Shawn Compes, DJ + Uppercut Club | Foto: Jan Ehlers

Nichts ging mehr. Schlagartig brachte der Lockdown im Frühjahr das wuselige kulturelle Geschehen unserer Stadt zum Erliegen. Um mit der Kalamität zu brechen, schnappt sich Fotograf Jan „Nouki“ Ehlers zwei uralte sowjetische Kameras und seit 20 Jahren abgelaufene Filme – und geht visuell in die Offensive.

„Plötzlich lag alles brach, auch bei mir. Irgendwie musste ich wieder kreativ werden“, erinnert sich Nouki. „Ich habe mich gefragt, was machen jetzt eigentlich die ganzen Kulturleute, die nicht mehr arbeiten können?“ Im Versuch, eine Antwort zu finden, entsteht eine ganze Serie von Fotografien.

Circa 60 Aufnahmen umfasst „Long Time No See Darmstadt”. Veröffentlicht werden die Bilder seit Mai fortlaufend auf den Social-Media-Kanälen des Fotografen. Ergänzt werden die Schwarz-Weiß-Portraits immer um einen herzlichen Kommentar zur Person mit Noukis charmanten Anekdoten und persönlichen Gedanken. Zu sehen sind sowohl eher in der Öffentlichkeit stehende Figuren wie der DJ Thomas Hammann als auch weniger das Blitzlicht gewohnte wie Moni Settler, die seit 35 als Wirtin das Pfungstädter Braustübchen in der Feldbergstraße leitet.

Moni Settler, Pfungstädter Braustübchen | Foto: Jan Ehlers

„Das sind alles Leute und Orte, die mir wichtig sind. Das ist mein ganz privater Mikrokosmos.“ So die Einordnung der Auswahl, die die Arbeit und das Engagement der Abgelichteten honorieren soll. Dass die Reihe dennoch ein recht umfassendes Zeitdokument der Darmstädter Kulturszene darstellt, ist sicherlich dem Treiben des Künstlers zu verdanken, der seit Jahren selbst als bunter Hund stadtbekannt ist – ob als Musiker von Punk über Stadion-Rock bis zu ekstatischem Chanson oder als DJ und P-Fotograf.

Geschossen wurden die Bilder mit einer Kiev 80 und 88. Zwei Mittelformatkameras mit Siegel „Made in UdSSR“. „Die sind locker 40 Jahre alt. Nach jedem Bild musst du die neu spannen. Ich habe mir für jedes Bild eine Stunde Zeit genommen. Nichts wurde retuschiert. Man muss sich abfinden mit dem, was zustande kommt.“ Authentische, analoge Fotografie und ein Aufwand, der sich gelohnt hat. Kein Bild gleicht dem anderen, verschiedene Texturen und Belichtungen prägen jedes einzelne Foto individuell.

Um diese gebührend – also nicht nur digital – zu veröffentlichen, ist eine Ausstellung geplant. Die von den Profis bei Fotogena entwickelten Negative werden im Format 50 x 50 Zentimeter auf Baryt-Papier gedruckt. Auch ein hochwertiger Katalog ist in Arbeit.

Bis dahin bleibt Zeit für einen zentralen Gedanken der Serie: „Sie soll auch andere dazu inspirieren, an Kneipen, Clubs, Menschen, die einem wichtig sind, die man schätzt, zu denken.“

 

„Long Time No See Darmstadt”: die Ausstellung

Bei Redaktionsschluss war die Finanzierung der für Mitte September in der Galerie Kurzweil geplanten Ausstellung mittels notwendiger Kulturfördermittel noch nicht abschließend gesichert. Über den Termin der Vernissage informieren wir Euch hoffentlich bald (online).

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janehlers.net

 

Foto: Jan Ehlers

Pascal Angelbeck, Centralstation-Bar

„Der Kastellan der Centralstation. Die CS als gesamtes Kulturzentrum der Stadt zu präsentieren, ist schon einige Fotos wert, da ich aber diese persönliche Auswahl mache, greife ich mir das beständigste Gesicht des Ladens heraus. Und das ist als die mittlerweile leicht ergraute Dauerkonstante eben Pascal, das Gesicht der Bar. eben Pascal

Ein sehr netter, interessierter Bartender, der sich gerne mit Gästen austauscht und immer für ein persönliches Wohlgefühl sorgt. Anlaufstelle für alle Menschen, die sich unterhalten wollen, gute Drinks benötigen und vielleicht auf den neuesten Stand kommen wollen. Denn Pascal weiß, was in der Stadt los ist. Ein Infomationsschatz, der so viele Menschen und Dinge kennt…einfach unglaublich.

In der CS fanden in den letzten Wochen die ersten Konzertveranstaltungen unter SARS-CoV-2-Auflagen statt. Ich hoffe sehr, dass es auch bald wieder zu entspannten Plauschs oben in der Bar kommt.

Dieses schöne Bild von ihm habe ich vor der CS gemacht. Bei den ersten Bildern meinte er noch, dass fotografiert zu werden nicht ganz sein Ding sei, aber dann hat er sich total auf das Foto eingelassen. Und das spürt man bei dem Bild.

Danke für Dein Vertrauen :)“

 

Foto: Jan Ehlers

Jürgen Barth, Subkultur-Tausendsassa

„Wenn Alper mal groß wird, will er wie Jürgen Barth werden. Das hat er zwar nie gesagt, aber neben Jürgen, sind Leute wie Alper, Elmar oder andere (mich eingeschlossen), welchen ich eine gewisse Unberechenbarkeit oder Chaotik unterstelle, Amateure. Tut mir Leid, Jungs – Der unberechenbarste, wahnsinnigste Typ dieser Stadt ist und bleibt Jürgen Barth. Punkt aus, Basta.

Ich habe so viele bekloppte Geschichten mit ihm erlebt und kenne umso mehr, bei denen ich nicht dabei war, es ist unfassbar, was diese mittlerweile über 80-jährige Naturgewalt an kreativem Wahnsinn alles anstellt. Sein gesamtes Umfeld hat Nackenschmerzen vom Kopfschütteln. Leute, die ihn nicht kennen, bekommen Kieferprobleme, weil ihnen bei seinen Aktionen derart die Klappe runterfällt, das einem nix mehr einfällt. Aber Jürgen hat nicht nur ein vitales, sondern auch ein großes, begeisterungsfähiges Herz für die Subkultur dieser Stadt. Sein 60ster war der erste seiner geburtstäglichen Husarenritte. An dem er zum Schock seiner geliebten Barbara neugeboren, nackt, alle Haare am Körper abrasiert, wie ein Baby seine Neugeburt feiernd, aus einem großen Karton kommend der ahnungslosen Geburtstagsgesellschaft entgegen sprang, um dann eine bekloppte Punkband (Blofeld…) spielen zu lassen, die schließlich von der Polizei mit schusssichereren Westen zum Konzertabbruch gezwungen wurde. Das ganze fand übrigens auf der Schlossbastion, vor den Augen der politischen Haute-Volé Darmstadts, statt.“