Wer auf und abseits von Darmstadts Straßen flaniert und genau darauf achtet, kann sie sehen: die vielen unterschiedlichen Jobs und Berufe, die Menschen hier voller Herzblut ausüben und die Stadt damit zu der machen, die sie ist. Die Artikelreihe „Jobs outside the box“ schätzt (eher ungewöhnliche) Berufe wert, die das Stadtbild prägen und die – oft unbemerkt – sehr viel Positives zum Alltag der Heiner:innen beitragen. Vor allem aber soll sie zeigen, was viele längst wissen: dass es zwischen Maschinenbau, Informatik, Medizin, Jura und Philosophie noch jede Menge coole andere Bereiche gibt, in denen Menschen hier arbeiten!
Wer schon mal im Hessischen Landesmuseum Darmstadt (HLMD) am Friedensplatz war, hat sicherlich die beeindruckende Skulpturensammlung gesehen, die der Prachtbau in der Darmstädter Innenstadt beherbergt [wer noch keinen Fuß ins Museumsgebäude gesetzt hat, dem sei dies wärmstens ans Herz gelegt!]. Dass sie auch nach etlichen Jahren noch so frisch aussieht wie am ersten Tag, haben wir Petra Achternkamp zu verdanken. Petra ist seit 36 Jahren Restauratorin des Museums. Sie verantwortet Wohl und Wehe aller Skulpturen des Museums. Bewusst schreiben wir „des Museums“ und nicht „im Museum“, denn im Museum selbst wird nur ein Bruchteil aller Kunstobjekte aufbewahrt, die es tatsächlich besitzt – aber eins nach dem anderen.
„Das hat sich einfach so ergeben“
Als Petra sich am Ende ihres Studiums – „ich hatte noch nicht mal mein Diplomzeugnis in der Hand“ – auf ihren Job beim HLMD bewarb, hätte sie nie gedacht, dass sie ihr ganzes Berufsleben dort verbringen würde. „Das hat sich einfach so ergeben“, erzählt sie. „Das Museum als staatliche Institution ist ein sehr angenehmer Arbeitgeber, der es mir ermöglicht hat, die Arbeit mit meinem Familienleben zu vereinbaren. Ich habe zwei Töchter, habe in Teilzeit gearbeitet und pendle seit 25 Jahren zwischen Stadt und Land hin und her. Dabei hat der öffentliche Dienst mich immer unterstützt. Außerdem ist das Museum an sich fantastisch und meine Kolleginnen – ich gendere absichtlich nicht, die meisten sind Frauen – sind sehr nett.“
Aber was heißt das eigentlich: Restauratorin sein? Das erste Bild, das mir bei dieser Frage durch den Kopf schießt: Jemand steht tief gebückt mit Lupe vor dem Auge im weißen Kittel vor einem Kunstwerk. Mit diesem Klischee räumt Petra gleich mal auf: „Die Presse macht immer ganz bestimmte Fotos von uns bei der Arbeit: Es wird eine baumwollweißbehandschuhte Hand gezeigt, die ein Skalpell hält, alles ist sehr sauber und klinisch. Das ist aber nur ein Teil der sehr abwechslungsreichen Arbeit.“
Skulpturen, Gemälderahmen, Raumklima, Schädlingsmonitoring: check!
Petras Arbeitswoche beginnt mit einem umfassenden Kontrollgang durchs HLMD. Ganz in Ruhe, denn montags ist das Landesmuseum für Besucherinnen und Besucher geschlossen. Das bedeutet: Petra untersucht alle ausgestellten Objekte ihres Verantwortungsbereiches auf Veränderungen. Der Bereich Skulpturen schließt auch Gemälderahmen mit ein. Petra ist also auch die Person, die schief hängende Gemälde wieder gerade rückt. „Das Publikum verschiebt und fasst tatsächlich sehr viele Objekte an“, bemerkt sie. Jeder Ausstellungsraum wird montags außerdem auf seine klimatischen Gegebenheiten hin überprüft. Die Frage der Klimatisierung ist sehr wichtig, da nur ein stabiles klimatisches Umfeld die Kunstwerke stabil hält. Fällt mal eine Klimaanlage aus, wird sofort ein Techniker benachrichtigt. Doch nicht nur Feuchtigkeit und Temperaturen können der Kunst gefährlich werden; auch Holzwürmer und Käfer können Gemälderahmen und alte Skulpturen zerstören, Papierfischchen fressen antike Dokumente und ganz normale Motten lieben Beuys‘ Filz-Objekte. Zu den Montagsaufgaben gehört mithin zusätzlich das Schädlingsmonitoring.
Auch an den übrigen Wochentagen kommt die Arbeit nicht zu kurz. Restauratorinnen und Restauratoren organisieren den Leihverkehr des Museums. Fragt eine Institution an, ob sie eine Skulptur des HLMD für eine Ausstellung ausleihen darf, wird diese zunächst von Petra Achternkamp begutachtet. Sie prüft, ob das Objekt der Begierde überhaupt auf Reisen gehen kann oder ob es hierfür zu empfindlich ist. Wird die Skulptur für reisetauglich befunden, beauftragt Petra eine spezielle Kunstspedition. „Die Spedition baut jedes Mal eine spezielle Kiste für den Transport, die zum Teil mit einem Sensor für Temperatur- und Klimaschwankungen ausgestattet ist“, erzählt sie. Die jeweils für das Werk verantwortliche Restauratorin ist dafür zuständig, die Spedition in Empfang zu nehmen und den Abbau und das Verpacken in die Kiste zu beaufsichtigen.
Mit der Holzskulptur nach New York
Manchmal ist ein ausgeliehenes Objekt so wertvoll, dass die Restauratorin den gesamten Transport überwachen und bis zum Zielort mitfahren muss. So kam es, dass Petra einmal mit einer kleinen Holzskulptur nach New York geflogen ist. Damals veranstaltete das Metropolitan Museum of Art eine große Tilman-Riemenschneider-Ausstellung. „Die kleine Skulptur, die verliehen wurde, war so wertvoll, dass man sie nicht in den Frachtraum des Flugzeugs packen wollte. Da herrschen ja Minusgrade. Man hat also einen Sitz in der Economy-Class für die kleine Transportkiste gebucht und ich durfte mitfliegen. Das war wirklich lustig und bizarr, ein echtes Highlight, aber auch die absolute Ausnahme“, erinnert sich Petra.
Daneben hilft sie regelmäßig bei der Vorbereitung von hauseigenen Ausstellungen. „Das macht immer unglaublichen Spaß. Vor meinem Ruhestandseintritt zum Ende dieses Jahres darf ich noch die Ausstellung „Ich muss mich erstmal sammeln“ von Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata mit vorbereiten, die seit dem 15. November läuft. Ich bin sehr glücklich, dass das mein letztes Projekt ist. Das wird ’ne richtig schräge Sache!“
Hinter den Kulissen
Einen Teil von Petras Tätigkeit bekommt das Museumspublikum gar nicht mit, denn er spielt sich gänzlich hinter den Kulissen ab. Denn – wie bereits zu Beginn dieses Artikels erwähnt – befindet sich der Großteil der Kunstwerke, die ein Museum auf Lager hat, tatsächlich … im Lager. Und auch die in Depots und Magazinen gelagerte Kunst muss regelmäßig gewartet werden.
Last but not least gehört zu Petras Aufgaben natürlich das eigentliche Restaurieren. Das Landesmuseum beherbergt eigene Werkstätten, in denen an den Objekten gearbeitet wird. Die Restaurierungsabteilung ist untergliedert in die Bereiche Kunsthandwerk, Archäologie/Ethnologie, Moderne und zeitgenössische Kunst, Alte Kunst und Skulpturen (hier spielt Petras Musik). Das ist ziemlich viel für ein Museum, wie uns Petra erklärt, was daran liegt, dass das Landesmuseum eben nicht nur Gemälde, sondern viele verschiedene Sammlungsbereiche beherbergt. Geht man durch die Restaurierungswerkstatt, sieht man deshalb verschiedenste Objekte auf den Arbeitstischen: Architekturmodelle aus Kork, Gemälde auf Holz oder Leinwand und deren Rahmen oder auch moderne Kunstobjekte wie Collagen und Assemblagen. Einmal stand auf Petras Werktisch auch eine naturgetreue Frauenskulptur aus den Siebzigern, der eine unbekannte Person einen Vandalismusschaden hinzugefügt hatte: Man hatte der Figur die Schambehaarung abgeschnitten. Wie lange ein Gegenstand in der Werkstatt steht, kommt darauf an, welcher Typ Kunstwerk er ist und welche Art von Ausbesserungsarbeit vorgenommen wird.
Restaurieren braucht Zeit
„Bei Skulpturen ist eine Bearbeitungsdauer von bis zu einem Jahr durchaus normal“, erklärt Petra. „Das liegt daran, dass man keine eindimensionale Fläche – wie zum Beispiel ein Gemälde – bearbeitet. Stell Dir vor: Du musst an jede Falte und Ritze rankommen, sei es hinter dem linken Arm der Figur oder unter dem Jesuskind. Arbeitet man mit Hilfsmitteln wie ein Mikroskop, muss man es ständig neu einstellen, je nachdem, welchen Teil der Skulptur man gerade bearbeitet. Das ist sehr aufwändig.“ Dass man beim Restaurieren deshalb durchaus einen langen Atem braucht, war Petra zu Beginn ihrer Karriere gar nicht klar: „Man arbeitet zum Teil an sehr langwierigen Projekten. Es kann Wochen, Monate oder Jahre dauern, bis man ein bestimmtes Ergebnis vor sich hat. Ich bin eigentlich ein eher ungeduldiger Mensch und muss mich bei der Arbeit manchmal am Riemen reißen – das lernt man aber mit der Zeit!“
Auch gut zu wissen: Ein gewisses naturwissenschaftliches Interesse ist beim Restaurieren von Vorteil. „In der Schule habe ich Chemie mit Freude abgewählt und dann mit Schrecken festgestellt, dass das Studium einen großen Chemieanteil hat“, erinnert sich Petra. Das Verständnis chemischer Prozesse ist Teil der täglichen Arbeit. Müssen zum Beispiel Farbschichten von einem Kunstwerk abgetragen werden, so wird ermittelt, mit welchem Lösemittel das auf möglichst schonende Art gelingt. Überhaupt sollte man, wenn man Restauratorin oder Restaurator werden möchte, in der Lösungsfindung kreativ sein – auch wenn man sich dem Objekt in seiner Arbeit stets unterordnet. Das sei ganz wichtig, erklärt Petra. Früher, als die Berufsbezeichnung noch nicht geschützt war, seien viele Restauratoren eigentlich Maler gewesen, die sich mit ihrer Malerei nicht über Wasser halten konnten, erzählt sie uns. Diese hätten, um zu überleben, Restaurierungsarbeiten angenommen und dann auch mal etwas über- oder hinzugemalt. Das sei heutzutage undenkbar. Petra verdeutlicht: „Man darf beim Restaurieren nichts dazuerfinden und muss trotzdem kreativ sein, denn die Frage lautet immer: Wie kann man Schäden am Kunstwerk so minimalinvasiv wie möglich beseitigen?“
Arbeit mit moderner Technik
Heutzutage hilft die moderne Technik. Musste man früher eine Probe des zu bearbeitenden Objekts entnehmen, um seine Schichten zu untersuchen, kann man das Kunstwerk heute mittels modernster Untersuchungsmethoden wie der Röntgenspektralanalyse durchleuchten. Inwieweit KI diese Prozesse beeinflussen wird, bleibt abzuwarten. In jedem Fall ist das Restaurieren ein Job mit Zukunftsaussichten, denn Kunst wird es geben, solange die Menschheit kreativen Schaffensdrang verspürt. Diesen, so ist zu hoffen, wird auch der fortschreitende technologische Fortschritt nicht auslöschen können.
Petra für ihren Teil ist mit ihrer Berufswahl mehr als zufrieden. „An meinem Job gefällt mir am meisten seine Vielseitigkeit. Trotzdem verabschiede ich mich nach 36 Jahren im Beruf gerne in den Ruhestand. Ich mag meine Kolleginnen und identifiziere mich mit dem Museum. Ich habe eines der besten Arbeitsumfelder, das man haben kann. Die Stelle im Museum war meine Lebensstelle! Aber mit 66 Jahren denkt man sich doch auch: So, nun ist’s mal gut.“
Gut zu wissen:
– Um Restauratorin/Restaurator zu werden, muss man ein mindestens einjähriges Praktikum in einer restaurierenden Institution ableisten und danach die Aufnahmeprüfung an der Uni bestehen. Das HLMD bildet jedes Jahr von September bis September eine Jahrespraktikantin/einen Jahrespraktikanten aus. Am besten frühzeitig bewerben!
– Jedes Jahr im Oktober findet der Internationale Tag der Restaurierung statt, an dem man sich im Landesmuseum speziell über den Beruf und seine Voraussetzungen informieren kann.