Foto: Rettungshundestaffel ASB Südhessen

Es ist Mittwochabend, kurz nach Acht. Ich sitze in eine Wollfilzdecke gewickelt auf einer Isomatte in einer dunklen Ecke auf dem Außengelände des Pfungstädter Schwimmbads und puste kleine Atemwölkchen in die Winterluft. Was nach einem schlechten Klischee aus einem Coming-of-Age-Film klingt, hat heute ganz andere Gründe: Nach wenigen Minuten höre ich ein Glöckchen klingeln und leise Tritte auf dem Fliesenboden. Plötzlich steht vor mir ein braun-weißer, kniehoher Hund und bellt mich mit wedelndem Schwanz freundlich an.

Buddy ist zehn Jahre alt, und eigentlich habe ich gerade gelogen: Der Australian Shepherd bellt nicht mich an, er bellt nach seiner Hundeführerin: Carola Bücking ist stellvertretende Leiterin der Rettungshundestaffel des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) Südhessen und ich spiele gerade die vermisste Person in einer Suchübung. Das Zweiergespann aus Hund und Mensch brauchte nur wenige Minuten, mich im Dunkeln zu finden – auf das Kommando „Such!“ verfiel der geprüfte Flächen- und Trümmersuchhund sofort in Konzentration und fand ohne größere Umwege und ohne jeglichen Hinweis auf meinen Geruch den Weg zu mir.

Im Idealfall läuft das auch bei einer größeren „Flächensuche“ so reibungslos – und genau auf solche trainieren Caro und Buddy und die rund zehn weiteren Suchteams, die an diesem Abend zum Training gekommen sind, zweimal die Woche. Weggelaufene Teenager sind dabei selten Suchobjekt. „Tatsächlich sind es sehr häufig demenzkranke Menschen, die aus ihren Heimen verschwunden sind, nach denen wir suchen“, erzählt Caro, nachdem ich Buddy seine verdiente Belohnung gegeben habe. „Manchmal sind es auch suizidale Menschen.“

Geht eine entsprechende Vermisstmeldung bei der Polizei ein, kann diese ohne jeglichen Kostenaufwand verschiedene Rettungshundestaffeln aus der Region aktivieren. Eine davon ist die Rettungshundestaffel des ASB Südhessen, die ihren Standort in Eberstadt hat. Durch eine App wird bei allen Hundeführer:innen der Staffel ein Alarm ausgelöst. Diese sprechen sich dann ab, wer gerade Kapazitäten für den (meist mehrstündigen) Einsatz hat. Denn: Die gesamte Rettungshundestaffel arbeitet komplett ehrenamtlich. Wenigstens wurde in Darmstadt im vergangenen Jahr endlich die Hundesteuer für ausgebildete Suchhunde erlassen. Der Bus, mit dem die Hunde zu Einsätzen transportiert werden, sowie weitere Ausrüstung wie Einsatzkleidung und die Kenndecken für die Hunde werden vom ASB gestellt.

Zehn Einsätze pro Jahr – und bis zu 600 Stunden Ehrenamt

Rund zehnmal im Jahr rückt die Rettungshundestaffel damit auf Anforderung der Polizei im Bereich Südhessen aus. In den meisten Fällen mit Erfolg: „2020 wurde von unserer Staffel im Wald von Rohrbach eine verletzte Frau gefunden, die von einem Ausflug mit ihren Dromedaren nicht zurückgekommen war“, berichtet Caro von ihrer vermutlich kuriosesten Suche. Dabei betont sie, dass ein solcher Fund immer das Resultat guter Teamarbeit zwischen allen Einsatzkräften sei.

Damit die Einsätze so erfolgreich verlaufen, muss viel und regelmäßig trainiert werden. Die Übung am Mittwochabend dauert gute zwei Stunden – am Wochenende wird schon mal fünf bis sechs Stunden lang trainiert. Da braucht es eine ganze Menge Eigenmotivation: Jedes Mitglied leistet inklusive der Einsätze, Übungen, Theorieeinheiten, Lehrgänge und Fortbildungen zwischen 300 und 600 Stunden Ehrenamt pro Jahr, erzählt mir Anja Dosch. Sie leitet gemeinsam mit Caro sowie der Staffelleiterin Meike Morgenstern die Rettungshundestaffel und in aller Regel auch die Übungen und weiß: „Der Einsatz hier geht weit über ein Hobby hinaus.“

Die häufigen Übungen sind übrigens nicht nur notwendig, um die Suchteams im Training zu halten: Auch Nachwuchssuchhunde üben hier für ihre Prüfung. Buddy, der mich gerade in kürzester Zeit gefunden hat, ist einer der erfahrensten Hunde der Staffel. Am anderen Ende der Altersskala steht Wim: Ein fünf Monate alter Beagle, der schon seit dem Welpenalter für seine Zukunft als Personenspürhund trainiert.

„Mit kleinen Übungen kann man schon bei sehr jungen Hunden anfangen“, findet Anja. „Da gibt es keine festgelegte Grenze – wichtig ist erst mal nur, dass ein Hund motiviert, dem Menschen gegenüber freundlich und mit anderen Hunden verträglich ist. Man muss aber auch aufpassen, dass man die Tiere nicht überfordert: Nach einer schlechten Erfahrung im Training kann es passieren, dass ein Hund nie wieder sucht.“ Ein gutes Alter für die erste Prüfung habe ein Vierbeiner mit ungefähr zwei oder drei Jahren. „Dann sind die Hunde in der Regel aus der Pubertät raus, sind gefestigt und haben eine stabile Grundausbildung.“

Viel Einfühlungsvermögen gehöre dann dazu, die richtige Motivation – und viel Disziplin im Training. Zu spät sollte man damit übrigens auch nicht beginnen. Um in Deutschland als Rettungshund eingesetzt zu werden, müssen alle Suchteams eine Prüfung abgelegt haben. Für die Zulassung zur Prüfung als Flächensuchhund etwa müssen die Tiere nicht nur einen Eignungstest bestanden haben, sie dürfen auch höchstens sechs Jahre alt sein. Wer zu spät mit dem Training anfängt, ist zu diesem Zeitpunkt eventuell noch nicht bereit für die Prüfung: „Zwei bis drei Jahre brauchen die meisten Teams schon, bis sie prüfungsfähig sind“, weiß Anja. Grundsätzlich seien junge Hunde außerdem lernfähiger als ältere.

Foto: Rettungshundestaffel ASB Südhessen

Flächensuchhund, Mantrailer oder Trümmerhund

In der organisationseigenen Prüfung muss dann nicht nur eine erfolgreiche Suche auf einer Fläche von 30.000 Quadratmetern absolviert und dabei der Fund deutlich angezeigt werden – auch die Hundeführer:innen müssen eine schriftliche Prüfung über die Theorie der Rettungshundearbeit ablegen. Darüber hinaus ist nicht nur eine Funkschulung, sondern auch ein Sanitätslehrgang verpflichtend, damit sie bei großen Einsätzen oder in kritischen Situationen schnell agieren können. Die Prüfung muss dann alle zwei Jahre wiederholt werden, um sicherzustellen, dass die Teams nach wie vor einsatzbereit sind.

Insgesamt gehören derzeit rund 25 Hundeführer:innen zur Staffel. Die meisten haben nur einen, manche aber auch mehrere Hunde. Diese gehören verschiedenen Sparten an: Flächensuchhunde suchen auf einer grob festgelegten Fläche, etwa in Waldstücken, nach jeglichem menschlichen Geruch – so wie bei der Übung auf dem Schwimmbadgelände. Personenspürhunde, sogenannte „Mantrailer“, suchen personenbezogen eine bestimmte Person. „Dieser Hund darf also nur die weggelaufene Oma finden, der Rest muss ihm egal sein“, erklärt Anja. Ihr Hund etwa sei drei Jahre in der Fläche ausgebildet worden, bevor sie festgestellt hatte, dass er sich viel besser als Personenspürhund eignete und ihn deshalb darauf spezialisierte. Ihr Glück: Für Personenspürhunde gibt es keine Altersobergrenze. Während geprüfte Flächenhunde von der Polizei automatisch akkreditiert werden, müssen Mantrailer in Hessen jedoch individuell gesichtet werden, bevor sie zum Einsatz kommen. Zu groß ist die Gefahr, dass ein Hund im Eifer des Gefechts unangemessen reagiert – zumal manche Hunde, ist ihr Suchinstinkt einmal aktiviert, sich nur noch schwer bremsen lassen.

Auch als Trümmersuchhund kann und sollte nicht jeder Suchhund eingesetzt werden: „Die Trümmerhunde werden dorthin geschickt, wo Menschen nicht suchen können, weil es zu gefährlich ist. Das bedeutet, dass ich meinen Hund von mir wegschicken können muss. Dafür muss der Hund mutig und trittsicher sein, und im Idealfall eher klein, wendig und leicht“, beschreibt Anja. Auch das Risiko, dass ein Hund bei der Trümmersuche selbst verunglücke, sei nicht zu unterschätzen.

Foto: Rettungshundestaffel ASB Südhessen

Trainingsintensiv und hochindividuell

Doch nicht nur in ihrer Sucheignung unterscheiden sich die Hunde: Buddy, der mich auf meiner Isomatte gefunden und daraufhin laut gekläfft hat, ist ein „Verbeller“. Das bedeutet, dass er seine Hundeführerin durch lautes Bellen auf seinen Fund aufmerksam macht – und birgt das Risiko, damit gefundene Personen zu erschrecken und ihnen Angst einzujagen. Eine auffällige Kenndecke, die die Suchhunde vor ihrem Einsatz übergezogen bekommen, hilft deshalb nicht nur Jäger:innen und Förster:innen, sie von Raubtieren und wildernden Hunden zu unterscheiden. Sie zeigt im Idealfall auch der gefundenen Person, dass der Hund eine Aufgabe hat und sie nicht beißen wird. Andere Suchhunde arbeiten als „Bringsler“ oder „Rückverweiser“, sie kommen also zurück zu ihren Hundeführer:innen und führen diese dann zum Fundort.

Unter anderem weil die Anzeigeformen der Hunde so unterschiedlich sind, können Suchteams nur schwer auseinandergerissen oder ein Part durch ein anderes Staffelmitglied ersetzt werden: Die Suchteams sind eingespielte Gespanne, die Hundeführer:innen erkennen häufig nur anhand von Körperhaltung oder Art des Bellens, ob ein Hund eine Spur verfolgt oder etwas gefunden hat.

Diese intensive Bindung ist auf rein beruflicher Ebene fast nicht möglich – dafür müssen sich Hund und Mensch sehr gut kennen und blind miteinander funktionieren. Umso dankbarer kann unsere Gesellschaft für die rein ehrenamtlich tätigen Suchhundestaffeln des Landes sein. Wer Buddy, Wim & Co. bei ihrer Arbeit unterstützen will, kann das durch Spenden tun – oder durch das Bereitstellen von Trainingsflächen: Wer etwa ein Gebäude abreißen will oder eine größere Fläche brachliegen hat, könnte das Gebiet zeitweise für Suchübungen freigeben. Derzeit trainiert die Rettungshundestaffel neben dem Gelände des Pfungstädter Freibades in verschiedenen Waldstücken, auf frei stehenden Geländen und gelegentlich sogar im Kletterwald Darmstadt. Sobald die Pandemie-Lage es zulässt, können Interessierte auch wieder bei Vorführungen vorbeikommen und sich mit eigenen Augen von den beeindruckenden Fähigkeiten der Hunde überzeugen.

 

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