Foto: Amanda Schulenburg

Vorurteile, die wir Menschen übereinander haben, fliegen auf, wenn wir uns kennenlernen, wenn wir miteinander sprechen. Mit Tauben zu sprechen ist schwer, wenn nicht unmöglich. Hinzu kommt: Obwohl sie treue Tiere mit bemerkenswerten kognitiven Fähigkeiten sind, ist Taubenhass weit verbreitet. Das P möchte zumindest über Tauben sprechen – und das Taubenkonzept der Stadt Darmstadt vorstellen, das sich zum Ziel gesetzt hat, einen Umgang mit den nicht bei allen beliebten Vögeln zu finden, der gleichzeitig tier- und stadtfreundlich ist.

Seit Jahrtausenden leben Tauben Seite an Seite mit Menschen in Städten. Schon im alten Ägypten und in Mesopotamien wurden die Vögel, ehemals wilde Felsentauben, als Haus- und Brieftauben domestiziert, gezüchtet und gehalten – bis der Mensch ihnen den Rücken kehrte. In den darauffolgenden Jahrhunderten vermehrten sich die als „Ratten der Lüfte“ beschimpften Tiere rasant und breiteten sich immer weiter aus, besonders in Städten. Nach Angabe des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) gibt es heute 2,6 bis 3,1 Millionen Taubenpaare in Deutschland. Mit der erhöhten Taubenpopulation gehen auch Probleme einher, besonders augenscheinlich: die Verschmutzung der Innenstädte durch Kot. Denn Tauben sind keine Alleingänger:innen: Wo eine ist, sind viele.

Taubenhäuser ermöglichen Geburtenkontrolle

„Das Grundproblem von Tauben in Städten sind nicht die Tauben, sondern, dass es zu wenig betreute Taubenschläge gibt”, erklärt Torsten Rossmann, Tierschützer und Hobby-Ornithologe. Wir treffen ihn im sonnigen Garten des Darmstädter Tierheims am Rande von Griesheim, umgeben von freudigem Geflatter und windig rauschenden Frühlingsblättern. Hier befinden sich vier der Darmstädter Taubenschläge, die als Teil des Stadttaubenkonzepts nach Augsburger Vorbild vom Darmstädter Umweltamt und dem Tierschutzverein eingerichtet wurden. „Die Tauben erkennen den Schlag als ihr Zuhause an und bewegen sich auch nie zu weit weg“, erklärt Torsten. Neben der Tierheim-Oase gibt es aktuell zwei Taubenwohnorte in Darmstadt: ein Haus auf dem Karstadt-Dach in der Innenstadt sowie eins in der Nähe des Hauptbahnhofs. Die besucht Torsten fast täglich.

Die Häuser erfüllen gleich mehrere Zwecke für Tauben – und Menschen: Einerseits kann kontrolliert werden, welches Futter die Vögel bekommen (denn Brezeln und Pommes sind alles andere als gut für Taubenmägen). Außerdem kann Geburtenkontrolle stattfinden, indem unbefruchtete Eier durch Gipsattrappen ausgetauscht werden. Die Stadt will sich mit diesem Konzept so tierfreundlich wie möglich um die bereits existierenden Tauben kümmern und gleichzeitig dafür sorgen, dass es künftig weniger werden: „Übergeordnetes Ziel ist in jedem Fall die Reduktion der Taubenpopulation“, bekräftigt Torsten. Diese Verhütung durch Gipseier sei ethisch auch vertretbar, da der Bruttrieb der Tiere erst in der Zucht durch Menschen künstlich gesteigert wurde und wird. „Von Natur aus brüten Tauben nur etwa zwei Mal im Jahr, durch gezüchtetes Triebverhalten jetzt aber fast das ganze Jahr über.“ Dass es also so viele Tauben gibt, die die Innenstädte in weiß-flüssiger Farbe nicht unbedingt verschönern, ist also – wie so viele „Taubenprobleme“ – eigentlich unser Verdienst. Wie viele Tauben es in Darmstadt tatsächlich gibt, kann Torsten nur schätzen. Ob er mit 4.000 bis 6.000 richtig liegt, soll künftig mithilfe von 360-Grad-Fotografien analysiert werden.

Foto: Amanda Schulenburg
Foto: Amanda Schulenburg

Hunger und falsche Hilfsbereitschaft

Dass es weniger Tauben gibt, ist paradoxerweise auch im Interesse der Tauben. Denn bei so einer großen Population ist Hunger ein Problem, das nicht wenigen den Weg in den Tod bereitet. Taubenfüttern in der Stadt ist dennoch auch mit artgerechten Futter nicht sinnvoll: Das Futter suggeriert den Tauben, dass der Nahrungsort ein Zuhause sein oder werden könnte, weswegen sie sich von tatsächlichen (geschützten) Heimen wie den Taubenhäusern entfernen. Sind weniger Tauben in den Häusern, kann auch weniger Geburten- und Futterkontrolle stattfinden. Außerdem werden durch jegliche Art von Futter auch andere Tiere, zum Beispiel Marder, angelockt.

Krankheit und Verletzung

Die Taubenhäuser bieten neben taubenfreundlichen Körner-Köstlichkeiten, Wasser und einem Nistplatz tierärztliche Versorgung, die leider oft und dringend benötigt wird. Dass Vorurteil, schmutzig zu sein und Krankheiten zu übertragen, treffe auf Tauben nicht mehr als auf andere Tiere zu, klärt Torsten auf. Dennoch kommen alle Tauben nach Aufnahme im Tierheim erst einmal für 14 Tage ins Quarantänezimmer, denn viele sind verletzt, eingeschüchtert und traumatisiert. Wir besuchen die Tiere im sogenannten „Reha-Haus“, die wegen ihrer Verletzungen draußen nicht mehr überlebensfähig wären. Wir erfahren, dass Taubenbabys eine 80- bis 90-prozentige Sterberate haben und hören Horrorgeschichten von Vögeln, die mit Metallstäben in der Brust verbluten. Viele Tauben kommen hier im Heim zu neuer Lebensenergie, andere sind zu schwach und bleiben. Denn ein Leben als Stadttaube ist anstrengend. Oder?

Taube Frida erzählt vom Luisenplatz-Leben

„Oh jaa! Am Luisenplatz werden wir leider dauernd aufgeschreckt“, beklagt Täubin Frida aus der Quarantänestation. Als ehemalige Lui-Bewohnerin hat sie viel erlebt: „Trams, Busse, Fahrräder … aber für uns das Stressigste ist, wenn Kinder uns zum Spaß aufscheuchen. Das schnelle Wegfliegen ist für uns wie ein Sprint – das kostet super viel Energie. Tja, und wie kommen wir wieder an Energie? Durch Futter … aber welches Futter? Zwischen Brezeln, Brötchen und Pizzakrusten ist die Auswahl in der Stadt zwar groß, die Freude bei der Verdauung hält sich jedoch in Grenzen. Aber das klingt gerade so negativ – das Taubenleben hat auch schöne Seiten! Fliegen ist top zum Beispiel. Und die Liebe – wir leben in festen Partnerschaften und das ganze Verliebtsein und die Partner:innenwahl ist gerade sehr aufregend für mich. Auch irgendwie viel Druck, so ein:en Partner:in fürs Leben zu finden … wobei, bei den ganzen Unfällen und Hungertoten muss das mit dem ,Für immer‘ ja erst mal nichts heißen. Gurr. Also bleibt nur, im Moment zu leben, ganz viel zu kuscheln und Sonne zu genießen! Wie ich Euch Menschen oft sehe, sind wir Tauben Euch da gar nicht so unähnlich!

Foto: Amanda Schulenburg
Foto: Amanda Schulenburg

Trotz Tierschutzgesetz: eine Frage des Geldes

Anderen Städten ist das, was Darmstadt mit dem Stadttaubenkonzept schon unternimmt, zu teuer. Denn das Bundestierschutzgesetz spricht zwar eine sogenannte Fürsorgepflicht der Kommunen aus, der Taubenschutz gilt dennoch als freiwillige Leistung. Die Stadt Limburg machte Ende 2023 bundesweit negative Schlagzeilen mit dem Beschluss, Tauben in der Zukunft gezielt zu töten, um die Population einzudämmen. Aus dem Bürger:innenbegehren mit knapp 3.900 Unterschriften gegen das Taubentöten wurde ein Bürger:innenbescheid, da die Stadt am Beschluss, einen Teil der Tiere per Genickbruch zu töten, weiterhin festhält. Im Juni soll erneut verhandelt werden, jedoch muss sich die Mehrheit, die 25 Prozent der Wahlberechtigten in Limburg repräsentiert, gegen das Taubentöten aussprechen, um den Beschluss der Stadtverordneten zu kippen.

Trotz Engagement und sorgsam ausgefeiltem Konzept ist auch in Darmstadt die Lage nicht so sonnig wie dieser Frühlingstag verheißen mag. Das wird allein daraus deutlich, dass es das Stadttaubenkonzept schon seit den 1990er-Jahren gibt, den ersten Taubenschlag aber erst seit 2013. Besonders wegen der Verschmutzung, die mit den Tieren einhergeht, sei es schwer, Flächen für Taubenschläge zu finden. „Schädlich ist allerdings nur der Kot ungesunder Tauben. Von dem Gedanken, dass der unsere Häuser zersetzen würde, müssen wir uns eindeutig lösen“, stellt Torsten Rossmann klar. So würde beispielsweise besonders im Norden der Stadt wegen einer größeren Taubenpopulation ein Schlag benötigt, bis jetzt ließe sich aber keine Immobilie finden, die ihr Dach als neues Taubenheim bereitstellen würde. Fühlt Euch also gerne angesprochen, liebe Immobilienbesitzende mit großem Dach, Parkplatz oder Garten! Weiterhin wünscht sich Torsten, der das Ganze auch ehrenamtlich macht, mehr ehrenamtliche Helfer:innen mit Durchhaltevermögen – die auch noch zum Putzen und Füttern bereit sind, wenn die erste Taubenverliebtheitsphase verflogen ist.

Infos für Tierfreund:innen

Wer helfen oder Dachflächen zur Verfügung stellen möchte, kann sich beim Umweltamt der Stadt Darmstadt unter (06151) 133280 oder umweltamt@darmstadt.de melden.

Weitere Infos online unter:

darmstadt.de/leben-in-darmstadt/umwelt/naturschutz-und-biologische-vielfalt/stadttaubenkonzept