Ich bin im Herbstmodus. Ich liebe diese magische Zeit, in der die Wespen verendet sind, man nicht weiß, was man anziehen soll und man sich doch ganz sicher einen Schnupfen holt, und die Aussicht auf keine Sonne bis April das Beste an Emotionen hervorholt.
Die Klaviatur der Herbstdepression auf den Ohren in Form von Liedern, die ich schon mit 13 gehört habe, missmutig durch den Herrngarten stapfend, fällt mir vor Schreck fast der Pumpkin Spice Latte aus der Hand: Wo kommen denn diese SCHAREN an jungen Leuten plötzlich her? Wie tapsige Welpen rennen sie auf Radwege, werden dabei fast von einem Lastenrad über den Haufen gefahren und merken kaum, dass sie von allen Menschen über 28 angezischt und geschnitten werden, sobald sie in deren Nähe purzeln, weil sie irgendeinem Spielobjekt hinterherhechten.
Der Blick in den Kalender beantwortet die Frage: Herbstzeit ist Erstizeit und diese werden seit Jahr und Tag mit lustigen Spielen malträtiert. Man muss sich zum Affen machen, soll dabei seine Mitstudierenden kennenlernen und nach Möglichkeit einen Eindruck vom Studienort bekommen, der vorher nur eine Autobahnausfahrt war. So will es das Gesetz, keine Ausrede, Du elende:r Spielverderber:in!
Entpann‘ dich!
Ich beobachte das Treiben und versuche aus den Gesichtern zu lesen, was sie wohl wirklich umtreibt. In den Gruppen gibt es immer ein paar, die das Ganze anleiten, in der Schule hätte man gesagt „die Großen“, aber bei erwachsenen Individuen kann man das ja nicht sagen. Sie gehen voran und die Herde folgt, sie machen eine Ansage und ein paar lachen etwas zu laut. Bitte entspann‘ Dich, Niklas, sie ist nur zwei Semester über Dir und Du musst ihr nichts beweisen!
Leute wie Niklas gehören zur Gruppe der Enthusiast:innen. Sie stehen in der ersten Reihe, sind sofort dabei, wenn es um die Mannschaftszuteilung geht. Durchaus kompetitiv geht es darum, aufzufallen und sich gut darzustellen. Auch wenn der „Preis“ ist, ein Bier zu exen, was man eigentlich furchtbar eklig findet. Wegen übereifriger Leute wie Niklas landet man später unfreiwillig noch in einer Shots-Bar. Das sind aber später die Anekdoten, die man mit glasigem Blick auf dem 20. Abitreffen erzählt. Die Enthusiasten übernehmen im nächsten Jahr die Erstitour und machen sie UN-VER-GESS-LICH!
Ab der zweiten Reihe steht der Rest als graue, anonyme Masse, die nur hier ist, weil die Angst, etwas zu verpassen, noch größer ist als das Unbehagen jetzt. In ihren Augen lese ich Gleichgültigkeit oder Entsetzen, je nachdem, wie weit vorne sie stehen und ob die Gefahr besteht, nun in das Spiel involviert zu werden. Eigentlich wären sie lieber auf der 56. WG-Besichtigung, denn ein Zimmer in Darmstadt haben sie noch nicht ergattern können. Stattdessen also Fachschaftsquiz im Nieselregen. War die Entscheidung für Darmstadt die richtige oder wäre eine Ausbildung in der schwäbischen Heimat vielleicht doch die bessere Wahl gewesen?
Eine prägende Zeit
Die dritte Gruppe bekommt man während dieser O-Wochen nicht zu Gesicht, denn: Diese Ersti-Individuen nehmen nicht teil. Weil sie solche Aktionen komplett ablehnen, weil es das Zweitstudium ist, weil sie ohnehin schon ein paar Leute kennen oder weil das ihnen einfach zu blöd ist.
Und ganz im Ernst: Ein bisschen kann ich mich mit allen identifizieren. Die Zeit des Studiums oder der Ausbildung prägt, ohne Frage. Ein paar von diesen jungen Menschen werden hier Freundschaften fürs Leben schließen, sich ver- und wieder entlieben, Prüfungen bestehen oder krachend scheitern. Sie werden Heimweh und finanzielle Sorgen spüren, Studijobs und WG-Putzpläne kennenlernen.
Wenn Ihr jetzt das erste Mal das P Magazin in der Hand haltet, dann lasst Euch gesagt sein (auch wenn das nun großmütterlich klingt): Eure Studienzeit muss nicht die beste Zeit Eures Lebens werden. Wie schade wäre es, wenn ab Ende 20 nichts mehr kommt? Sie darf aber eine der besten Zeiten werden. Lasst Euch auf Darmstadt ein, bei mir war es Liebe auf den zweiten Blick. Ich hab es nie bereut. Herzlich willkommen in Darmstadt!
Du bist fies? Ich bin Fiesa!
Ich bin Isa, 36, spiele Roller Derby und mag Tierbabys aller Art. Ich wohne seit 2007 in Darmstadt, wollte nur kurz zum Studium bleiben … das hat ja hervorragend geklappt. Darmstadt war Liebe auf den zweiten Blick und ist Zuhause geworden. Die Schrullen und Besonderheiten der Stadt bringen mich zum Lachen, daran wollte ich Euch teilhaben lassen. Da ich keine echte Heinerin bin, ist das natürlich nie ganz ernst zu nehmen und mit einem Augenzwinkern zu verstehen.