Foto: Jan Ehlers

Frage: Wann haben die Lilien zuletzt unter Dirk Schuster einen Rückstand in einen Sieg gedreht? Grübel, grübel und studier? Okay, ein kleiner Tipp: Die Torschützen waren Jerôme Gondorf und Sandro Wagner. Na, hat es „klick“ gemacht? Richtig: Die Rede ist vom 2:1-Sieg am 7. Mai 2016 bei Hertha BSC. Der Sieg, der zugleich den Bundesliga-Klassenerhalt bedeutete.

Okay, zugegeben. Der Rückblick ist ein wenig unfair. Schließlich verließ Dirk Schuster die 98er kurz danach und kehrte erst anderthalb Jahre später wieder zurück. Dennoch bleibt es ein Fakt, dass die Lilien seit Schusters Comeback kein Spiel mehr umbiegen konnten. In den 35 Zweitligapartien seither erzielten die Kontrahenten 19-mal das erste Tor. Gewinnen konnten Aytaç Sulu & Co. keine einzige dieser Begegnungen mehr. Punkten konnten sie gar nur noch in acht Spielen, viermal mussten (zum Teil fragwürdige) Strafstöße herhalten, um wenigstens das Remis sicherzustellen.

Unzufriedene Lilienfans


Das zeigt: Die Blau-Weißen tun sich enorm schwer, einen Gegner auseinander zu dividieren, wenn sie auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen sind. Immer mehr Lilienfans führten das in den letzten Wochen des alten Jahres auf das „System Schuster“ zurück und murrten in persönlichen Gesprächen deutlich. Über ein System, in dem nach wie vor Mentalität und Einsatz Trumpf sind und spielerische Variabilität Mangelware. Der lange Ball gehört am Böllenfalltor zum Kulturgut, während das planvolle Spiel darbt. Dirk Schuster weist diese Sichtweise zurück. Diese Unterstellung sei ein „alter Hut aus der Vergangenheit in der Bundesliga“. Ach ja? Dann schauen wir uns doch die Statistiken der aktuellen Saison an, die unter www.whoscored.com detailliert aufgeschlüsselt sind.

Langholz galore


Demnach schlagen die Lilien satte 80 lange Bälle … pro Spiel! Dieser Wert wird in der 2. Liga nur vom Tabellenvorletzten aus Magdeburg getoppt. Bei den Kurzpässen haben die Lilien mit 300 pro Partie Nachholbedarf. Der Durchschnitt liegt bei 334 Pässen. Das Aufsteigerteam aus Paderborn (361) und der letztjährige Aufsteiger Holstein Kiel (394) rangieren in dieser Hinsicht weit vor den 98ern. Das Problem der Lilien: Wenn sie zurückliegen, landen ihre langen Bälle nicht selten bei ohnehin tiefer stehenden Teams. Und in Rückstand liegen die Lilien bedauernswert oft. Während die Gegner im direkten Duell knapp 600 Minuten führten, taten dies die Lilien nur rund 300 Minuten.

Matchplan versus Spielverlauf

Im Spiel gegen Ingolstadt lagen die 98er fast über die gesamte Spielzeit mit 0:1 hinten. Die Partie deckte eine weitere Schwäche im Spiel des SVD auf: Die Außenspieler schlugen Flanke um Flanke in den Strafraum, von denen kaum eine auch nur annähernd so etwas wie Torgefahr heraufbeschwor. Kein Wunder, schließlich spielte Dirk Schuster – wie so oft – bis weit in die zweite Hälfte mit nur einer Sturmspitze. Da will es nicht so recht passen, warum Darmstadt mit durchschnittlich 21 Flanken pro Partie operiert. Der zweithöchste Liga-Wert. Im Vergleich zu ihren Ligakontrahenten flanken die Lilien also überdurchschnittlich oft (auf eine Sturmspitze) und schlagen überproportional viele lange Bälle (obwohl sie zumeist einem Rückstand hinterherlaufen und auf defensivere Teams treffen). Sollte das Ziel darin bestehen, die zweiten Bälle zu erobern und so Torgefahr heraufzubeschwören, dann geht das bislang nicht sonderlich gut auf.

Pro 4-4-2

Schließlich kommen die Lilien im bisherigen Saisonverlauf auf weniger als zwölf Torschüsse pro Spiel. Kein Team schießt seltener auf den gegnerischen Kasten. Eine Statistik, die nahelegt, dass die SVD-Kicker viel zu selten in die Gefahrenzone vor dem gegnerischen Tor gelangen – oder es an abschlussstarken Spielern fehlt. Es wäre deshalb interessant zu sehen, wie sich eine Doppelspitze mit einem dauerhaft fitten Felix Platte schlägt, die Unterstützung durch einen kreativen Marvin Mehlem und die Flankengeber erhält. Zudem darf man gespannt sein, wie sich Neuzugang Victor Pálsson im defensiven Mittelfeld bewährt. Ob er also dem Deckungsverbund die erhoffte Stabilität verleiht. Ein 4-4-2 wäre also mehr als nur einen Versuch in den letzten Minuten eines Spiels wert.

Luft nach oben

In einer Statistik stehen die 98er immerhin gut da: Mit knapp 50 Prozent Ballbesitz liegt das Team ligaintern an Position 7. Doch auch das dürfte den häufigen Rückständen geschuldet sein. Denn wer gegen die Lilien führt, der kann sich bequem zurückziehen und den SVD erst einmal machen lassen. Die Lilien müssen raus aus ihrer Komfortzone, die doch eigentlich darin besteht, hinten diszipliniert und sicher zu stehen, um dann schnelle Umschaltaktionen nach vorne zu fahren. Ein Matchplan, der durch den Spielverlauf zu oft ein Fall für die Tonne war. Die nackten Zahlen der ersten 18 Spieltage lassen jedenfalls deutlich Luft nach oben und unterstreichen das, was viele Fans derzeit unzufrieden zurücklässt: Eine Mannschaft, die sich schwer tut, spielerische Lösungen zu finden und die über keinen ersichtlichen Alternativplan verfügt. Die Lehren für die Rückrunde sind: Seltener in Rückstand zu geraten und nach vorne zielstrebiger sowie weniger ausrechenbar aufzutreten. Bis dahin steht – trotz der noch komfortablen Tabellensituation – die folgende Saisonzwischenbilanz: Wie war das Spiel der Lilien bislang? Mau? Mau!

 

Einmal Stabilisation, bitte!

Fr, 01.02., 18.30 Uhr: MSV Duisburg – Darmstadt 98

So, 10.02., 13.30 Uhr: Darmstadt 98 – 1. FC Heidenheim

Fr, 15.02., 18.30 Uhr: SV Sandhausen – Darmstadt 98

Sa, 23.02., 13 Uhr: Darmstadt 98 – Dynamo Dresden

www.sv98.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

www.kickschuh.blog

www.hochundweit.wordpress.com