Artikel-Illu: Pauline Wernig

Im In-Viertel von Darmstadt wird es gemütlich, das allseits beliebte Martinsviertel strahlt in herbstlichen Farben. Bei einer Außentemperatur unter 10 Grad sind bei trockener Witterung alle Cafés und Kneipen im Viertel gut besucht, im Corona-Jahr 2020 lässt man sich Latte Macchiato, Wein und Bier noch lieber im Freien schmecken als schon die Jahre zuvor. Diskussionen und hoffnungsvolle Gespräche über potenzielle Traumwohnungen hört man in Darmstadt zu jeder Jahreszeit, im Herbst werden diese aber immer noch mal lauter. Hunderte Erstsemester und eben so viele junge Familien sind auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum, der es ihnen erlaubt, in Darmstadt unter guten Bedingungen zu leben.

Wenn die Tage kürzer werden, hält man sich wieder mehr in den eigenen vier Wänden auf. Die einen freut‘s, die anderen verfallen schon ab Anfang Oktober in eine Herbstdepression. Die vierköpfige Familie in der Zweizimmerwohnung im Dachgeschoss für 1.500 Tacken Kaltmiete muss sich jetzt wieder neu sortieren. Das Positive: Die Familie rückt näher zusammen, im wahrsten Sinne des Wortes. Immerhin ist nun auch wieder Zeit für gemeinsames Basteln – und so helfen alle mit, die Wohnungsgesuche für eine neue Bleibe bunt auszumalen und zu laminieren: „Haben Sie unser neues Zuhause gesehen? Wir 4 (36, 34, 7 und 3 Jahre alt) suchen eine neue Wohnung im Martinsviertel. Wir sind mucksmäuschenstill, hassen Musik, haben sichere Jobs, möchten niemals Haustiere, auf keinen Fall noch weitere Kinder und sind völlig verzweifelt, sodass wir auch locker 3.000 Euro kalt für eine Dreizimmerwohnung bezahlen würden. Zur Not trennen wir uns auch vom Jüngsten, auch wenn wir uns schon so aneinander gewöhnt haben, aber das Opfer bringen wir gerne. Einen ausführlichen Lebenslauf der letzten drei Generationen bringen wir mit, wenn Sie uns einladen. Mit diesem QR-Code finden Sie einen ausführlichen Familienfilm und einen kurzen Einblick in unsere Finanzen. BITTE helfen Sie uns!“

Und so werden die Kids ins obligatorische Lastenrad gepackt und jede Laterne im Viertel wird mit dem verzweifelten Hilfeschrei tapeziert. Nach sechs Jahren der kräftezehrenden Suche wird der Geduldsfaden kürzer, aber man hört ja auch immer wieder über mehrere Ecken von Leuten, die es wirklich geschafft haben, eine bezahlbare Wohnung im Martinsviertel zu finden.

Mit ähnlich hoffnungsschwangerer Gefühlswelt gehen auch viele Erstsemester Ende des Sommers auf Wohnungssuche. So kommen sie im Viertel an, stürzen sich jung und naiv direkt aus dem elterlichen Nest in das große Abenteuer Studienleben – und haben noch Träume: Altbau, Nähe Riegerplatz, Parkett, Badewanne, ein großer Balkon und natürlich die passenden Mitbewohner*innen, mit denen man dieses tolle und selbstverständlich preisgünstige Domizil teilt. Party, Lernen, Nudeln mit Pesto. Schon bald darauf werden sie sich für diese utopischen Träume schämen. Spätestens bei der einundreißigsten Massenbesichtigung, bei der man die Wohnung ganze zwei Minuten in einer Kleingruppe von 25 anderen Personen begutachten kann, bricht irgendwo im Watzeverddel eine sensible Studierendenseele. Wenn man sich dann parallel auf Zimmersuche begibt, in der Hoffnung, dem Wohntraum als Teil einer WG näher kommen zu können, verlässt einen auch schon bald in einer ranzigen WG-Küche beim Ausfüllen des hundertsten Fragebogens der Mut. Alle sind gesellig, aber nur bis 21.30 Uhr, alle kochen gern, aber nichts zu Verrücktes, alle trinken gerne mal einen Wein, aber bloß nicht jeden Tag.

Bevor man in der Jugendherberge landet, nimmt man das Zimmer, das man bekommt. Okay, es ist schon lästig, dass das Klappbett im Gemeinschaftsbad steht, das noch sechs Mitbewohner*innen nutzen, aber die hellgelben Fliesen sind echt hübsch, da kann man was draus machen. Während man also zum Einschlafen dem tropfenden Wasserhahn lauscht und der letzte Mitbewohner noch mal Pinkeln geht, übt man sich in Demut und Dankbarkeit: Die Alternative wäre eine Duplex-Garage am Hauptbahnhof gewesen, in der man sich hätte häuslich einrichten können. Aber im Martinsviertel zu wohnen, das war das größte Ziel.

 

Du bist fies? Ich bin Fiesa!

Ich bin Isa, 32, spiele Roller Derby und mag Tierbabys aller Art. Ich wohne seit 2007 in Darmstadt, wollte nur kurz zum Studium bleiben … das hat ja hervorragend geklappt. Darmstadt war Liebe auf den zweiten Blick und ist Zuhause geworden. Die Schrullen und Besonderheiten der Stadt bringen mich zum Lachen, daran wollte ich Euch teilhaben lassen. Da ich keine echte Heinerin bin, ist das natürlich nie ganz ernst zu nehmen und mit einem Augenzwinkern zu verstehen.