Illustration: Rocky Beach Studio
Illustration: Rocky Beach Studio

Steht man dieser Tage in einem der Innenhöfe des Darmstädter Residenzschlosses, dann weiß man nicht so recht, wo man da jetzt gerade gelandet ist. Bauen die da eine U-Bahn oder warum haben die den halben Kirchenhof aufgegraben? Ist das eine neue Außenstelle des Bauhofs, oder warum gleicht der Schlosshof vor dem Glockenbau einem Baustofflager? Was ist da überhaupt noch alles „drin“ im Schloss – und wo?

Der Schlosskeller ist noch da, den finden die Feierwütigen aber von alleine. Dass es ab Mitte Mai lecker Kaffee und Kuchen sowie Brezn und Bier im Schlossgarten auf der Bastion gibt, ist auch bekannt. Und die Studenten finden ihre Universitätsbibliothek (noch bis Ende des Jahres hier, danach in der Magdalenenstraße). Nur wer zur Polizei will, der muss feststellen, dass die längst in die Bismarckstraße umgezogen ist.

Aber da war doch noch was?! Da waren doch noch diese Tulpenvase aus Delft, die Trinkhirsche aus Glas, ein ausgestopftes, weißes Pferd und diese winzigen, wunderschönen Prinzessinenkleider. All die wundersamen Dinge, die ich mit vier Jahren an der Hand der Großeltern zum ersten Mal bestaunen durfte und die ich seitdem immer wieder mal besuchte, immer neu bewunderte und immer froh war, dass sie noch da sind – und dass das Pferd noch ein paar Haare hatte. Und sie sind noch immer da, diese fürstlichen Exponate – ausgestellt im Darmstädter Schlossmuseum.

Gegründet auf Initiative des letzten Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein wurden ab 1924 in den ehemaligen Wohn- und Repräsentationsräumen des Darmstädter Altschlosses hauptsächlich Kunstwerke aus dem alten Schlossinventar gezeigt. In der Brandnacht 1944 brannte das Schloss fast vollständig aus und es sollte bis 1965 dauern, bis das gleichnamige Museum nach Wiederaufbau und Rekonstruktion die Ausstellungsräume im Kirchen- und Glockenbau und den Assembléezimmern (Versammlungszimmern) wieder eröffnen konnte

Neu gestaltetes Foyer, neues Konzept

Das Schlossmuseum gehört zu Darmstadt wie der Datterich. Mögen es manche für antiquiert halten, für mich hat es einen besonderen Charme, zu „meinem Darmstadt“ gehört das Schlossmuseum wie der Große Woog und der „Grohe“. 2009 wurde das heimatliche Museum vorübergehend geschlossen – nach dem Austritt der Stadt Darmstadt aus dem ihn tragenden Verein. Letztendlich konnte jedoch ein neues Konzept vorgelegt werden, mit dem die Hessische Hausstiftung, Stadt Darmstadt und der Trägerverein zu einem Konsens kamen – und so wurde im September 2010 ein neuer Anfang gemacht.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass das im Jahr 2010 von der Stadt Darmstadt und dem Land Hessen erarbeitete „Basiskonzept“ kontrovers diskutiert wurde und nicht allerorten Anklang fand. Einer der Hauptkritikpunkte war die „provinzielle Herangehensweise“. Dass ein neues Konzept basierend auf bereits vorhandenen Exponaten erstellt wurde, führte ebenso zu Unverständnis wie die Tatsache, dass im Schlossmuseum wie gehabt nur die höfischen Aspekte dargestellt werden sollten. Klassenübergreifende Themen fanden keinen Platz im neuen Konzept, weder im landesgeschichtlichen Ansatz, noch im allgemein sozialgeschichtlichen. Dabei hätte hier die Geschichte auch gerade regional viel zu bieten, denkt man zum Beispiel an den in Darmstadt aufgewachsenen Georg Büchner und seinen „Hessischen Landboten“, der gegen die damals herrschenden sozialen Missstände anschrieb.

Von der Provinz in die Welt

Ist es nun also ein Fehler, auf all dies nicht einzugehen – und ist es provinziell, sich auf die Geschichte und Geschichtchen des Großherzogenclans zu Darmstadt zu beschränken? Vielleicht nicht. Vielleicht sollte man hier einfach mal etwas erhalten, um zu den Überbleibseln unserer Geschichte einen Zugang zu bekommen, der uns Freude bereitet und vielleicht auch Lust auf mehr macht … auf einen weiteren Besuch, auf die Geschichte eines kleinen Großherzogtums irgendwo in Südhessen – und seine Verbindungen in die Welt.

Wie bereits erwähnt finden im Residenzschloss derzeit großangelegte Bau- und Sanierungsmaßnahmen statt. Die Fundamente, uralte Eichenbohlen, müssen befestigt werden, um der vielen Setzrisse Herr werden zu können, die sich überall gebildet haben. Und die Setzrisse sind natürlich nicht nur außen an den Gebäuden entstanden, sondern auch in den Räumen des Schlossmuseums. Überspitzt ausgedrückt, ist das ganze Schlossmuseum eine einzige Baustelle, eine Sanierungs-Konzept-Umsetzungs-Baustelle. Keine einfache Aufgabe – aber immerhin eine, die angegangen wird, mit Ideen und Herzblut.

Auch was für Kinder

Dass sich etwas tut im Schlossmuseum, wird schon deutlich, wenn man das neu gestaltete Foyer betritt. Das ist nämlich ebenso wenig provinziell wie die pädagogisch überarbeiteten, neuen Führungen. Die kommissarische Museumsdirektorin Alexa-Beatrice Christ wirbt für das neue Angebot: „Durch unsere neuen Programme und Führungen sollen nicht nur die Lokalpatrioten angesprochen werden, nicht nur die geschichtsinteressierten Darmstädter und die Besucher der Stadt Darmstadt, sondern alle, die einen Einblick in das Leben im Schloss gewinnen möchten.“ Nicht nur für Erwachsene, auch etwas für Kinder, lautet die Devise des neuen Schlossmuseums.

Wurde den Grundschulkindern (4. Klasse, bei Interesse auch für jüngere oder ältere Kinder) bislang lediglich eine „abgespeckte Erwachsenenführung“ geboten – also ein Einblick in die fürstliche Wohn- und Lebenskultur vom 17. bis 19. Jahrhundert, aufgezeigt an Mobiliar, Gegenständen, Gemälden – so gibt es nun spezielle Kinderführungen: „Mit Lotte auf der Spur der Löwen“ und „Prinz Ludwig gibt sich die Ehre“ erleben Grundschulklassen, was es bedeutete, seine Kindheit und Jugend am Darmstädter Hof zu verbringen. Die Grundschulführungen erfreuen sich inzwischen großer Nachfrage, ebenso die regelmäßig stattfindenden öffentlichen Führungen für Kinder. Freuen können sich auch Erwachsene über ein Programm mit Führungen abseits der bekannten Wege: Mal geht es um „Zahnausfall und verlauste Perrücken“, mal um den „Alltag der adeligen Frauen am Darmstäder  Hof“ oder den „Werdegang von Preußens Luise“

Also einfach beim nächsten Mal im Schloss hinter die Paletten mit den Baustoffen, das riesige Silo und die Bauzäune laufen, den Eingang zum Museum finden und an einer Führung teilnehmen. Und wenn die wegen der Bauarbeiten vorübergehend geschlossene Kutschenausstellung wieder geöffnet ist, dann kann auch endlich wieder das ausgestopfte, weiße Pferd von Ella bewundert werden. Ob da noch Haare dran sind?

 

Schlossmuseum Darmstadt

im Residenzschloss, Marktplatz 15

Öffnungszeiten: Freitag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr

Telefon (06151) 24035

www.schlossmuseum-darmstadt.de