Den kommerzfußballaffinen Leserinnen und Lesern dieses Magazins wird nicht entgangen sein, dass der 98er-Sportverein gerade erst vor Kurzem fristgerecht dem Wunsch der Deutschen Fußball Liga GmbH (kurz: DFL oder vulgo „Fuß-ball-maf-ia D-F-B“) nachgekommen ist, einen so genannten Masterplan vorzulegen. Dieser besagt, dass das Merck-Stadion am Böllenfalltor (kurz: Bölle) demnächst umgebaut, überdacht und auf ein Fassungsvermögen von – ich prophezeie mal – 18.898 Plätzen erweitert wird.
Den Anwohnern im Steinbergviertel graut es davor schon, sie befürchten spätestens bei den ausverkauften Heimspielen gegen Erzgebirge Aue und den SV Sandhausen in der Saison 2019/20 den völligen Verkehrsinfarkt. Aber – und das ist der eigentliche Nachrichtenwert dieses bisher noch äußerst unspektakulären Artikels – so weit wird es gar nicht kommen, denn die weitblickende und weise Vereinsführung hat das Problem schon längst erkannt und heimlich vorgebaut. Eine scheinbar unwichtige Randnotiz im musikalischen Rahmenprogramm der Lilien-Heimspiele, die wohl nur den allerwenigsten kommerzfußballaffinen Leserinnen und Lesern dieses Magazins aufgefallen sein wird, ist dafür verantwortlich: Seit einigen Monaten wird vom Stadion-DJ vermehrt der Song „Lilie Schuss“ von „Fred und die Lilien-Fans“ (kurz: „Hesse-Fred“ oder Fred van Geez) gespielt.
Und was ist daran jetzt so bedeutsam, dass es hier so andeutungsreich mit den großen Themen der Fußballwelt verwoben wird? Nun, wenn wir uns den Text dieser wirklich tollen Vereinshymne aus den Siebzigern mal genauer anschauen, wird uns schnell einiges klar …
Die erste Strophe und den Refrain schenken wir uns bei unserer Analyse mal, denn die darin enthaltene Verherrlichung von Stadt und Sportverein bringen uns unserem Thema nicht näher. Deutlich erfolgversprechender ist da schon die Beschäftigung mit der zweiten Strophe. Hier entwirft das lyrische Ich das Schreckensszenario eines jeden Fußballfans. Es gemahnt den Hörer, was wohl passieren würde, wenn ihm am Schloss sein Auto stehen bliebe: „Am Schwimmbad hörst Du Jubelschrei’, weil g’rad ein Treffer fiel. Und kommst Du dann ans Stadiontor, die Zung’, die hängt Dir raus, Du kommst zu spät, denn alle Fans, die komme singend raus.“
Jetzt mal Hand aufs Herz – gibt es eine schlimmere Vorstellung? Da hat man sich die ganze Woche aufs Heimspiel gefreut, doch aufgrund einer im Songtext nicht näher definierten Autopanne muss man sich mehr als zwei Stunden lang abkämpfen, doch noch zum Sehnsuchtsort Böllenfalltor zu kommen, aber letztlich ist alle Mühe vergebens, denn trotz größter körperlicher Anstrengungen (elegant durch die heraushängende Zunge veranschaulicht) bekommt man nicht mal mehr den Schlusspfiff mit!
In der dritten Strophe legt Wortdrechsler van Geez sogar noch nach. Er rät dem Hörer, das Fiasko nicht als abgeschlossene Episode anzusehen und abzuhaken, sondern daraus zu lernen. Dies sei wichtig, da ja das nächste Spiel ganz bestimmt komme, „drum sei kah doofe Nuss, Dein Auto, das lass lieber stehn, und komm halt ma zu Fuß!“ Und hier kommen wir zum Schluss und zum Kern unserer Analyse! Der abschließende Imperativ ist dem Dichter so wichtig, dass er sogar den unreinen Reim „Nuss/Fuß“ in Kauf nimmt, um die Botschaft zu übermitteln: Der smarte Lilien-Fan kommt nicht mit dem Pkw zum Heimspiel, sondern er bevorzugt die Fortbewegung per pedes.
Was ist also das Fazit unserer kleinen Songtext-Exegese? Die Verantwortlichen beim SV 98 haben zeitgleich mit der Erstellung ihres Masterplans die Gefahr erkannt, die der aus dem Ruder laufende Individualverkehr in Kombination mit einem modernisierten und erweiterten Stadion mit sich bringen könnte. Doch durch die suggestive Beschallung der Massen im Stadion mit einem alten Verkehrserziehungs-Song haben sie es geschafft, diese Gefahren abzuwehren und aus Tausenden von motorisierten Fußballfans eine Bewegung zu entwickeln, an der der wandernde Bundespräsi Carl Carstens seine wahre Freude gehabt hätte.
Fassen wir also zusammen: Verkehrsinfarkt gestoppt, Masterplan ermöglicht: Das ist die Böllenfalltor’sche Verkehrswende á la Hesse-Fred!