Foto: Johanna Hilbig
Foto: Johanna Hilbig

„Man darf Lebensmittel nicht verschwenden“

So isst Darmstadt! Folge 1: Containern

Allein in Deutschland werden laut Umweltbundesamt jährlich elf Millionen Tonnen Lebensmittel weggeschmissen. Kein Wunder, dass sich in Deutschlands Großstädten eine lebhafte „Containerer“-Szene entwickelt hat. Containern (oder auch: Dumpstern) bedeutet, die Mülltonnen von Supermärkten nach brauchbaren Lebensmitteln zu durchsuchen. Auch in Darmstadt nimmt die Zahl der Menschen zu, die sich hauptsächlich von Lebensmitteln aus Containern ernähren. Oft sind es Studenten, die unsere Wegwerfgesellschaft nicht mehr hinnehmen wollen.

Die „Containerer“ bewahren viele Lebensmittel vor der Müllpresse. Zum Beispiel Schokoriegel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum zwei Tage zuvor abgelaufen war. Dabei sind sie noch viele Tage danach genießbar.

Containern ist in Deutschland illegal. Die Lebensmittel-Retter riskieren strafrechtliche Konsequenzen wegen Diebstahls, wenn sie die entsorgten Äpfel, Kartoffel, Brötchen und vieles mehr mitnehmen. Außerdem gilt das Betreten von privaten, eingezäunten Grundstücken als Hausfriedensbruch. Geht dabei auch noch etwas zu Bruch, wird man schnell zum Schuldigen. Es gibt bislang allerdings nur wenige „Containerer“-Fälle, die sich tatsächlich vor der Justiz verantworten mussten.

Anna und Lena (Namen von der Redaktion geändert) sind Studentinnen aus Darmstadt. Um gegen die Nahrungsmittelverschwendung zu kämpfen, gehen sie gemeinsam seit knapp einem Jahr regelmäßig containern. Kennen gelernt haben sie sich über die vegane Szene der Stadt. Wir haben mit ihnen über ihre Motivation und Mülltonnen voller Schokolade gesprochen.

Wie seid Ihr zum Containern gekommen?

Anna.: Zum ersten Mal wurde mir das Thema Lebensmittelverschwendung bewusst, als ich vor einigen Jahren das Buch „Die Essensvernichter“ las. Im Laufe der Produktion von Lebensmitteln landet etwa die Hälfte im Müll. Dass in Deutschland Nahrungsmittel so wenig geschätzt werden und woanders auf der Welt Millionen Menschen verhungern, konnte ich nicht verstehen. Containern bin ich erst dann gegangen, nachdem ich Leute kennengelernt habe, die bereits Erfahrung mit dem Thema hatten.

Lena: Ich habe in einem Vortrag das erste Mal vom Containern gehört. Daraufhin wollte ich das auch machen. Ich wusste nur nicht, wohin und mit wem ich gehen soll. Durch Anna bin ich dann auf die konkrete Idee gekommen.

Was ist Eure Motivation? Ihr studiert, spielen finanzielle Gründe eine Rolle?

L: Nein. Wir könnten es uns auch leisten die Lebensmittel zu kaufen. Aber es ist unnötig, wenn sie weggeworfen werden. Das, was vom Supermarkt weggeworfen wird, ist natürlich nur ein Teil des ganzen Problems. Hier können wir jedoch selbst etwas dagegen tun.

A: Grundsätzlich ist es bei mir der Gedanke Lebensmittel nicht zu verschwenden. Also ein ethischer Grund.

Wie muss man sich so eine Container-Tour vorstellen? Ihr stehlt Euch nachts durch Supermarkt-Hinterhöfe und durchwühlt Mülltonnen?

A: Zu unserer Ausrüstung gehören Taschenlampe, Kopflampen, Handschuhe und Handhygiene-Gel, denn manchmal greift man doch in etwas Ekliges. Sehr wichtig für den Transport sind Rucksäcke und umweltschonende Stofftbeutel. Für den Weg nutzen wir meistens ein Fahrrad.

L: Es kommt immer darauf an, wie viele Personen wir sind. Pro Markt brauchen wir meist eine halbe Stunde, um da alles aus den Tonnen herauszuholen, alles durchzugucken und Tüten zu packen. Es ist immer unterschiedlich. Und es kommt auch darauf an, wie weit weg der Markt ist, wie viel man findet, wie schnell man alles aufteilt und wie viel man davon noch waschen muss. Teilweise bin ich erst um drei Uhr nachts ins Bett gekommen.

A: Man unterschätzt die Zeit. Ich denke immer, dass ich kurz containern gehe und dann wieder nach Hause fahre, aber meistens bin ich doch erst nach Mitternacht daheim.

 

Foto: Julia Moor
Foto: Julia Moor

Was werfen die Supermärkte weg? Womit sind die Mülltonnen gefüllt?

L: Wir finden immer ziemlich viele Kartoffeln, ganz viel Gemüse und Obst. Am häufigsten Äpfel, teilweise bis zu 14 Kilo. Paprika, Tomaten und Pilze sind auch nicht selten. Aber auch Reis und Müsli, allerdings nur, wenn dort die Verpackung beschädigt ist. Oft gibt es viel Schokolade. Und auch viele Brote und Brötchen. Man findet irgendwie alles.

Was war Eurer kuriosester Fund?

L.: Wir haben auch schon Backpapier gefunden oder eine Packung Slipeinlagen. Aber auch Grabgestecke oder Blumensträuße sowie Waschmittel und Vogelfutter.

Ist es nicht eklig sich durch die Container zu wühlen? Gerade im Sommer, wenn Lebensmittel schnell verderben.

A: Das kann ich gar nicht so beurteilen, da wir letzten Sommer noch nicht aktiv waren. Außerdem haben wir ja Handschuhe an.

L: Ich weiß nur von einer Freundin, die beim Containern einmal eine Mülltonne voller Maden gefunden hat. Das war dann richtig eklig. Aber bei uns hatten wir so Vorfälle noch nicht.

Lebensmittel aus der Mülltonne, da läuten bei vielen die Alarmglocken. Ist das gesundheitlich nicht bedenklich?

A: Nein, es reicht ja aus, wenn man vorher noch einmal genau guckt, ob alles gut ist. Bei leicht verderblichen Sachen wie zum Beispiel Pilzen oder verpackten Salaten muss man vorsichtig sein und sich auf seine Sinne verlassen.

Ihr seid oft als Gruppe unterwegs. Wie verteilt Ihr die Sachen untereinander?

A: Wir machen alles zusammen und achten darauf alles fair zu verteilen beziehungsweise, dass jeder sich mitnehmen darf, was er möchte.

Gibt es sonst noch Regeln? Einen Containerer-Codex?

A: Alles so hinterlassen, wie es war. Wir nehmen auch nicht so viel wie möglich mit, sondern so viel, wie man selbst braucht und eventuell für den Bekanntenkreis. Wir haben ja auch ein bisschen Angst, den Obdachlosen etwas weg zu nehmen. Obwohl wir glauben, dass dort, wo wir hingehen, keine Obdachlosen unterwegs sind.

L: Das ist auch immer dieser Zwiespalt. Nehmen wir wirklich alles mit und verteilen es dann noch, oder nehmen wir nur so viel mit, wie wir selber haben möchten. Es kann immer sein, dass noch jemand zum Container kommt. Das wissen wir nie. Wenn dann keiner kommt und alles liegen bleibt, ist das auch schlecht.

Rechtlich gesehen ist euer Aktivismus illegal. Hattet ihr anfangs Angst?

L: Ja, so ein bisschen Angst hat man immer noch. Da man nicht genau weiß, wie die Polizei sich verhält, wenn man erwischt wird.

A: Es hängt dann wahrscheinlich von dem Polizisten und dem Supermarkt ab. Das verunsichert einen.

Wurdet Ihr schon mal erwischt?

A: Nicht wirklich. Neulich wurden wir von einem Nachbarn am Supermarkt fotografiert. Aber da haben wir uns gedacht, dass er jetzt ein Foto von uns hat, auf dem wir von hinten zu sehen sind. Da kann er auch nichts mit machen.

Wie reagiert Euer Umfeld darauf, dass ihr nachts Lebensmittel rettet?

L: Meine Eltern wissen es, sie finden das auch ganz gut. Sie haben mir auch schon Äpfel abgenommen, als ich zu viele hatte.

A: Bei mir wissen es die Eltern nicht. Das liegt aber auch daran, dass ich nicht bei ihnen wohne. Aber in meinem direkten Umfeld wissen es alle.

Wie reagiert Ihr auf Neulinge – und auf die Presse?

A: Wir wollen, dass das Thema Lebensmittelverschwendung ins Gespräch kommt. Wir sehen Neulinge auch überhaupt nicht als Konkurrenz an und nehmen gerne Kommilitonen oder Freunde mit. Dies ist das erste Mal, dass wir mit der Presse zu tun haben. Es ist nicht gerade ein Thema, das die Öffentlichkeit sehr zu interessieren scheint.

 

Interview: Johanna Hilbig, Julia Moor + Annika Beck (Teilnehmerinnen am Semesterprojekt „So isst Darmstadt!“ an der Hochschule Darmstadt, Studiengang Onlinejournalismus in Kooperation mit dem P Stadtkulturmagazin)

 

Weitere Infos:

www.containern.de

www.dumpstern.de/containern-in-darmstadt

 

„Wo kein Kläger, da kein Richter.“

Containern aus Sicht der Darmstädter Polizei

Welche rechtlichen Folgen das Containern haben kann, erklärt Ferdinand Derigs, erster Polizeihauptkommissar des Polizeipräsidiums Südhessen, im Interview.

 

Immer mehr Studenten gehen nachts auf Mülltonnentour. Bei den meisten steht nicht der finanzielle Aspekt im Vordergrund. Vielmehr möchten sie ein Zeichen gegen Lebensmittelverschwendung setzen. Was sagen Sie dazu?

Die Motivation einzelner Menschen hat ein Polizeibeamter aufgrund seines Gesetzesauftrags, Straftaten zu verfolgen (§ 163 der Strafprozessordnung), nicht zu beurteilen.

Und Ihre persönliche Meinung zum Containern? Können Sie Menschen, die das tun, verstehen?

Ich denke, es ist jedem selbst überlassen, ob er sich von solchen Nahrungsmitteln ernähren möchte. Man muss sich die Frage stellen: Ist das nun Müll? Kann ich das noch essen? Hier steht für mich der gesundheitliche Aspekt im Raum. Schließlich wurde die Kühlkette unterbrochen. Vieles ist bereits verschimmelt und liegt mit vielleicht noch genießbaren Lebensmitteln in einer Tonne und muss einfach weg. Selbst kann man sich glücklich schätzen, wenn man nicht auf diese Form der Versorgung angewiesen ist.

Stellt das Containern im Raum Darmstadt ein Problem dar?

Nein, mir persönlich ist kein einziger Fall bekannt, in denen Polizisten im Raum Darmstadt damit konfrontiert wurden.

Fahren Sie Supermärkte regelmäßig ab und kontrollieren sie?

Streife fahren und observieren gehören zum „täglichen Brot“ der Beamten. Besonders gefährdete Bezirke oder Objekte wie zum Beispiel leer stehende Häuser werden regelmäßig kontrolliert. Von den Supermärkten gibt es allerdings keinen speziellen Auftrag, dort nachts nach dem Rechten zu schauen.

Und wie würden Sie vorgehen, wenn es dort zu einem „Container-Einsatz“ käme?

Wenn ein Anruf kommt, beispielsweise von besorgten Anwohnern, schicken wir eine Streife vorbei. Wir nehmen die Personalien auf und halten ganz objektiv die Tatbestände fest. Wurde etwas aufgebrochen oder zerstört? Wenn dem so ist, könnte es sich hierbei um Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und/oder Einbruchsdiebstahl handeln. Ein Schloss hängt ja schließlich nicht umsonst da. Wie das Ganze dann aber weitergeht und ob bei der Sachbeschädigung und bei Hausfriedensbruch Strafantrag gestellt wird, liegt ganz in der Hand der einzelnen Supermärkte. Wo kein Kläger, da kein Richter.

Mit welchen Folgen muss man rechnen, wenn es zur Anzeige kommt?

Im Falle einer Verurteilung ist das Strafmaß Sache des Gerichts. Dies können zum Beispiel Geldstrafen, aber in gravierenden Fällen auch Freiheitsstrafen sein. Dazu könnte es zivilrechtliche Schadensersatzansprüche des Geschädigten geben.

Wie ist genau ist die rechtliche Lage, wenn man Lebensmittel aus Müllcontainern entwendet?

Vom rechtlichen Standpunkt her ist das Ganze eine Einzelfallentscheidung. Werden aufgrund finanzieller Interessen beispielsweise Pfandflaschen entwendet, befinden wir uns hier ganz klar im strafrechtlichen Bereich. PET-Flaschen stellen einen Wertstoff dar und durch die Weiterverarbeitung kann man schließlich Geld erhalten. Wirft der Besitzer eine Pfandflasche in den „öffentlichen Müll“ und gibt sein Eigentum auf, hat dagegen niemand mehr ein Interesse an der Flasche, auch der Müllentsorger/die Stadtverwaltung nicht.

Wie schätzen Sie die Abfall-Mentalität der Supermärkte ein?

Die Märkte gehen ganz unterschiedlich mit Müll um. Viele arbeiten zum Beispiel mit „dem Tafel e.V.“ zusammen oder spenden Lebensmittel, die nicht mehr zum Kauf angeboten werden dürfen. Es gibt aber sicher auch Supermärkte, die diesen Weg nicht wählen – aus welchen Gründen auch immer.

 

Interview: Johanna Hilbig, Julia Moor + Annika Beck (Teilnehmerinnen am Semesterprojekt „So isst Darmstadt!“ an der Hochschule Darmstadt, Studiengang Onlinejournalismus in Kooperation mit dem P Stadtkulturmagazin)