Foto: Graffiti-Szene Darmstadt
Foto: Graffiti-Szene Darmstadt

Nachts schwärmen anonyme Sprayer aus, um den öffentlichen Raum der Städte nach ihren Vorstellungen mit der Sprühdose umzugestalten. Die Resultate dieser nächtlichen Aktivitäten wirken ganz unterschiedlich auf die Stadtbewohner. Die einen ärgern sich über die „hässlichen Schmierereien der Vandalen“ an Hauswänden oder gar Denkmälern. Die anderen freuen sich über künstlerische Schriftzüge und farbenfrohe Bilder an Tunneleingängen oder Autobahnbrücken, die ansonsten betongrau wären. Wie intensiv wird Graffiti eigentlich in unserer Stadt betrieben? Das P hat sich in Darmstadt umgeschaut, mit einem aktiven Sprüher gesprochen und die Polizei sowie die Stadt befragt.

Daniel K. (Name von der Redaktion geändert) ist ein 23-jähriger Darmstädter Student und leidenschaftlicher Sprüher. Mindestens einmal täglich greift er zu Bleistift und Papier, um kunstvolle Buchstaben zu entwerfen, die später einmal mit der Sprühdose auf Wände gemalt werden. Schon mit 15 Jahren war er nachts mit Freunden auf Darmstadts Straßen unterwegs, um Häuserwände und Stromkästen mit seinem Namenszug zu versehen. „Es fing mit dem Taggen an. In diesem Alter will man einfach Spaß haben und seinen Namen in der Stadt verbreiten. Da macht man sich noch keine großen Gedanken“, erzählt Daniel von seinen Anfängen. Er ist kein Sprayer, der vermummt nachts Züge „bombt“ und sich halsbrecherische Katz-und-Maus-Spiele mit der Polizei liefert. Denn Sprayen im öffentlichen Raum ist illegal – und die Strafen sind nicht zu unterschätzen. Die Paragrafen 303 (Sachbeschädigung) und 304 (Gemeinschädliche Sachbeschädigung) des Strafgesetzbuches sehen hierfür Haftstrafen von bis zu drei Jahren und empfindliche Geldstrafen vor.

Mittlerweile ist das Sprühen für Daniel zur Kunst geworden, die es ihm ermöglicht, aus dem Alltag auszubrechen und seine Kreativität auf Wänden und Flächen des städtischen Raums auszuleben. „Beim Malen von Graffiti ist man keinen Regeln unterworfen. Buchstaben können abstrakt und völlig neuartig dargestellt werden. Jedes Bild entwickelt seine eigene Dynamik und birgt sein eigenes Geheimnis“, erklärt er begeistert.

Daniels kunstvolle Buchstaben verlangen viel Hingabe und Konzentration. Etwa zwei bis drei Stunden ist er damit beschäftigt, mit der Sprühdose ein Bild auf eine Wand aufzutragen. Seine Bilder malt Daniel daher vorwiegend an Orte und auf Wände, an denen es erlaubt ist oder wo sie zumindest niemanden stören.

Flächen, an denen das Sprühen legal ist, stehen nach Angaben der Pressestelle der Stadt Darmstadt aber gar nicht zur Verfügung. Viele Sprüher weichen deshalb auf Abrissgelände aus. In der Kasinostraße etwa haben sich in den vergangenen Jahren viele Sprüher ausgetobt. Doch davon ist nichts mehr zu sehen, denn hier wird nun ein neues Sozialzentrum gebaut. Aber selbst auf Abrissgeländen ist Sprühen nicht legal: „Auch leerstehende Gebäude und Abrissobjekte haben einen Besitzer. Liegt seitens des Eigentümers keine Einverständniserklärung vor, macht man sich strafbar“, heißt es aus der Pressestelle der Polizei Südhessen.

Auch an der Mauer gegenüber des Friedhofs in der Nieder-Ramstädter Straße, an der sich tagsüber Sprüher mit der Sprühdose verewigen, sei es nicht grundsätzlich legal zu sprühen. Daniel kennt das: Oft hupen vorbeifahrende Autofahrer aus Empörung oder Passanten rufen per Handy die Polizei. „Man sollte sich von den Haus- oder Wandeigentümern eine Einverständniserklärung einholen, damit man bei einer Polizeikontrolle abgesichert ist“, rät Daniel.

Genau dies haben einige Sprayer getan und sich so an der Eschollbrücker Straße in der Heimstättensiedlung (unterhalb des Real-Parkplatzes) eine neue Möglichkeit erschlossen. Dort, an einer riesigen Wand, bietet sich nun Platz für etwa 15 Bilder. Viele Darmstädter Sprüher treffen sich dort zum gemeinsamen Sprühen.

Bei diesen tolerierten Aktivitäten bleibt es jedoch nicht immer. Nach einer Pressemitteilung der Stadt Darmstadt wurden im Jahr 2009 genau 205 Graffiti-Straftaten registriert, für deren Beseitigung 22.822,40 Euro aufgewendet wurden. Dies mag dem einen oder anderen lächerlich gering erscheinen. Doch in die Realität übertragen bedeutet das zum Beispiel ein unästhetisch verschmiertes Standbild im Herrngarten oder einen verschandelten, 80 Jahre alten Waggon im Eisenbahnmuseum Kranichstein. Andererseits: Mehr legale Flächen für Sprayer würden solche künstlerischen Entgleisungen möglicherweise verhindern.