Foto: Jan Ehlers

Sieben Ligaspiele hatte der SV Darmstadt 98 bis zur Länderspielpause im November absolviert. Nach einem Saisonfünftel darf man somit schon mal ein erstes zartes Zwischenfazit wagen. Ein Blick auf das Torverhältnis von 12:15 zeigt, dass noch lange nicht alles rundläuft. Dabei lohnt sich ein genauerer Blick auf das Aufbauspiel der Lilien. Bei oft aggressiv anlaufenden Gegnern gleicht es einem Stresstest. Auch für die Fans vor der Glotze.

So völlig überraschen durften die torreichen Partien der Lilien niemanden. Vier Tore fielen im Schnitt, wenn der SVD beteiligt war. In Kiel und Köln ließ Coach Markus Anfang ebenfalls schon tororientiert spielen. Das kann dann eben auch mal nach hinten losgehen. Bei seiner Antritts-PK am Böllenfalltor reflektierte Anfang im Juli deshalb, er habe in Köln teilweise „zu viel riskiert und gnadenlos auf Sieg gespielt, in Kiel dagegen häufig zu wenig.“ In Darmstadt werde er versuchen, einen vernünftigen Mittelweg hinzubekommen. Dabei sei er in erster Linie bestrebt, seine Spieler weiterzuentwickeln und schönen Fußball zu spielen. Dann werde sich das Team am Ende selbst belohnen und gute Ergebnisse einfahren.

Immer wieder am Drücker

Nun, das mit dem Belohnen und den guten Ergebnissen hat in den ersten sieben Saisonspielen leidlich funktioniert. Angesichts der Qualität ihrer Torchancen hätten die Lilien jedes Spiel gewinnen können, wenn nicht gar müssen. Einzig das desaströse 0:4 gegen Paderborn glich einem Systemabsturz, doch dazu später mehr. In der Mehrzahl der Partien hatten es die Lilien jedenfalls verpasst, sich für ihren Aufwand zu belohnen. Auch gab es immer wieder verschlafene Halbzeiten, sodass sich die 98er mit drei Remis sowie je zwei Siegen und Niederlagen zufriedengeben mussten.

Das Bällchen läuft

Unter dem neuen Coach hat die Mannschaft ihr Spiel weiterentwickelt. Sie geht immer mit dem Anspruch in eine Begegnung, diese aktiv zu bestreiten. Das schlägt sich auch in Zahlen nieder. Bis zum Crash gegen Paderborn war der SVD in puncto Ballbesitz Ligakrösus. Bei der Passquote ist er unter den Topteams der Liga zu finden, bei der Anzahl der Torschüsse war er lange Zeit ebenfalls ganz vorne dabei. Das Flanken haben die Lilien dahingegen deutlich heruntergefahren. Ein Paradigmenwechsel zum Underdog-Fußball unter Dirk Schuster. Markus Anfang führt somit den unter Dimitrios Grammozis begonnenen Transformationsprozess fort.

Aber, aber, aber

Die Frage, ob der Prozess von Erfolg gekrönt sein wird, steht und fällt allerdings mit den Ergebnissen. Zwölf erzielte Tore nach sieben Spielen lesen sich ermutigend. 15 Gegentore sind dahingegen überaus bedenklich. Gerade über die Flügel sind die Lilien anfällig. In Kombination mit einer am Boden wie in der Luft immer wieder wackeligen Innenverteidigung erzeugt dies Gefahrenmomente. Zudem versteht es das Team nicht konsequent, Umschaltsituationen der Kontrahenten zu entschärfen. Hinter der hochstehenden Viererkette befindet sich eine ganze Menge Rasen, den die Kontrahenten leicht mit langen Bällen für sich nutzen können. Und gegen Paderborn? Tja, da kam die Verteidigung gar nicht erst dazu, hoch zu stehen. Die 98er wurden von aggressiv anlaufenden Gästen förmlich überrollt und präsentierten sich im Gesamtpaket völlig überfordert und ohne den geringsten Lösungsansatz. Der Mittelweg aus Risiko und Sicherheit, den Anfang als Ziel ausgab, er ist noch nicht gefunden.

Das Aufbauspiel beginnt im Strafraum

Was regelmäßig Stresssituationen hervorruft, ist das Aufbauspiel der Lilien. Wurde früher gerne der Ball so schnell wie möglich über die Mittellinie gedroschen, so passen sich Torwart Marcel Schuhen und die Innenverteidiger nun in aller Ruhe den Ball im eigenen Strafraum zu – während sie die Gegner dort konsequent anlaufen. Klaro, Immanuel Höhn, Lars Lukas Mai und auch Nicolai Rapp verstehen es, den Ball besser zu verarbeiten als die meisten ihrer Vorvorgänger. Aber auch sie sind nicht frei von Fehlern. Das setzt sie im Verbund mit ihrem Keeper einem permanenten Stresstest aus. Und auch die Fans der Lilien müssen vor dem TV häufiger angespannt die Luft anhalten.

Riskant … und Chancen eröffnend

Dabei ist der Ansatz des SVD im Prinzip gar nicht schlecht. Wenn er denn aufgeht. Inzwischen läuft fast jeder Gegner die Lilien hoch an. Kein Wunder: Ein schneller Ballgewinn bedeutet für sie den kürzesten Weg zum Tor, eine unsortierte 98er-Defensive inklusive. Versteht es das Team von Markus Anfang jedoch, dieses Pressing zu überspielen, dann eröffnen sich Chancen. Entweder, indem die Lilien einen Raum zwischen den auseinandergezogenen Linien der Kontrahenten finden, wo Marvin Mehlem und Tobi Kempe warten, um von dort aufzudrehen und Angriffe zu initiieren. Oder die Innenverteidiger packen bei einem kompakter nach vorne schiebenden Gegner den langen Pass aus, der die flinken Außenstürmer findet. Wenn dies also gelingt, dann lohnt es sich, die Stressmomente auszuhalten. Wenn es nicht gelingt, guckt man schnell in die Röhre (wie in Sandhausen) oder man wird total überfahren (wie von Paderborn). So gleicht das System in einer noch nicht gefestigten Mannschaft wie ein Vabanquespiel. Es bleibt spannend … und stressig.

 

Spiele-Parade!

Fr, 04.12., 18.30 Uhr: Fortuna Düsseldorf – SVD

Sa, 12.12., 13 Uhr: SVD – Hamburger SV

Di, 15.12., 18.30 Uhr: Greuther Fürth – SVD

Sa, 19.12., 13 Uhr: SVD – Würzburger Kickers

Di, 22.12., 20.45 Uhr (DFB-Pokal, 2. Runde): Dynamo Dresden – SVD

Sa, 02.01., 13 Uhr: VfL Bochum – SVD

So, 10.01., 13.30 Uhr: SVD – Hannover 96

So, 17.01., 13.30 Uhr: 1. FC Heidenheim – SVD

So, 24.01., 13.30 Uhr: SVD – Holstein Kiel

Mi, 27.01., 18.30 Uhr: SVD – SV Sandhausen

Sa, 30.01., 13 Uhr: Jahn Regensburg – SVD

sv98.de

 

Fußballfibel, Band 37: SV Darmstadt 98

Absolut lilienkompatibler Zuwachs in der „Bibliothek des Deutschen Fußballs“: Band 37 der „Fußballfibel“-Reihe des Verlags Culturcon Medien beschäftigt sich ausschließlich mit unserem geliebten ESS-VAU-DE! Autor der 156 Seiten starken Publikation ist Tim Strack, ein hundertprozentiger 98er-Experte: Ex-Lilien-Ultra-Capo, heute Büroleiter der Fan- und Förderabteilung des SV Darmstadt und nach eigenen Worten „ein Zugezogener, der durch die Lilien zum Heiner wurde“. Erhältlich unter anderem im Lilien Fanshop City am Friedensplatz – für 12,99 € (davon gehen 1 € an den Autor, der sein Honorar je zur Hälfte an die Lilien-Fanhilfe und den Seebrücke Darmstadt e. V. spendet).

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

kickschuh.blog