Zwei schlanke Säulen ragen in die Höhe, streng und zurückhaltend in ihrer Form, doch voller Leben in ihrer Oberfläche. Auf jeweils 15 Reliefplatten entfaltet sich eine Erzählung – eine Momentaufnahme des Alltags, gegossen in Bronze. Menschen bei der Arbeit, Menschen in der Freizeit. Hände greifen nach Werkzeugen, stemmen, schweißen, hämmern. Ein paar Schritte weiter: Hände halten Instrumente, heben Gläser, formen Tanzbewegungen. Arbeit und Vergnügen, nebeneinander gestellt wie zwei Kapitel einer Geschichte, die sich immer wiederholt.
Marianne Lüdicke hat diese Säulen 1963 entworfen, in einer Zeit, als die Gesellschaft noch fest in den Kategorien von Produktions- und Erholungszeit verhaftet war. Heute, in einer Welt, in der sich Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zunehmend auflösen, gewinnen die Darstellungen eine neue Brisanz. Arbeit findet nicht mehr nur in Fabrikhallen oder Büros statt, sondern sickert in unser Privatleben, in digitale Meetings, in das allgegenwärtige Smartphone. Freizeit wiederum ist oft nur eine Fortsetzung der Produktivität – Selbstoptimierung, Fitness-Tracking, kreative Hobbys, die in Nebenerwerbe umschlagen. Doch vielleicht liegt in der Schlichtheit dieser Reliefs eine Erinnerung an etwas Fundamentales: dass es einmal eine klare Trennung gab. Dass Menschen nicht immer erreichbar waren, dass der Feierabend tatsächlich ein Ende bedeutete. Vielleicht erzählen diese Säulen von einer Zeit, in der der Rhythmus des Lebens noch ein anderer war. Und vielleicht stehen sie als Mahnung in der Stadt, an einem Ort, an dem die Passanten vorbeieilen – auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, vom Sport ins Büro, vom Leben ins nächste To-do.
Kunst im öffentlichen Raum
Kunst findet man nicht nur in Museen und Galerien, sondern oft auch im Freien und für jede:n sichtbar. Manche Werke sind schon seit Jahrhunderten ein Teil des Stadtbildes, andere zieren es nur kurz. In Darmstadt haben einige Fügungen des Schicksals dafür gesorgt, dass es besonders viele Kunstwerke im öffentlichen Raum gibt. Ohne die schützenden Laborbedingungen eines White Cube gehen sie allerdings schnell unter. Dabei können gerade diese stillen Zeitgenossen unsere Wahrnehmung des Stadtraumes verändern und unser Verständnis von Welt herausfordern. Eine Einladung zum Fantasieren.