Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Es ist schon erstaunlich, wie stark die Pandemie sich auf die Wahrnehmung auswirkt. Denn obwohl das aus Stahl und Tau gearbeitete Objekt rein gar nichts mit Corona zu tun hat, taucht der Dreiteilung wegen vor meinem inneren Auge zunächst ein Graph mit drei Wellen auf. Diese erste Assoziation verschwindet zum Glück mit dem nächsten Atemzug und gibt den Raum frei für das, was die Arbeit des Bildhauers Roger Rigorth tatsächlich auszeichnet.

Die Skulptur wirkt, ihrer Größe zum Trotz, luftig und leicht. Durch die gitterartige Struktur erinnert sie an die Flügel einer Libelle. Doch es scheint nicht, als wären diese Flügel zum Schlagen bereit. Auch wirkt es nicht so, als wären die Flügel im Schaukasten eines Insektensammlers fixiert. Eher scheint es so, als würden sie sanft die Luft umschließen und über dieses Medium meditieren, welches ihnen sonst beim Fliegen hilft. Ganz so wie zwei Hände, die Wasser aus einem See umschließen – nicht, um es zu trinken, sondern lediglich, um es langsam wieder zurückfließen zu lassen. Eine Geste, die der Vergegenwärtigung dient und Wertschätzung ausdrücken kann. Aber auch eine Geste, die Verbundenheit zeigt, oder besser vielleicht sogar Eingebundenheit?

Denn wir sind, obwohl mittlerweile mehr als die Hälfte der Menschheit in urbanen Ballungsräumen lebt, unweigerlich ein Teil dieser Welt. Dass wir in Blöcken aus Beton, Glas und Stahl leben, ändert daran reichlich wenig. Corona zeigt die Gefahren und erschreckenden Seiten dieser Verbundenheit schon seit über einem Jahr. Die Flügel von Roger Rigorth bieten hingegen eine Perspektive voller Schönheit, ja, Leichtigkeit. Beide Perspektiven sind wahr. Die Frage ist jedoch, welche der beiden wir in unserem Alltag wahrnehmen wollen.

 

Kunst im öffentlichen Raum

Kunst findet man nicht nur in Museen und Galerien, sondern oft auch im Freien und für jeden sichtbar. Manche Werke sind schon seit Jahrhunderten ein Teil des Stadtbildes, andere zieren es nur kurz. In Darmstadt haben einige Fügungen des Schicksals dafür gesorgt, dass es besonders viele Kunstwerke im öffentlichen Raum gibt. Ohne die schützenden Laborbedingungen eines White Cube gehen sie allerdings schnell unter. Dabei können gerade diese stillen Zeitgenossen unsere Wahrnehmung des Stadtraumes verändern und unser Verständnis von Welt herausfordern. Eine Einladung zum Fantasieren.