überzeugen. Außerdem hätten zu diesem Stück aus dem Jahr 1985 in der Krone immer alle getanzt …

Inna [zuckt mit den Schultern]: Keine Ahnung, was das ist. Am Anfang war ich besser … Das kenn‘ ich jetzt gar nicht.

Das ist The Fall. Ich wollt’s Dir vorspielen, weil das wohl ein alter Hit aus der Krone ist.

Ach so! Natürlich war ich früher Dauerstammgast in der Krone, ich hatte sogar eine Monatskarte.

Bist Du folglich auch von DJ Kemal musiksozialisiert?

Ja, schon. Aber wo war ich dann nur, als dieses Lied lief? Vermutlich in der Rocky Bar!

Wie stehst Du denn zu den „Etwa 50“-Krone-Revival-Parties, von denen die erste Ende Dezember stattgefunden hat?

Ach, ich war nach Weihnachten da, da war ich auch gerne. Aber ich denke so: Das war früher schön. Fertig. Mein Leben – und auch mein Ausgeh-Leben – spielen sich heute woanders ab. Obwohl die Krone natürlich eine totale Institution ist und es großartig ist, dass darüber noch keine Investitionswelle hinweggeschwappt ist. Aber weißt Du: Wenn man in Frankfurt die Vernissagen abklappert, dann ist man auch ganz schön beschäft…

… soffen!

Inna [lacht]: … und zwar umsonst!

P [lacht mit]: Inna, vielen Dank fürs Mitmachen.

 

HLR LICHTENBERG1

Die aktuelle Lichtinstallation von Karwath+Todisko ist seit Januar 2018 dauerhaft an der Fassade des Hochleistungsrechners der Technischen Universität Darmstadt, Campus Lichtwiese (Gebäude L5|08, Günter-Behnisch-Straße 4), zu sehen.

www.todisko.com