UrbanGardening
Foto: Jan Ehlers

In High Heels auf zum Rüben stechen?! Hektisch-modernes Stadtleben auf der einen, Landwirtschaft von Ackern bis Ernten auf der anderen Seite: Klingt eigentlich, als wäre beides nicht unter einen Hut zu bringen. Geht aber. Und Mitmachen kann jeder.

Städter zu Gemüsebauern

Bei der Frage, wie und wann das eine oder andere Gemüse wächst oder wo es herkommt, muss sich jeder wohl oder übel einige Wissenslücken eingestehen, denn „bei Rewe“ oder „aus Spanien“ gelten leider nicht als adäquate Antworten. Da ist es umso erfreulicher, dass sich in den letzten Jahren ein Trend etabliert hat, der mittlerweile auch die Darmstädter aus ihren Häusern lockt: Urban Gardening, die urbane Landwirtschaft. Das Prinzip ist denkbar simpel: Ein (Bauern-) Hof bietet abgesteckte Parzellen Feld zur Pacht an, auf denen Hobbygärtner von Mai bis November eigenes Gemüse in ihrem „Saisongarten“ ernten. Für die Darmstädter ist das Hofgut Oberfeld eine geeignete Anlaufstelle, da der letzte Bauernhof der Stadt noch am Rand des östlichen Stadtgebiets liegt.

Hofgut Oberfeld, Birkenhof und Lindenhof

Zwei weitere Saisongärten gibt es in der Umgebung: In Klein-Zimmern befindet sich der Birkenhof, der von Thomas Schaffer geleitet wird. Familie Kress führt den Lindenhof in Ober-Ramstadt. Dort besteht zusätzlich die Möglichkeit eine Saison-Patenschaft für ein Huhn zu übernehmen. So können neben Gemüse auch frische Bioeier „geerntet“ werden. Mit den Gewächshäusern der Orangerie in Bessungen könnte 2014 eine weitere Fläche für Selbstanbau in Darmstadt dazukommen. Ob dieser bei der Stadtverwaltung eingegangene Vorschlag angenommen wird, soll sich bis Ende 2013 entscheiden.

Was den Stadtbewohner am Trend des urbanen Landwirtschaftens erfreuen dürfte, ist, dass man in Sachen Gärtnern ziemlich talentfrei sein darf. Die Felder werden vorab vom Hofbetreiber bearbeitet und sogar besät. Das garantiert zum einen die Bio-Qualität der Saat und Jungpflanzen – und sorgt dafür, dass jedes Ackerstück für die jeweilige Saat geeignet und vorbereitet ist. Die Parzellen werden mit zirka 20 Gemüsesorten bestückt, die von Jahr zu Jahr etwas variieren. Platz, um eigene Wünsche zu säen, ist natürlich auch vorgesehen. Ein erfahrener Landwirt steht die Saison über mit Rat und Tat zur Seite.

Saisonstart Anfang Mai auf 200 Parzellen

Die Idee des Urban Gardening erreichte Darmstadt 2010 durch eine Initiative der Supermarktkette Tegut. Als Teil der Projektreihe zur Förderung von nachhaltigem Denken und Handeln stellte das Hofgut Oberfeld im ersten Jahr 50 solcher Saisongärten zur Verfügung. Für den Saisonstart am 01. Mai 2013 vergrößerte Agraringenieur Jens Müller-Cuendet (Fachrichtung: ökologische Landwirtschaft) das Gelände nochmals, auf nun 2 Hektar mit 200 Parzellen. Besonders schön an dem Konzept ist die Tatsache, dass Biogemüse aus (selbst-) kontrolliertem Anbau auch für den kleineren Geldbeutel bezahlbar ist: Die Pacht für eine große Parzelle (70 qm) kostet 200 Euro für die gesamte Saison, 110 Euro zahlt man für eine kleine Parzelle (35qm). Das Sortiment und die Menge der Ernte sind beachtlich. Familie und Freunde des Saisongärtner können sich ihres Anteils eigentlich sicher sein – so groß ist der Ertrag.

Um den Einstieg zu erleichtern, bietet Öko-Landwirt Müller-Cuendet von Mai bis Juli wöchentliche Beratungsstunden auf dem Feld an – und er verschickt einen E-Mail-Newsletter an alle Saisongärtner. Darin gibt es Tipps zum Gießen („einmal die Woche reicht“), warum es gut ist, den Boden zwischen den Pflanzen aufzuharken („weniger Verdunstung, weniger Unkraut, Luft kann besser in den Boden“), was man gegen Kartoffelkäfer tun kann („abpflücken!“) und was zum Schutz des jungen Gemüses vor Tauben („alte CDs aufhängen, die das Licht reflektieren“). Mit dieser netten Betreuung wird Landwirtschaft zum Kinderspiel.

Wer seinen inneren Hobbygärtner entdecken möchte, sollte sich allerdings frühzeitig um eine Parzelle bemühen, denn die Darmstädter finden Urban Gardening allem Anschein nach super: Die Parzellen des Hofguts Oberfeld sind für 2013 bereits vergeben, ab November kommen die ersten Pachtanfragen fürs Folgejahr. Auf dem Birkenhof und dem Lindenhof gibt es noch freie Parzellen. Ein Anruf oder eine Mail genügt (Kontaktdaten in der Infobox am Ende des Artikels). Für Leute mit Auto oder sportliche Fahrradfahrer sind beide Höfe prima zu erreichen.

Spätestens jetzt dürfte die berechtigte Frage aufkommen: Wie genau soll ich denn ein ganzes Feld mit zwanzig Gemüse-Sorten leer essen? Die Frage ist gut, die Antwort noch besser: Ein Saisongarten kann gemeinsam mit beliebig vielen gepachtet werden. So wird nicht nur der Ertrag, sondern auch die Arbeit geteilt. Für die kollektive Gärtnerfreude! „Da gibt’s die Familien mit Kindern, die das ganz toll finden, die alteingesessenen Ökos, aber auch Studenten, die als WG ein Feld betreiben“, erklärt Jens Müller-Cuendet. Große Parzellen teilen sich einige der Hofgut-Saisongärtner zu viert oder fünft.

Generationenwechsel im Schrebergarten

Als Alternative für solche, die lieber Ganzjahres-Gärtner sein möchten, bieten diverse Kleingartenvereine in Darmstadt Schrebergärten an. Das Gesamtkonzept ist allerdings etwas anders. Diese Parzellen werden als normale Wohlfühl-Gärten zum Grillen, Anbauen oder einfach zum Rumhängen genutzt. Einmal gepachtet, behält man sein Gärtchen, solange man möchte. So gibt es Gärtner, die gut und gerne mehrere Jahrzehnte ihre Parzelle genießen. Das ist wohl auch einer der Gründe, weshalb der Schrebergarten einen eher konservativen Spießer-Stempel weg hat. Aber da man aktuell mit allem, was retro, nostalgisch und etwas altbacken ist, total im Trend liegt, erfreuen sich auch die Schrebergärtchen zunehmend eines Generationenwechsels.

Das selbst angebaute, ausschließlich natürlich gedüngte Gemüse zu hegen, pflegen und schließlich zu ernten, sorgt nicht nur für Erfolgs- und Glücksgefühle. Vorrangiges Anliegen ist es, eine neue und nachhaltige Wertschätzung von Lebensmitteln zu vermitteln, die durch konsumgesellschaftlichen Komfort auf der Strecke geblieben ist. Dazu kommt, dass mit großer Wahrscheinlichkeit die eine oder andere Sorte an deutschem Gemüse dabei sein wird, die man vorher nur vom Namen her kannte. Egal, ob auf einem Feld oder im eigenen Schrebergärtchen: Gemüsebauer ist ein abwechslungsreiches Frischluft-Hobby, das für (Groß-) Städter auch ohne grünen Daumen zu meistern ist!

 

Urbane Landwirtschaft

Für mehr Urban Gardening in Darmstadt bietet die Initiative „Tegut … Saisongarten“ unter www.tegut.com/saisongarten/standorte.html die Möglichkeit, neue potenzielle Flächen oder Höfe vorzuschlagen.
 

Saisongarten-Kochbuch

Die vergangenen drei Jahre in den Saisongärten auf dem Hofgut Oberfeld haben ein beachtliches Gemeinschaftsprodukt vieler Hobby-Gemüsebauern entstehen lassen: „Das Saisongarten-Kochbuch“. Koordiniert und zusammengestellt haben es die engagierten Saisongärtner Marianne Kissel-Lesser, Werner Lesser, Dorothee und Klaus North. Mehr als 100 Rezepte für mehr als 30 Gemüsesorten dokumentieren gut fotografiert und gestaltet, wie man aus selbst angebauten Feldfrüchten köstliche Gerichte zaubert. Auch Vegetarier und Veganer werden fündig. Eine Gliederung nach Speisearten und Saisonzeiten erleichtert die Übersicht. Erschienen im Synergia Verlag Darmstadt, 2012, durchgehend vierfarbig, Hardcover, mehr als 200 Seiten, Querformat, 20 Euro (ISBN: 978-3-939272-63-2).
www.saisongarten.org
 

Kontakte

Hofgut Oberfeld:
Jens Müller-Cuendet / Erbacher Staße 125, 64287 Darmstadt / Telefon (06151) 95048619 / E-Mail: j.muellercuendet@landwirtschaft-oberfeld.de

Lindenhof:
Familie Kress / Außenliegend 28, 64372 Ober-Ramstadt / (0171) 1481923 / info@kivoli.de

Birkenhof:
Thomas Schaffer / Marktstraße 100, 64846 Klein-Zimmern / (06071) 739678 / thomas@schaffer-birkenhof.de
 

Urban Gardening im Netz

Plattform mit Wissenssammlungen, Aktivitäten und Projekten der urbanen Landwirtschaft: www.stadtacker.net

Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt: www.urban-gardening.eu

Selbsternte als Do It Yourself-Kultur: www.gartenpiraten.net
 

Solidarische Landwirtschaft

Nicht selber ernten, aber ökologischem Anbau Planungssicherheit geben:
www.solidarische-landwirtschaft.org