Foto: Jan Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Einst stand Masheé für einen leisen, fast zerbrechlich-zarten Sound. Ende dieses Monats erblickt eine neue Platte das Licht der Öffentlichkeit und vieles scheint verändert – nicht nur der Sound, der auf einmal kraftvoll und manchmal gar orchestral an Dillon, Soap & Skin oder Hundreds erinnert. Auch Mariella Schelch, der Mensch hinter Masheé, scheint verwandelt. Über eine spannende Entwicklung, große Pläne und den Jakobsweg sprach das P mit ihr und ihrem Produzenten Chris Kling in dessen Studio „Klangkantine“.

(Vorab hier das brandneue Video anklicken:) Masheé – Cages We Built

Das P: Hier in diesem Studio wurde bis vor Kurzem mit einigen Musikern die neue EP „Cages We Built“ eingespielt. Wer gehört denn eigentlich alles zu Masheé?

Chris: Gleich vorab, weil es da immer Verwirrung gibt: Masheé ist keine Band, Masheé ist Mariella Schelch als Künstlerin. Für Live-Auftritte und Aufnahmen kommen dann Musiker dazu.

Mariella: Es gibt aber Musiker wie Max Kalb, mit denen ich von Anfang an zusammen spiele. Außerdem jetzt Julian List und Bastian Bischler sowie Vesna Marinovic als zweite Sängerin und Matthias Klandt als Musical Director, der meist die Proben anleitet. Deren Ideen nehme ich natürlich immer gerne auf in die Arrangements.

C: Aber auch rein rechtlich wegen der Gema macht das Sinn. Die Texte sind von Mariella, die Melodien, die Harmonien, die Abläufe – das ist klar geordnet. Bei Produktion und Arrangements sind dann natürlich auch andere beteiligt.

Das klingt diesmal alles sehr professionell – nach dem Motto: einen neuen großen Schritt wagen.

M: Definitiv, ich habe mich jetzt klar dazu entschieden, Musikerin zu sein. Vollzeit. Die anderen haben ihre 40-Stunden-Jobs und sind nicht immer griffbereit. Daher ist es auch mein Projekt, da ich notfalls auch mit kleiner Besetzung oder gar solo auftreten kann.

Chronologisch gesehen gibt es Masheé seit 2011 …

M: Ja, das kann man vage auf 2011 datieren. Früher hatte ich in Jugend-Orchestern gespielt, dann bei einem Frankfurter Singer-Songwriter und kurz vor Masheé meist mit der Band Bischler als Geigerin und Sängerin. Da gab es auch mal die Gelegenheit mit Max ein paar Songs auf der Bühne zu spielen, obwohl mir das Herz in die Hose rutschte … [rollt mit den Augen] … das tut es auch heute immer noch bei Live-Auftritten.

Chris [grinst]: Mariella kriegt ’ne derbe Art, wenn sie aufgeregt ist … [schaut zum P rüber] .. oh Gott, der schreibt das echt auf.

Klar, das wird eine der Überschriften! Wie äußerst sich diese „derbe Art“?

M [lacht]: Manchmal bin ich total aufgedreht, manchmal verkrieche ich mich einfach, aber innerlich bebt es gewaltig … ich bin dann hauptsächlich erstmal auf dem Klo.

C: Um die Aufregung zu kaschieren, hatte sie beim letzten Auftritt mit Grabesstimme die Songs kurz und knapp angekündigt: „Jetzt kommt der Song ‚Bombs‘ … und es geht um Bomben.“

M: Sonst mache ich mir Notizen, das hatte ich da aber vergessen und mir fiel nichts Gescheites ein.

C: Nein, das war perfekt. Sehr authentisch … [Mariella verdreht wieder die Augen.]

Es gab dann erste Auftritte im „Blumen“ und bei einer P-Party; danach eine längere Pause. Warum?

M: Eigentlich wollte ich Masheé aufgeben und auswandern. Mir fiel hier alles auf den Kopf, weil ich mich irgendwie fehl am Platz fühlte. Ich ging dann nach Äthiopien und Spanien, hatte kein festes Zuhause und bin immer nur hin- und hergetingelt. Das war schon eine kleine Lebenskrise.

So eine Art Midlife Crisis?

M [irritiert]: … mit 30? Dann werde ich ja nur 60 Jahre alt …

Äh, stimmt, doofe Frage … [das P zuckt verlegen] … dachte da eher an mich …

M [greift den Faden wieder auf]: Ich kam dann zurück, als es die „Blumen“-Aktion unter dem Karolinenplatz gab [der ehemalige Luftschutzbunker wurde kurzweilig als Kulturort genutzt, Anm. d. Red.]. Da hatte ich gemerkt, dass Kultur und Musik meins sind und mein Leben bestimmen sollen. So ging es dann wieder los, weil ich mich einfach danach gesehnt habe, wieder in einer Band zu spielen.

Wie lief der Schritt in die Selbstständigkeit?

M: Gelernt hatte ich eigentlich pharmazeutisch-technische Assistentin und arbeitete in der Apotheke. Das machte mich aber auf Dauer unglücklich, daher die bewusste Entscheidung, den Schritt in die Selbstständigkeit als Musikerin zu wagen. Wenn man arbeitslos ist, kann man einen Gründerzuschuss beantragen. Im September 2014 habe ich mich dann sechs Wochen zuhause eingegraben, Marketingkonzept und Business-Plan aufgesetzt, diverse Seminare besucht, Steuerberater und Finanzamt aufgesucht [schnauft] … und dann endlich das fertige Konzept dem Arbeitsamt vorgelegt. Dann begann erstmal das große Bibbern zwei Monate lang, ob man mich als „freiberufliche Musikerin“ – vor allem als Geigenlehrerin – für den Gründerzuschuss anerkennt. Vor allem Chris als Produzent bestärkte mich darin, als er sagte: „Mariella, wir setzen alles auf eine Karte und ziehen an einem Strang.“

Du bist ja als Produzent auch selbstständig – wie lief es bei Dir, Chris?

C: Ich bin seit 2012 hauptberuflich Produzent und man wird dadurch anders wahrgenommen. Es läuft ziemlich gut hier, manche Sachen sind aber eben berufliche Projekte. Bei so was wie Masheé dagegen ist das etwas anders. Man lässt der Künstlerin so viel Zeit, wie sie braucht, streckt auch die Produktionskosten vor und schaut, das Bestmögliche daraus zu machen. Das ist ein schöner Luxus, der einfach angebracht ist. Bei der ersten EP aus dem Jahr 2012 hatten wir auch einen besonderen Deal und ich war schon ein bisschen angepisst, als es dann nicht mehr weitergehen sollte. Ich denke, der Weg mit der Selbstständigkeit ist schwierig, man muss immer kämpfen. Aber man muss es einfach trotzdem wollen, dann macht es auch Sinn. Für mich war Mariellas Entscheidung nach der Pause ein Zeichen dafür, dass sie jetzt wirklich will.

Wie geht es jetzt weiter?

M: Der Gründerzuschuss ist jetzt erstmal für ein halbes Jahr genehmigt. Eine Verlängerung habe ich beantragt, die wurde aber vorerst abgelehnt. Aber ich will da Widerspruch einlegen.

Du kannst denen ja dann die neue Produktion vorspielen …

C: … haben die gescheite Lautsprecher dort im Arbeitsamt?

Die neue Produktion des Titelsongs der EP klingt deutlich kraftvoller und selbstbewusster als früher – nicht nur musikalisch, auch stimmlich.

C: Ich habe als Produzent großen Wert auf die Stimme gelegt, das kam aber auch von Mariella selbst. Sie hatte es in sich drinnen und das musste einfach nur raus. Insgesamt sind es ja fünf, sechs Songs: zwei davon eher minimalistisch, trotzdem auch deutlich verändert. Zwei weitere Songs sind aber ebenso pompös und orchestriert mit Streichern und so.

Wie ist diese Veränderung zu erklären?

M: Der Hintergrund ist einfach, dass ich die letzten sechs Jahre viel erlebt habe – auch viele Rückschläge. Das kommt da ganz klar zum Ausdruck, dieser Schmerz, aber auch diese Kraft, die daraus entsteht. Textlich wie musikalisch. Ich habe die Vergangenheit aufgearbeitet mit Wut, Ärger, Trauer, Resignation, manchmal auch Freude … es ist aber definitiv ein melancholisches Album … [lacht] … Neuerdings frage ich bei Konzerten, ob es den Leuten noch gut gehe, weil das nach dem Konzert definitiv anders sei.

Irgendwann las ich während der Produktionszeit auf Facebook den euphorischen Kommentar von Chris: „Das wird der Shit“ …

C [lacht]: Oh ja, das war der Schlüsselmoment, als wir für diesen Song das Schlagzeug aufnahmen und Synthies drüberlegten – und dann hatten wir diesen grandiosen Pomp am Ende und da hat alles Sinn gemacht. Einer dieser unbezahlbaren Momente, wenn man im Studio sitzt und eigentlich längst Feierabend hat, aber diesen Song permanent hört, weil es einen gerade so dermaßen geflasht hat.

Das Video erinnert in der Bildsprache fast schon an David Lynch oder Lars von Trier.

C: Das ist ein gutes Stichwort: Ich habe schon mehrfach gehört, dass Mariellas Musik etwas Cineastisches hat. Üble Zungen könnten es Melodramatik nennen, aber sinnbildlich, cineastisch trifft es viel besser – gerade die oft komplexen Strukturen, die sich gut surreal visualisieren lassen.

Der Videodreh war ja sehr aufwendig. Welche Ideen standen dahinter?

M: Im Video spiele ich ja bewusst mit Farben, mit Rosa und Schwarz-weiß, mit der guten und der schlechten Seite im Menschen: Auf welche Seite möchte ich mich begeben, wer möchte ich sein. Manchmal stößt man an Grenzen, die man sprengen möchte. Das Video und der Song sind wie so eine Art Therapie, wie ein Ventil.

Da gibt es ja die Szene, in der Du in einen Badesee springst, …. Ihr habt das doch im Winter gedreht?

M [lacht]: Oh ja, das war verdammt kalt, ich habe auch extrem gebibbert. Wer weiter will, muss eben leiden.

Das Video des Titelsongs erscheint am 9. Juni. Die Platte erst später. Und was kommt danach?

M: Es verzögert sich alles ein bisschen, weil wir das alles perfekt machen wollen – also auch mit Promotion und so. Die Leute vom Videodreh haben sich so viel Mühe gegeben und professionell gearbeitet, das muss einfach entsprechend gewürdigt werden und ganz viele sollen das sehen. Der erste Aufnahmetag ging von morgens um 8 Uhr bis nachts um 3 Uhr, nach dem zweiten Tag war ich um 6 Uhr abends im Bett …

C: Wir arbeiten da jetzt auch mit Promo-Agenturen zusammen. Durch mein „Klangkantine“-Label habe ich schon einen Vertriebsdeal mit dem digitalen Vertrieb Finetunes aus Hamburg, die das dann an digitale Shops wie Spotify, iTunes und so verteilen. CD oder gar Vinyl machen wir später wahrscheinlich selber. Bei Konzerten hat man dann selber die beste Marge.

M: Da wir das beide aus eigener Tasche zahlen, müssen wir nochmal kalkulieren, wie viel wir da pressen. Aber ich will auch etwas in Händen halten, nicht nur virtuell. Wir haben ja auch drei Remixe für den aktuellen Song, die vielleicht auch als CD oder Vinyl rauskommen sollen.

Wer hat die Remixe gemacht und wann ist die eigentliche Veröffentlichung der EP geplant?

M: Phonk D von Footjob, Mr. Brokkoli aus dem „Blumen“ damals und Esoterik-Workshop …. weitgehend elektronische Remixe. Und der Chris macht auch noch einen. Das Release-Konzert der EP ist Ende Juni in der Galerie Kurzweil. Nach dem Release gehe ich erstmal vier Wochen auf den Jakobsweg.

Echt? Auf den Spuren von Hape Kerkeling?

M: Ja, ich wollte das immer schon mal machen. Und ich finde es dann den richtigen Zeitpunkt, um wieder auf den Boden zu kommen. Ich kann mir dann auch besser Gedanken machen, wie es weitergehen soll mit der Live-Umsetzung, vielleicht ja auch ein Solo-Konzept oder mit DJ.

Welche anderen Musiker haben Dich beeinflusst?

M: Ich höre zur Zeit eigentlich recht wenig andere Musik, aber was Dillon, London Grammar oder Monogirl machen, finde ich ziemlich spannend. Das Orchestrale und Sphärische mag ich sehr. Das macht ja gerade die neuen Song aus und entspricht auch meiner klassischen Erziehung mit Geige und Klavier. Mit 15/16 stand ich aber eher auf so was wie Korn oder Deftones … [lacht] Da habe ich dann auch gern mal die Schule geschwänzt, weil ich die Nacht zuvor im Dieburger Biergarten gerockt habe …

Das kommt definitiv rein in den Artikel. Da kriegste nochmal derbe Ärger mit Deiner Mutter …

M [lacht weiter]: Wir sind damals auch immer von Aschaffenburg in die Großstadt Darmstadt gefahren, um in der „Krone“ zur Musik von DJ Kai [immer noch Resident dort] abzutanzen. Das war jedes Mal superaufregend.

Hach, der gute Kai … der wird sicher auch noch in 20 Jahren mit Rollator und Hörmuschel in der „Krone“ auflegen … Fühlst Du Dich eigentlich wohl in Darmstadt?

M: Ich wollte nie nach Darmstadt, habe es aber seit 2006 lieben gelernt. Ursprünglich komme ich aus Österreich aus der Nähe von Graz und hatte sehr gelitten, als wir damals nach Aschaffenburg zogen. Ich habe heute noch manchmal Heimweh [klingt schwer nach „Heidi“]. Aber Graz ist ja auch die Schwesterstadt von Darmstadt – das passt bestens. Langsam empfinde ich das hier auch als eine neue Heimat.

Die Mathildenhöhe sind dann also hier Deine Alpen …

M [mit Austria-Dialekt]: A Schmarrn, jetzt übertreib aber mal ned …

Danke für das Interview.

 

Masheé live

Album-Release: Konzert + Party (DJ Line-up: Sascha Ciminiera, Simon Dörken, Mr. Brokkoli)

Galerie Kurzweil (Bismarckstraße 133, Ecke Kirschenallee) | Sa, 27.06. | 22 Uhr (mit Sektempfang) | 9 Euro (Vorverkauf 7 Euro)

www.facebook.com/events/794178444033938/

www.mashee.de | www.facebook.com/MasheeMusic

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