Illustration: Hans-Jörg Brehm

 

Grün-Schwarz hat bei der Kommunalwahl im März zum zweiten Mal in Folge seine eigene Mehrheit verpasst. Der Grund dafür ist zugleich die Rettung. Und in der CDU muss Bürgermeister Rafael Reißer für den Machterhalt seiner Partei einen hohen Preis zahlen.

Darmstadt folgt dem Trend, dass Regierungsbildungen schwieriger werden. Israel, Belgien oder die Niederlande schlagen sich damit zum Teil jahrelang herum. Und auch der deutsche Bundestag brauchte zuletzt fast ein halbes Jahr bis zur Vereidigung des Kabinetts. Ganz so schlimm ist es in Darmstadt noch nicht. Zum Redaktionsschluss – immerhin mehr als acht Wochen nach der Wahl – stehen hier wenigstens schon die Koalitionäre fest: Grüne und CDU kommen gemeinsam mit ihrem neuen Juniorpartner Volt auf eine Stimme Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung.

Zur Erinnerung: Schon in der vergangenen Legislaturperiode verpasste Grün-Schwarz knapp eine eigene Mehrheit (34 von 71 Sitzen). Anfangs hielt Uffbasse die Regierung jedoch per Duldung an der Macht, zuletzt kam die Koalition durch Wechsler und Hospitanz auf eine eigenständige Mehrheit. Doch nach der jetzigen Wahl fehlen gleich fünf Sitze.

Der Grund für das schlechte Ergebnis ist nicht allein bei der grün-schwarzen Koalition zu suchen, die nun zum zweiten Mal in Folge vor allem auf Seite der CDU deutlich Stimmen verloren hat. Mit der Paneuropa-Partei Volt (fünf Sitze), der Wählergemeinschaft Darmstadt und den Freien Wählern (jeweils ein Sitz) schafften es gleich drei neue Listen in die Stadtverordnetenversammlung und nehmen dort nun den anderen Parteien die Plätze weg.

Für eine stabile Mehrheit braucht es nun – egal in welcher Konstellation – mindestens drei feste Partner. Aber nicht nur dadurch gestalteten sich die ersten Sondierungsgespräche schwierig. So sprach die CDU, die nach einer Dekade in der Regierung mehr als ein Drittel ihrer Stimmen verloren hat, ziemlich gefrustet offen darüber, freiwillig auf die Macht zu verzichten. Und bei den Grünen war nach den Querelen im Wahlkampf der Ärger auf den Stammpartner groß. So war die CDU schon vor der Wahl von den Tempo-30-Zusagen aus dem Koalitionsvertrag abgerückt. Dann vergriff sich CDU-Neuzugang Stefan Zitzmann, der jedoch einen Einzug in das Parlament verpasst hat, gegenüber dem grünen Partner über Social Media arg im Ton.

Linkes Bündnis war geplant

Fast hätte Darmstadt so ein Links-Bündnis aus Grünen, der SPD und möglicherweise den Linken, die sich ebenfalls angeboten hatten, bekommen. Den Wahlprogrammen nach wäre die SPD, die sich in den vergangenen Jahren komplett neu aufgestellt hat, auch der natürliche Partner der Grünen. Doch die jungen Sozialdemokraten forderten nicht nur zu viel. Sie untergruben auch noch während der Verhandlungen durch unabgesprochene Pressemitteilungen und öffentliche Kritik an den Grünen das Vertrauen ihrer Verhandlungspartner. So wollte die SPD, die sich in Darmstadt wieder als soziale Kraft verstehen will, unbedingt bislang von den Grünen geführte Dezernate. Dieser Anspruch lief jedoch dem grünen Ego zuwider. „Das war schon sehr anmaßend“, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Allerdings gehört es nun mal zum politischen Geschäft, dass nach einer Wahl unter neuen Partnern Ressorts neu verteilt werden. Dass die Darmstädter Grünen hier nicht mit sich diskutieren ließen, zeugt von ihrem enormen Machtbewusstsein. Und so verlangten sie im zweiten Anlauf einer Regierungsbildung auch der CDU ganz schön was ab. Hatten die Konservativen auf der Suche nach Profil noch vor der Wahl auf einmal nichts mehr von dem in Koalitionsvertrag festgehaltenen Ziel wissen wollen, flächendeckend Tempo 30 einzuführen, haben sie die Kröte nun geschluckt. So heißt es aus Verhandlungskreisen, die CDU stimme nun zu, dass sich Darmstadt beim Bund für die Erlaubnis bewerben wolle, für die gesamte Stadt das Regeltempo 30 einzuführen. Der CDU bleibt zwar das Feigenblatt, dass auf Bundesstraßen weiterhin Ausnahmen möglich seien. Aber darüber werde dann in der Verwaltung des grün geführten Verkehrsdezernats entschieden und nicht im Parlament.

Rafael Reißer nicht mehr im Magistrat

Noch bitterer schmeckt der Machterhalt für Bürgermeister Rafael Reißer. Der CDU-Politiker wird nämlich auf sein Amt im Magistrat verzichten müssen. Allerdings war er dort nach diversen Totalausfällen auch kaum noch tragbar. Einzig André Schellenberg, der als Kämmerer in den vergangenen Jahren eine gute Arbeit geleistet hat, bleibt für die CDU im hauptamtlichen Stadtrat vertreten. Schließlich braucht es auch ein Dezernat für den Neuen im Bunde. Und die Grünen wollen nichts von ihrer Macht abgeben. Im Gegenteil: Das freigewordene Bürgermeister-Amt wollen sie sich erst mal selbst zuschlagen. Für Volt soll es ein eher kleines Dezernat geben. Irgendwas mit Bürgerbeteiligung und Digitalem vielleicht. Die Polit-Neulinge seien schließlich noch jung und müssten erst mal noch viel lernen.

Bei Volt scheint man schnell begriffen zu haben, dass die Grünen harte Verhandlungspartner sind. Allerdings ist die Partei mit ihren Zielen etwa in der Verkehrs- und Klimawende auch inhaltlich äußerst nah bei Bündnis 90/die Grünen. Die Mitte-bis-Ende-Zwanzigjährigen sehen sich darüber hinaus auch selbst in der Rolle der Lehrlinge. Fraktionsvorsitzender Nicolas Kämmerer: „Wir sind unheimlich glücklich über unser tolles Ergebnis und freuen uns jetzt, die Chance nutzen zu können mitzugestalten.“

 

Amtliches Endergebnis der Stadtverordnetenwahl 2021

Grüne: 27,4 % (20 Sitze)

SPD: 16,7 % (12 Sitze)

CDU: 15,6 % (11 Sitze)

Die Linke: 7,4 % (5 Sitze)

Volt: 6,9 % (5 Sitze)

Uffbasse: 6,4 % (5 Sitze)

FDP: 5,6 % (4 Sitze)

AfD: 4,6 % (3 Sitze)

UWIGA: 3,1 % (2 Sitze)

Die Partei: 2,1 % (2 Sitze)

WGD: 2,0 % (1 Sitz)

Freie Wähler: 1,9 % (1 Sitz)

Teilhabe in Darmstadt: 0,3 % (kein Sitz)

Die Wahlbeteiligung lag bei 54,7 %.

Erstmals bilden zwölf Fraktionen die Darmstädter Stadtverordnetenversammlung – so viele wie nie zuvor. Und es gibt eine Frischzellenkur: 37 der 71 Mitglieder des Gremiums zählten in der Legislaturperiode davor noch nicht zum Plenum (Erneuerungsquote: 52 %). Unter den 37 Neu-Parlamentarier:innen sind 26 Frauen, das Stadtparlament ist also eindeutig weiblicher geworden.