Foto: Cora Trinkaus

Vor den Läden kreuzen Menschen mit Einkaufstüten hektisch unsere Wege. Manche sitzen auf den Stufen vor dem Karstadt-Gebäude, die anderen im Café um die Ecke, alle genießen die Sonnenstrahlen. Es ist Leben in der Stadt. Zwischen dem Stimmengewirr ertönt „Careless Whisper“ von George Michael durch das Saxofon eines Straßenmusikanten. Wir sind mitten in der Darmstädter Fußgängerzone. Hier wohnt Anke Mrusek mit ihrer Tochter Luzie.

Das hätte sich Anke vor einem Jahr auch noch nicht ausmalen können, dass sie einmal zentral in Darmstadts Fußgängerzone wohnen würde, mitten im Gewimmel. Doch die Trennung von ihrem Partner im Juni letzten Jahres zwang sie, auf Wohnungssuche zu gehen. Nach einigen „schrecklichen Wohnungsbesichtigungen, dunklen Löchern, die viel zu teuer waren“, kam sie in die jetzige Wohnung und war sofort verliebt. Auf knapp 70 Quadratmetern haben es sich Mutter und Tochter nun gemütlich eingerichtet. Viele kleine besondere Details zieren die Wohnung. „Ich war noch nie ein Freund von Möbelhäusern und modernem Schnickschnack, ich liebe Flohmärkte. Alte Dinge, die eine Geschichte erzählen, weggegeben von Menschen, die es nicht mehr wollten, ich aber schon“, erzählt Anke. Sie sammelte über die Jahre hinweg Kurioses, außergewöhnliche Gegenstände oder auch Engelsbüsten und Heiligenbilder im Goldrahmen. Vieles davon fand nun in ihrer neuen Wohnung einen Platz. Wie auch die verschiedenen Schubladen, die sie auf Flohmärkten gesammelt hat. Nachdem sich die gebraucht erstandene Kommode eher als eine Brettersammlung herausstellte, wurden die einzelnen Schubladen kurzerhand an die Wand im Flur geschraubt und so in eine Kommode verwandelt. „Ich mag es, Dinge umzufunktionieren. Dabei entsteht immer etwas Schönes, etwas, das nicht jeder hat, etwas, das unsere Wohnung letztendlich ausmacht.“ Ihr Faible für außergewöhnliche Dinge und diese umzugestalten, kommt wohl durch ihren früheren Job als Schaufensterdekorateurin, den sie heute nur noch als Nebenjob ausübt. Hauptberuflich arbeitet sie seit gut 20 Jahren im Büro einer Kontaktlinsenfirma.

Um Homeoffice und Homeschooling angenehmer zu gestalten, riefen Mutter und Tochter irgendwann den Freitag zum „Arbeiten mit Musik“ aus. Es wurde eine gemeinsame Playlist zusammengestellt und die Boxen im Flur wurden aufgedreht. „Das war immer super witzig. Manchmal wurde auch zwischendurch durch die Wohnung getanzt“, erinnert sich Anke freudig an ihre kleinen „privaten Wochenabschlusspartys“.

 

Foto: Cora Trinkaus
Foto: Cora Trinkaus

 

Umzug mit Hindernissen – viel Hilfe von Freunden

Aus ihrer alten Wohnung nahm Anke nur ein Wasserbett und das Klavier von Tochter Luzie mit. Alle anderen Möbel wurden für kleines Geld gebraucht erstanden oder stammen größtenteils von einem Freund Ankes aus Berlin. Der Umzug dagegen sollte sich etwas schwieriger gestalten: Erst passte die schöne italienische Couch nicht durchs Treppenhaus, blieb in der Mitte stecken und musste, da es weder vor noch zurück ging, zersägt werden. Dann kam der große Möbellaster aus Berlin einen Tag vor dem Lockdown letzten November. Doch Dank der Hilfe vieler Freunde konnte der Um- und Einzug erfolgreich bewältigt werden.

„Ihre Mädels“, die schnell noch vor dem Lockdown einen letzten H&M-Einkauf tätigten und anschließend mit voll bepackten Einkaufstüten bei ihr vor der Tür standen, um beim Umzug zu helfen, schleppten Kisten, kehrten, putzten, räumten auf und Ankes Kleiderschrank ein – die Kleidung nach Farben sortiert. Um 1 Uhr nachts wurde noch schnell ein Adventskranz für Anke und Luzie improvisiert, dann „verschwanden sie fast lautlos in die Nacht, wie die Heinzelmännchen. Sie waren unfassbar fleißig und so rührend, ohne aufdringlich zu sein. Das war echt schön. Gerade wenn man so ein schwieriges Jahr hinter sich hat mit Corona, Trennung, Wohnungswechsel und Homeschooling. Das war schon viel. Ich glaube, ich habe selten so eine Dankbarkeit empfunden“, erzählt Anke gerührt.

Foto: Cora Trinkaus
Foto: Cora Trinkaus

 

Von Chemnitz nach Darmstadt

Ursprünglich kommt sie aus Chemnitz. Mit 18 Jahren, kurz vor dem Mauerfall, entschloss sie sich, die DDR zu verlassen und stellte einen Ausreiseantrag. „Für mich war das Reisen immer ein großes Thema. Ich konnte mir nie vorstellen, nicht reisen zu können“, erinnert sie sich. Für Anke war es damals ein großer und schwerer Schritt, nicht zu wissen, ob und wann sie ihre Eltern und Freunde wiedersehen würde. Doch zum Glück kam alles, wie es gekommen ist, und die Mauer fiel. Nach ihrer Ausreise kam sie nach Messel und lebte dort, bis es sie nach Darmstadt verschlug.

Die zentrale Lage in der Innenstadt beschert Anke und Luzie des Öfteren überraschenden Besuch. Viele, die gerade in der Stadt unterwegs sind, kommen mal spontan auf einen Plausch vorbei. „Die kurzen Wege finde ich sensationell“, schwärmt Anke. So kam es auch schon vor, dass sie, als es noch keine Kaffeemaschine in der Wohnung gab, mal eben schnell in Schlafklamotten und Wintermantel vor die Tür hüpfte, um beim Bäcker ums Eck einen Kaffee zu holen.

Inzwischen lebt Anke seit über zehn Jahren in Darmstadt und hat die Stadt zu schätzen gelernt. „Das Tolle an Darmstadt ist die Vielfalt. Wenn man Leute treffen will, geht man vorne zum Salve oder auf die Karstadt-Treppe. Ist einem nach Ruhe und Natur, setzt man sich ins Auto und fährt in den Odenwald. Darmstadt deckt alle Befindlichkeiten, die man spüren könnte, ab. Man braucht nicht mal seine eigene Musik anzumachen“, sagt sie und verweist auf den Saxofonspieler, der gerade unten vor dem Fenster spielt. „Und wenn man vom Trubel genervt ist, kann man einfach die Fenster zumachen und hat Ruhe. Aber ich mag das. Wenn alles wieder offen ist, darf es einem in Darmstadt eigentlich nicht langweilig sein, weil Darmstadt alles hat, wonach einem sein könnte.“

Nun blickt Anke nach vorne und sinniert über die Zukunft: „Irgendwann werden Luzie und ihre Freundinnen die Nähe zu Darmstadts Partylocations zu schätzen wissen – und wir sitzen auf der Treppe vor dem Hochland Café, trinken Spritz, schauen nach oben und sagen: Da oben, wo die bunten Ballons am Fenster hängen, da ist unsere schöne neue Wohnung.“

 

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