Warum die Kommunalwahl 2016 das Regieren komplizierter macht: Die Darmstädter Wähler haben einen klaren Regierungsauftrag erteilt – und Lokalpolitik komplizierter gemacht. Die Grünen bekamen mit 29,7 Prozent mehr Stimmen als jede andere Partei in einer hessischen Großstadt. Selbst die SPD holte in ihrer Hochburg Kassel nur 27,5 Prozent. Doch die bisherige grün-schwarze Koalition hat die Mehrheit in Darmstadt verloren und muss einen weiteren Partner ins Boot holen – oder mit wechselnden Mehrheiten regieren.
Denn die Gewichte haben sich verschoben: CDU (18,2 Prozent) und SPD (17,2 Prozent) bleiben zusammen unter 40 Prozent. Mehr als ein Drittel der Stimmen haben klassische kleine Parteien auf sich vereint. Wir haben damit ein erfreulich buntes Stadtparlament bekommen – große Teile der Bevölkerung Darmstadts sind vertreten. Deutlich mehr als 50 Prozent der Wähler haben mit der Personenwahl eigene Prioritäten gesetzt und ihre Stimmen auf mehrere Listen verteilt. Das spricht für die demokratische Kultur – auch wenn es dem Magistrat die Arbeit nicht leichter machen wird. Aber das ist nicht die Aufgabe der Wähler.
Vor fünf Jahren wurden die Grünen (nach Fukushima und dem Bürgerentscheid zur Nord-Ost-Umgehung) überraschend stärkste Fraktion. Nach Jahren einer für sie oft demütigenden Rot-Grünen Koalition entschieden sie sich, mit der CDU zu koalieren. Das kam für die Anhänger beider Parteien völlig unvorbereitet. Insofern hätten die Verluste für beide auch größer ausfallen können.
Die Gewinne von FDP (+ 2,1 Prozent) und Uwiga (konservativ-bürgerliche Wählervereinigung, + 0,2 Prozent) sind deshalb wohl auf ehemalige CDU-Wähler zurück zu führen. Genauso sind die 3,2 Prozent, die den Grünen verloren gingen, wohl überwiegend zur Linken (+ 2,9 Prozent) und zu Uffbasse (undogmatisch-linke Vereinigung, + 1,2 Prozent) gewechselt. Reaktionen auf eine Koalition über die Grenzen der politischen Lager hinweg. Zudem hat der uninspirierte Plakatwahlkampf der CDU die eigene WählerInnen sicher nicht gerade mobilisiert.
Kompliziertere Lokalpolitik
Die erneuten Verluste der SPD – obwohl stärkste Oppositionspartei – sind nicht überraschend. Sie hat weder in ihrer politischen Arbeit noch im Wahlkampf erklären können, was sie aus den Fehlern während ihrer 65-jährigen Regentschaft, der Darmstadt viele seiner grundlegenden Probleme verdankt (Finanzen, Wohnungsnot, Autoverkehr) gelernt hat und jetzt anders machen will. Von ihrer oft populistischen Rhetorik hat sie nicht profitiert. Resultat: Verlust von weiteren 4,4 Prozent.
Anders die kleinen Oppositionsparteien: Uffbasse ist für konstruktive Sacharbeit mit einem erneuten Stimmenzuwachs belohnt worden. Auch FDP und Uwiga haben profitiert. Lediglich die Piraten sind wegen des angeschlagenen Images ihrer Bundespartei auf einen Sitz gestutzt worden. Ihnen fehlt lokale Verankerung, die dafür sorgt, dass ihre inhaltliche Arbeit auch wahrgenommen wird. Der bisherige Wettbewerbsvorteil Internet ging verloren: Grüne und Uffbasse haben viel gelernt und sind im Netz sehr aktiv.
Obwohl die AfD im Wahlkampf praktisch nicht stattgefunden hat und die Ziele ihres „Kommunalwahlprogrammes“ zu mehr als der Hälfte außerhalb der Zuständigkeit der Stadt liegen, kam sie auf 9,2 Prozent. Die Meisten, die für die AfD gestimmt haben, hätten wohl auch für einen Sack Kartoffeln gestimmt, wenn nur „gegen Flüchtlinge“ drauf gestanden hätte.
Nun stehen herausfordernde Koalitionsgespräche an. Uffbasse, Wunschkandidat von Grün-Schwarz, möchte sich nicht fest in eine Koalition einbinden lassen und bietet (bisher) nur eine Duldung an, was jedoch im Gegensatz zum Wunsch von Oberbürgermeister Jochen Partsch steht, eine „stabile Regierung“ zu bilden. Weitere Kandidaten wären Die Linke, FDP und Uwiga – es wird spannend zu sehen, mit wem die Grünen und die CDU die meisten Schnittmengen finden.
Über den Autor
„Neun mal Sechs“ – in Anlehnung an das Buch „Per Anhalter durch die Galaxis“ – lautet der Titel des Blogs, in dem Carsten Buchholz seit 2011 vor allem über Darmstadt, Kulturelles und Politik – von TTIP über US-Wahl bis Lokales – schreibt. Zur US- wie zur Kommunalwahl 2016 hat der 49 Jahre alte Darmstädter extra die Rubrik „Wahlsplitter“ aufgemacht, in der auch sein mega-detaillierter Fragebogen, der an alle Kandidaten geschickt wurde, und dessen Auswertung nachzulesen ist.