Foto: Cora Trinkaus

Schmale Gässchen, historische Fassaden, Kopfsteinpflaster und Hinterhof-Idyllen. Zahlreiche kleine Läden, Cafés, Bars und Restaurants laden zum Flanieren ein – durch eines der ältesten und wohl begehrtesten Stadtviertel Darmstadts: das Martinsviertel. Unter Heinern auch bekannt als „Watzeverdel“. Hier blieb im Gegensatz zur Innenstadt ein Großteil der historischen Bauten erhalten, was heute den besonderen Charme ausmacht. Der Name „Watzeverdel“ entstand in jener Zeit, als das Viertel noch außerhalb der Stadtmauern lag und seine bäuerlichen Bewohner dort Schweine hielten, die frei auf den Straßen herumliefen.

Herzstück des belebten Viertels bildet der Riegerplatz mit seinen Cafés und Restaurants. Hier finden in den Sommermonaten normalerweise auch einige Veranstaltungen statt: unter anderem Open-Air-Kinoabende, Flohmärkte, die Martinskerb. Natalie Neumayer, gebürtige „Watzeverdlerin“, liebt den Riegerplatz vor allem zur warmen Jahreszeit. „Dort ist immer was los, wenn man abends vorbeiläuft. Da ist Leben. Wie in Italien oder Spanien auf einer Piazza. Man trifft immer jemanden, den man kennt“, schwelgt sie.

Zusammenleben von vier Generationen

Natalie wohnt mit ihrer Familie in einem der beliebten Altbauten, einem viergeschössigen Backsteinsteinhaus aus der Gründerzeit, inklusive Hinterhof und kleiner Rasenfläche. Das Besondere: Natalies Familie lebt hier in vier Generationen auf vier Stockwerken verteilt. Sie selbst ist in diesem Haus geboren und seit ihrem achten Lebensjahr dort aufgewachsen, wie auch zuvor ihre Mutter Sigrid. Natalie lebt mit ihrem Lebensgefährten Gregor und ihren beiden Töchtern Zazou und Melia im Erdgeschoss. Alle zwei Wochenenden wohnen noch die beiden Söhne von Gregor mit in der Wohnung. Natalies Großeltern bewohnen die erste und zweite Etage. Mutter Sigrid mit ihrem Mann Günter und Sohn Carlos leben im dritten Stock. Das Dachgeschoss wird zeitweise von Natalies Tante bewohnt, die aber größtenteils in Amerika lebt.

Foto: Cora Trinkaus
Foto: Cora Trinkaus

Das Zusammenleben mit mehreren Generationen sei nicht immer leicht, erzählt Sigrid, „aber es ist schon ein tolles Konzept. Ich bin auch mit meinen Großeltern aufgewachsen und habe es sehr zu schätzen gelernt. Für Kinder ist es besonders schön, wenn die Großeltern so nah sind.“ Um das Zusammenleben zu erleichtern, gibt es bestimmte Regeln, wie zum Beispiel, dass jeder die Privatsphäre des Anderen achtet und nicht einfach unangekündigt in die Wohnung kommt. Phasenweise wurde auch eingeführt, dass immer ein Haushalt an einem Tag in der Woche für alle kocht. „So ist der Aufwand für den Einzelnen kleiner und man unterstützt sich gegenseitig“, erzählt Sigrid. Doch zu Lockdown-Zeiten sei es schon schwer gewesen, als alle immer zu Hause waren. „Aber es hatte auch Vorteile, so konnten wir dann für meine Großeltern mit einkaufen gehen und waren da, falls etwas benötigt wurde“, fügt Natalie hinzu. „Es ist schon eine starke Verbundenheit da und es hilft einer dem Anderen. Dieses gemeinsame Erleben ist schon auch etwas Schönes“, berichtet Sigrid.

Gregor und Natalie

Natalies Lebensgefährte Gregor Leber dürfte einigen Darmstädtern noch als DJ Greg Parker bekannt sein. Ende der 90er-Jahre war er erfolgreich als DJ und gern gesehener Gast in den Darmstädter Clubs. Er trat auch außerhalb Deutschlands als DJ auf, vor allem in Osteuropa. Mit der Geburt seines ersten Sohnes zog er sich aus dem hauptberuflichen Musikgeschäft zurück und betrieb seine Musik nur noch als Hobby mit gelegentlichen Auftritten. Heute arbeitet er im Messebau und Facility Management.

Foto: Cora Trinkaus

Als Natalie 2013 keinen Krippenplatz für ihre Tochter fand, gründete sie mit einer Elterninitiative einfach ihre eigene Krippe, den Verein Maviki (Martinsviertelkinder). Noch heute schafft der Verein zehn Krippenplätze für Kinder im Martinsviertel. Mittlerweile gibt es festangestellte Erzieher, dennoch beruht vieles auf ehrenamtlichen Tätigkeiten, erzählt die Berufsschullehrerin, die heute als ehrenamtlicher Vorstand fungiert.

Hinterhof und Martinsviertel

Der kleine Hinterhof mit Rasenfläche ist ein beliebter Ort zum Spielen für die Kinder und auch ein Ort der Zusammenkunft. Ein Flaschenzug mit Körbchen an der Außenwand verbindet die Balkone der einzelnen Stockwerke und wird gerne eingesetzt, um benötigte Gegenstände auszutauschen oder auch mal ein belegtes Brot eine Etage tiefer zu schicken.

Zu Beginn der Corona-Pandemie, als vermehrt Balkonkonzerte oder das kollektive Klatschen für die Corona-Helfer praktiziert wurde, lernten sie auch bis dato unbekannte Nachbarn kennen, erinnert sich Sigrid gerne. Sie freut sich besonders über das Urban Gardening in der Nachbarschaft. „Ich finde, das Martinsviertel ist mit den Jahren immer schöner geworden. Immer bunter. Immer offener. Immer freier. Immer interessanter. Ich liebe es hier total. Ich möchte in keinem anderen Viertel mehr wohnen in Darmstadt. Wenn du offen und interessiert bist an den Leuten, dann kennst du auch viele. Und triffst überall jemanden für ein Schwätzchen. Es ist immer noch sehr durchmischt. Und ich finde das schön so und auch wichtig. So, wie sich die Welt gestaltet, so ist auch unser Viertel.“

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