So peinlich die Insolvenzen des SSV Ulm und der Spielvereinigung Weiden für die Außendarstellung der Regionalliga Süd auch sind – beiden Vereinen muss man dankbar dafür sein, dass sie nicht mit Geld umgehen konnten. Denn nun wohnt dieser Liga eine neue Dynamik inne, deren Treiber die mit Abstand populärsten Vereine der Staffel sind. Ein Aufstiegskampf zwischen dem KSV Hessen Kassel und dem SV Darmstadt 98 ist ein Glücksfall, sieht man einmal großzügig darüber hinweg, dass die U 23 von Eintracht Frankfurt theoretisch auch noch, irgendwie, nun ja.
Endlich ist Schwung in der Pleiteliga. Kassel gegen Darmstadt – dieser Zweikampf knistert etwas mehr als ein Duell zwischen 1899 Hoffenheim U 23 und Eintracht Frankfurt U 23. Vor allem im Nordhessischen wird bereits jede Zuckung aus dem Süden kommentiert. Die jeweiligen Lokalblätter übernehmen ordnungsgemäß ihre vorgesehen Rollen als Botschafter der jeweiligen Vereinsverantwortlichen. Wie ein Seismograph registriert die „Hessisch-Niedersächsische Allgemeine“ in Kassel, welche neuen Spieler in Darmstadt verpflichtet worden sind – und gibt dem eigenen Trainer Mirko Dickhaut die Gelegenheit, zu versichern, dass er seinem Kader vertraut. Als hätte der Tabellenführer dem Treiben auf dem Transfermarkt eher zugesehen – lediglich der Stürmer Thomas Brechtler durfte wiederkommen.
In Darmstadt hat man sich eine clevere Strategie zurechtgelegt: Kassel muss, wir wollen aufsteigen. So verschiebt man schön den Druck des Siegenmüssens nach Norden – und strickt sich im Winter aus zuletzt vereinslosen Spielern die billigste, gleichermaßen aber stärkste Darmstädter Mannschaft der vergangenen vier Jahre zusammen. Alle Neuen bekommen befristete Verträge für die nächsten paar Monate bis Saisonende, das minimiert jedes Risiko – und danach wird eh die Reset-Taste gedrückt.
Sollten die „Lilien“ tatsächlich in die 3. Liga aufsteigen, dann wird der Verein richtig durchgeschüttelt. Gut möglich, dass dann in der Stadt ein neuer Fußballboom entsteht – und selbst die 3. Liga nur eine Zwischenstation ist.
Oberbürgermeister Walter Hoffmann sieht die „Lilien“ eh in der zweithöchsten Spielklasse besser verortet, was auch ein entsprechendes Stadion verlange. Dem entgegnete Vereinspräsident Hans Kessler kürzlich, dass es angesichts der Finanzlage der Stadt nicht angehen könne, dass man den Lilien ein neues Stadion baue, wenn dafür eine Kindertagesstätte geschlossen werden müsse.
Doch was passiert eigentlich, wenn Darmstadt nicht aufsteigt? Viel. Dann muss sehr wahrscheinlich eine komplett neue Mannschaft aufgebaut werden. Möglicherweise von einem neuen Trainer. Denn wer will denn glauben, dass Kosta Runjaic noch Lust hat, sein Talent weiter in der vierten Liga zu vergeuden? Wer in so kurzer Zeit aus einem Abstiegskandidaten der Vorsaison einen Titel-Aspiranten gemacht hat, als Trainer und Manager eine Doppelfunktion ausfüllt, jung ist, auch vor großem Publikum störungsfrei reden kann und klug mit den Fans kommuniziert, dessen Akte wird längst in den Personalabteilungen höherklassiger Fußballvereine auf Wiedervorlage gelegt.
Aber was ist das für eine Vorstellung – der SV Darmstadt 98 ohne Runjaic? Uff. Dieser Mann war für das Präsidium und letztlich den Verein der größtmögliche Glücksgriff, nachdem Trainer Juskic der größtmögliche Fehlgriff war. Es wäre schon ganz gut, wenn Runjaic noch ein bisschen am Böllenfalltor bliebe – sicher ist sicher. Und deswegen: Nicht nur Runjaic – auch die Lilien müssen aufsteigen.