Blick in die Ausstellung „Ich. Max Liebermann“ | Foto: Wolfgang Fuhrmannek, HLMD

Nach dem Joseph-Beuys-Jubiläumsjahr 2021 und den großen Ausstellungen von Tomás Saraceno und Peter Lindbergh ist eine weitere kunsthistorische Größe zu Gast im Hessischen Landesmuseum Darmstadt (HLMD): Unter dem Titel „Ich. Max Liebermann – Ein europäischer Künstler“ werden bis Anfang Januar 2022 im Großen Saal auf 480 Quadratmetern die Arbeiten des deutschen Impressionisten gezeigt und erstmals seinen europäischen Vorbildern gegenübergestellt. Ein absolutes Kunst-Highlight für unsere „Stadt der Künste“.

Max Liebermann ist neben Max Slevogt und Lovis Corinth als prägender Mitbegründer des deutschen Impressionismus bekannt. Ein Pionier der Moderne, der mit seinem sehr eigenständigen und lockeren Malstil empirisch die Wirkungen des Lichts als Momentaufnahme festzuhalten suchte. Er trotzte den akademischen Standards seiner Zeit, indem er sich alltägliche, damals untypische Szenen zum Motiv machte. Seine Bilder erzeugten in ihrer scheinbaren Unaufgeregtheit eine gesellschaftliche Aufregung. Liebermanns Interesse galt in erster Linie dem ländlichen, vorindustriellen Leben wie der Erntehilfe, dem Handwerk des Webens und der Arbeit im Waschhaus. Aber auch Pferderennen, Marktszenen in der Amsterdamer Judengasse oder ein Waisenhaus sowie die späten Gartenbilder am Wannsee sind einschlägige und typische Motive des Künstlers.

In der Vergangenheit blickten Ausstellungen meist mit einer klassischen Retrospektive auf sein Werk. In gewisser Weise trifft dies auch auf die Ausstellung im HLMD zu – sie umfasst Werke ab Beginn seiner Studienzeit 1871 bis zu seinen impressionistischen Landschaften 1933. Doch es kommt eine weitere Komponente hinzu, die das Werk des Impressionisten in ein erweitertes Licht rückt: Max Liebermann als Netzwerker, der in ganz Europa seine Kontakte pflegte und immer in Bewegung war.

Max Liebermann, Der Nutzgarten in Wannsee nach Westen, auf dem Weg eine Gärtnerin, 1924 | Foto: Foto-Atelier LORENZ
Max Liebermann, Selbstbildnis mit Küchenstillleben, 1873, Öl auf Leinwand | Foto: Kunstmuseum Gelsenkirchen

 

Künstlerische Prägung

Liebermann studierte 1868 an der Großherzoglichen Kunstschule in Weimar bei dem nur fünf Jahre älteren Theodor Hagen, der ihm zum wichtigen Lehrer wurde. Hagen, der ihm die neuen Tendenzen der französischen Freiluftmalerei vermittelte, bestärkte ihn in seiner Kunstauffassung und gab den Anstoß für das Loslösen von der akademischen Historienmalerei. 1871 reisten beide nach Düsseldorf, wo Liebermann eine prägende Bekanntschaft mit dem ungarischen Künstler Mihály Munkácsy machte. Kurz darauf hielt er sich in Holland auf, wo er bis kurz vor Kriegsausbruch fast jeden Sommer verbrachte. Land und Leute faszinierten ihn so sehr, dass er selbst von seiner „Malheimat“ sprach. Ausgehend von der Auseinandersetzung mit den Alten Meistern führte seine künstlerische Vertiefung über den Realismus zur freien Landschaftsmalerei und letztendlich zum Impressionismus.

Für die Entwicklung des Impressionismus war die sogenannte Schule von Barbizon von zentraler Bedeutung. Im gleichnamigen Dorf, circa 60 Kilometer südlich von Paris, trafen sich im angrenzenden Wald von Fontainebleau seit 1849 Künstler, die sich gegen die akademische Lehre lehnten, eine unmittelbare Naturerfahrung suchten und diese plein air, also unter freiem Himmel, auf der Leinwand umsetzten. Dort verbrachte Liebermann zwei Sommer und schärfte seinen zunehmend auflösenden Malstil. Der Übergang zu seiner impressionistischen Formsprache lässt sich auch anhand der farbigen Ausstellungswände im HLMD ausmachen: Ausgehend von einem traditionellen Dunkelrot haben sich die Kuratoren programmatisch für ein dynamisches Hellblau entschieden und verstärken damit auch räumlich Liebermanns malerischen Übergang zu einer aufgehellten Palette.

Max Liebermann, Schweinemarkt in Haarlem (2. Fassung), 1894, Öl auf Leinwand | Foto: Wolfgang Fuhrmannek, HLMD
Max Liebermann, Selbstbildnis mit Pinsel, 1913, Öl auf Leinwand | Foto: Michael Setzpfandt, Berlin

 

Internationale Vernetzung

In chronologischer Anordnung und mit insgesamt 107 Gemälden aus sechs Schaffensjahrzehnten bringt die Ausstellung Liebermanns künstlerischen Werdegang in den Kontext einer europäisch agierenden Vernetzung. Deutlich wird dies nicht nur anhand zahlreicher Reisen nach Paris und Holland, sondern auch durch seine regen Ausstellungsbeteiligungen in ganz Europa. Für den internationalen Austausch waren neben persönlichen Begegnungen auch Ausstellungskataloge von hoher Bedeutung, welche die Nachstiche der ausgestellten Bilder abdruckten und Aufschluss über das aktuelle Kunstgeschehen gaben. Zudem richtete Max Liebermann eine eigene Sammlung mit namhaften Künstler:innen ein, die ihn inspirierten und stets umgaben. Sein Sammlungsausbau, aber auch sein akribisches Netzwerken zeigen deutlich, dass es ihm nicht nur auf einen zwischenmenschlichen Kontakt zu Künstlerkolleg:innen ankam, sondern er sich seit Anbeginn auf einer künstlerischen Ebene mit seinen Vorbildern verband.

„Max Liebermann denkt sich nicht in nationalen Grenzen!“, resümiert Landesmuseumsdirektor Martin Faass, für den es nach 13 Jahren und relativ kleinen Ausstellungsräumen und Kabinettsausstellungen in der Liebermann-Villa am Wannsee eine Chance ist, die ausgewählten Arbeiten in den großzügigen Räumlichkeiten des HLMD und unter dem Aspekt der Vernetzung des Künstlers zusammenzuführen. Seine Expertise und Begeisterung für Liebermanns Werk lassen sich nicht nur beim Presserundgang Anfang Oktober, sondern auch in der kuratorischen Zusammenstellung festmachen.

Durch die direkte Gegenüberstellung mit Werken von Jean-François Millet, Camille Corot, Rembrandt van Rijn, Frans Hals, Édouard Manet, Claude Monet und Camille Pissarro können Liebermanns malerische Bezüglichkeiten nachvollzogen werden. So wird beispielsweise ein Waldweg von Claude Monet demjenigen von Liebermann konfrontiert. Besonders spannend sind nicht nur die Rückbezüge der holländischen und französischen Kunst des 17., 18. und 19. Jahrhunderts, sondern auch Liebermanns Einfluss auf die darauffolgende Künstlergeneration: unter anderem Max Beckmann, Max Slevogt und Julie Wolfthorn.

Nach seinem Tod 1935 geriet Max Liebermann in abrupte Vergessenheit. Dies änderte sich erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Seither wurden forschende und museale Institutionen gegründet sowie zahllose Ausstellungen zu seinem Werk eingerichtet. Nicht nur seine herausragende Malerei steht im Fokus der Betrachtung, sondern auch sein Leben, seine Persönlichkeit und seine Inspirationsquellen, die ihn als Repräsentanten des deutschen Impressionismus manifestieren. Die aktuelle Liebermann-Ausstellung im Landesmuseum zeigt, wie umfangreich das Spektrum und wie spannend die Wechselbeziehungen in der europäischen Malerei des 20. Jahrhunderts sind. Horizonterweiternd.

 

„Ich. Max Liebermann“ im Landesmuseum

Die Ausstellung, die im Rahmen des Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ eingerichtet wurde, ist noch bis 09. Januar 2022 im Hessischen Landesmuseum Darmstadt zu sehen. Für alle, die von den Bildern nicht genug bekommen, oder die Chance in Darmstadt verpasst haben, gibt es vom 03. Februar bis 08. Mai 2022 die Möglichkeit, die Folge-Ausstellung im Kunstpalast Düsseldorf zu besuchen.

hlmd.de

 

Sammlungsgeschichte zum Werk Max Liebermanns

Initiiert durch Karl Freund, der von 1910 bis 1933 Leiter der Graphischen Sammlung des Hessischen Landesmuseums war und in seiner Amtszeit die künstlerische Avantgarde in den Bestand führte, wurden in den 1920er-Jahren zwei Ölgemälde von Max Liebermann für die Sammlung erworben. Es handelte sich um ein Selbstbildnis des Künstlers sowie um das Werk „Wärterin mit Kind“. Im Zuge des nationalsozialistischen Terrors wurde es dem Museum untersagt, Werke von jüdischen Künstlern in Ausstellungen zu zeigen, darunter auch die Arbeiten von Max Liebermann. Die beiden angekauften Bilder verließen nach aktuellem Kenntnisstand 1937 die Sammlung. Über den Verbleib der Bilder ist bis heute nichts bekannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kunstsammlung durch den Direktor Erich Wiese ausgebaut und die entstandenen Lücken durch Ankäufe gefüllt. Auch aus politischen Gründen kam es durch das Hessische Ministerium für Erziehung und Volksbildung Anfang der 1960er-Jahre zum Erwerb der beiden Ölgemälde „Vor dem Waschhaus“ und „Schweinemarkt in Haarlem“, welche sich heute in der Sammlung des Museums befinden.

Max Liebermann, Papageienmann, 1900/01, Öl auf Leinwand | Foto: Privatbesitz

 

Vita Max Liebermann

1847: Am 20. Juli als Sohn des jüdischen Industriellen Louis Liebermann und seiner Frau Philippine in Berlin geboren

1866: Einschreibung in das Fach Chemie an der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität, privater Malunterricht bei Carl Steffeck

1868: Kunststudium an der Großherzoglichen Kunstschule in Weimar bei Theodor Hagen

1871: Reise nach Düsseldorf, wo er Mihály Munkácsy kennenlernt, und nach Holland, das ihm zur „Malheimat“ wird

1873: Liebermann zieht für fünf Jahre nach Paris

1874/75: Er verbringt zwei Sommer im Künstlerort Barbizon

1878: Übersiedlung nach München

1881: Liebermann erhält als erster deutscher Künstler nach dem Krieg im Pariser Salon eine „ehrenvolle Erwähnung“

1882: Mitgliedschaft im „Cercle des XV“, Paris

1884: Liebermann heiratet Martha Marckwald

1885: Geburt von Tochter Käthe

1890: Ernennung zum korrespondierenden Mitglied der Société International des Artistes Français

1892: Gründung der „Gruppe der XI“ mit acht weiteren Künstlern, Mitglied der Société Nationale des Beaux-Arts in Paris und Ehrenmitglied der Hollandsche Teekenmaatschappij in Den Haag

1895: Mitglied des deutschen Auswahlkommitees für die I. Internationale Kunstausstellung der Biennale von Venedig

1897: Ehrenmitglied in der Société Royal Belge des Aquarellistes (Große Goldene Medaille), Ernennung zum Professor der Königlichen Akademie der Künste in Berlin

1898/99: Mitgründung der Berliner Secession und Ernennung zu deren Präsident

1909: Kauf/Erwerb eines der letzten freien Grundstücke am Wannsee, wo er sich vom Alfred-Messel-Schüler Paul Baumgarten ein Sommerhaus bauen lässt

1911: Nach Konflikten legt Liebermann sein Amt im Vorstand der Berliner Secession nieder.

1920: Präsident der Preußischen Akademie der Künste

1927: Er erhält den Adlerschild des Deutschen Reiches und die Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin

1932: Ehrenpräsident der Preußischen Akademie der Künste

1933: Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten legt Liebermann seine Ehrenpräsidentschaft selbst nieder und tritt aus der Akademie aus.

1935: Am 08. Februar stirbt Max Liebermann in Berlin.