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Foto: Jan Ehlers

Alberto Colucci ist ein Musiker mit vielen Gesichtern: Die einen kennen ihn vom „Bölle“, wo sein „Tor! Lilien vor (Die Sonne scheint)“ zum unkaputtbaren Evergreen gereift ist. Andere schätzen den Songwriter, Produzenten und Sänger als Experten für die italienischen Momente, der schon 125 Songs veröffentlicht hat – und jeder einzelne ist für ihn wie ein Baby. Doch nur die allerwenigsten haben gehört, wie er in seiner apulischen Heimat als italienischer Elvis glänzte. Aber der Reihe nach …

 

Aphrodite’s Child „It’s Five O Clock“

Die griechischen Psych-Rocker um den jungen Demis Roussos mit ihrem 69er-Hit.

Alberto [blickt lange versonnen vor sich hin]: Ihr wisst wohl ganz genau, dass es damit mit mir angefangen hat! Das ist der Song!

[Das P … verwundert]: Was hat es denn mit dem Song auf sich?

Aaaalso … mit 13 hab ich Motorrad-Rennen gemacht, aber illegal – Privatrennen, nachts, ohne Licht, total verrückt. Dann bekam ich über einen Cousin mit, dass es in Mailand offizielle Rennen gab. Ich bin mit dem Motorrad in den Zug gestiegen und nach Mailand gefahren, zum ersten Mal im Leben. Aus dem Rennen wurde zwar nichts, aber ich blieb trotzdem sechs Monate dort. Als ich zurückkam in mein Dorf in Apulien, begann ich, mich für Musik zu interessieren. Meine Familie hat Gemüse und Oliven angebaut und ich hab bei der Arbeit immer gesungen. Es gab auf den Feldern ein tolles Echo. Das hat mich so fasziniert, dass ich dachte: „Die Musik ist mein Schicksal.“ Und bei einer Hochzeit hab ich dann gesungen: „It’s Five O Clock“. Ich wusste zwar nicht, ob die Band das Lied konnte, aber die haben es sich schnell draufgeschafft. Und ich hatte das erste Mal in meinem Leben ein Mikrofon in der Hand! Aaaaah [schaut verträumt]! Und ich konnte damals gar kein Englisch. Ich hab das alles über die Phonetik gemacht. Bald darauf hatte ich dann meine erste eigene Band: Wir haben italienische Klassiker, aber auch Deep Purple und Black Sabbath gespielt. Der Schlagzeuger Nicola Di Palo hielt mich erst für einen verrückten Hund. Aber heute sind wir ein Kopp, ein Arsch. Er wohnt in Sprendlingen.

 

The Primitives „Yeeeeeeh!“

Wilde 66er-Single der weitgereisten Combo um Mal Couling; vermutlich der erste Beat-Song in italienischer Sprache.

[Alberto singt gleich lauthals mit.]

Hattet Ihr das auch im Programm?

Leider nein. Sind das die Primitives? Die Leute bei uns im Ort hatten mir den Spitznamen gegeben: Mal! Mal dei Primitives. Ich hatte die gleiche Frisur wie der Sänger, und ich hab mich auch so ähnlich angezogen.

War das ein großer Hit in Italien?

Ja. Woher weißt Du das alles? … [singt immer noch lauthals mit] … Geil! Viele Leute in unserem Dorf, auch meine Familie, waren dagegen, dass ich die Musik zum Beruf machte. Sie wollten, dass ich auf dem Feld arbeite. Aber das war nicht meine Welt. Ich sagte: „Ich bin Künstler, ich seh’ die Welt anders als Ihr.“ Dann hatte ich auch noch blondierte Haare – die dachten alle, ich wäre verrückt. Aber immerhin habe ich meinen Vater später überzeugt.

 

Adriano Celentano „Un Bimbo Sul Leone”

Ein weiterer Hit aus der damaligen Zeit … diesmal vom italienischen Elvis himself.

Alberto [nach wenigen Sekunden]: So was würd’ ich heute gern machen. So ein bisschen Swing. Das hab ich damals im Feld auch gesungen.

Bei der Aufzählung Deiner Vorbilder habe ich Umberto Tozzi entdeckt, auch Zucchero. Aber Celentano hab ich vermisst. Wieso?

Ich weiß, warum: Der ist zu weit weg von dem, was ich heute mache. Aber das ist mein Fundament: Adriano, auch Deep Purple.

So was kann man heute bei Konzerten doch noch machen, oder?

Nein, ich spiele in Deutschland, da muss man Songs spielen, die die Leute kennen. Du darfst nicht von Dir ausgehen, Mathias. Die Masse, die kennt das leider nicht. Aber die Klassiker von Celentano, die spiel ich live, da spiel ich auch Gitarre zu.

Stimmt es eigentlich, dass er als der italienische Elvis galt?

Ja, ja, das stimmt. Er und Little Tony [san-marinesischer Rock’n’Roll-Sänger und Dauergast beim San-Remo-Gesangswettbewerb].

 

Eros Ramazzotti „Polaroid”

Ein Stück vom aktuellen Album des Schmusebarden.

Alberto [sofort]: Ramazzotti. Paranoid, äh … Polaroid. Ich habe gerade eine sechsköpfige Band zusammengestellt und wir haben ein Zwei-Stunden-Eros-Tribute-Programm auf die Beine gestellt. Wir spielen zwar auch schon fünf Stücke von seinem aktuellen Album, aber dieses hier nicht. Da hab ich mich geweigert, das ist mir zu sehr „80er-Jahre“.

Und warum ausgerechnet Eros?

Was soll ich machen? Der Kerl hat meine Stimme.

 

Badesalz „Sin kaa Breetsche da”

Italo-hessische Kantate über das Nicht-Vorhandensein von Brötchen am frühen Samstagmorgen: „Mei Beggermeedsche, desto nett schee!“

Alberto [hört erstmal versonnen zu, schüttelt dann beim Einsetzen des Gesangs den Kopf]: Das ist einer, der versucht, Italienisch zu singen. Aber es ist kein Italiener. Das stimmt doch alles net! Das ist ein Deutscher, der versucht, Italienisch zu singen.

Das sind Badesalz. Ich glaube, sie haben versucht, Zucchero zu imitieren.

Alberto [lacht]: Das muss man mal an Zucchero schicken! Badesalz sind ja witzig. Ich hab aber ein bisschen Probleme damit, hier den roten Faden zu finden. Nun gut, es ist ihr Job, ist okay. Nur: Mit so einem Song sollte man nicht zu einer Plattenfirma gehen!

 

Michael Schanze und die Fußball-Nationalmannschaft „Olé Espana“

82er-Vize-Weltmeisterhymne, bei der alle Größen von Breitner bis Toni Schumacher im Hintergrund mitgrummelten.

Ah … ein Fußball-Song.

Und? Hat der Song Hit-Potenzial?

Doch, doch, das ist schon hitverdächtig. Es klingt zwar, als wäre es vor 30 Jahren produziert worden. Aber mit einer modernen Produktion ist da was draus zu machen. Nur dieses „Olé, Olé“ könnte man heute nicht mehr bringen. Aber 82, 85, 86 ging das noch.

Der Song ist von 1982. Und Dein „Lilien“-Song, der ursprünglich „Go, Go, Go, to Mexico“ hieß, hätte der WM-Song 1986 werden sollen. Wären die Deutschen damit Weltmeister geworden?

Wer hat denn gesiegt? Argentinien, Hand Gottes, oder? Nun: Die CBS hat damals die Produktion für mich bezahlt. So entstand der Song „Go, Go, Go, to Mexico“, teils auf Italienisch, teils auf Spanisch. Beim Text ging es darum, dass der Kampf auf Deinem grünen Teppichrasen stattfinden wird und alle zum Rhythmus von Samba und Rumba feiern. Wir kamen bei der Endauswahl des DFB unter die ersten Drei und dann kamen leider „unsere Granaten“: Udo Jürgens, Tony Marshall und Jack White [nein, nicht der von den White Stripes]. Die haben uns kurz vorm Ziel abgeräumt. Deshalb hab ich den Song dann später für die „Lilien“ umgeschrieben.

 

Superbuffy „Lilie, oh Lilie”

Die Depri-Version des besagten „Lilien“-Hits, die wir auch schon gestandenen 98er-Profis vorgespielt haben [im Dezember 2012/Januar-2013-Heft]. Angeblich hat hier ein P-Mitarbeiter seine Finger im Spiel.

[schaut seeeeeeeeeeeehr skeptisch, bis er erkennt, was läuft. Dann lacht er]: Ah, ja klar. Leider ist die ganze Freude am Song hier weg. Das klingt wie eine Lesung in der Kirche. Oder auf dem Friedhof. Ich weiß nicht, was das soll. Gut, dieser Synthie-Part hier gefällt mir, aber sonst klingt es wie im Rausch.

Auch wenn’s im Original anders heißt, aber vielleicht hat er sich an der Zeile „Die Spieler sind alle breit“ aufgehängt?

Ja, wahrscheinlich, von Kokain und von Haschisch! Man muss schon Courage haben, dieses Lied zu verwandeln. In ein anderes System von Song … in einen Rausch! Der Song ist für mich wie eine Visitenkarte. Die Leute grüßen mich nicht mit „Hallo Alberto“, sondern mit „Die Sonne scheint“! 1986/87, nachdem er nicht zum WM-Song geworden war, kam der Song für die „Lilien“ raus, damals noch als Kassette. Bruno Labbadia, Bernhard Trares und Rafael Sanchez haben im Chor mitgesungen. Aber ich hätte es im Grunde besser für einen Bundesligisten rausbringen sollen. Es bringt finanziell nichts, und auch moralisch inzwischen nicht mehr: Denn da oben bei den „Lilien“ passiert gar nichts. Da muss ein Strategiewechsel rein; die Fans singen „Darmstädter Jungs“, aber dann bräuchte man in der Mannschaft auch Darmstädter Jungs, mindestens 70 Prozent!

Oha!

Wen haben wir denn außer Zimmermann und Hesse? Wir hatten in Zweitligazeiten vor allem Darmstädter in der Mannschaft. 2006 bis 2008 hatten wir mit die beste B- und A-Jugend, die haben Bundesliga gespielt. Aber wo sind diese Jugendspieler alle hin? Es gibt fünf Oberligamannschaften hier in der Gegend; drei in Darmstadt, zwei in Rödermark. Die besten von diesen Spielern müssten eigentlich bei den „Lilien“ spielen. Aber stattdessen werden Legionäre geholt! Wenn du einen 20-Jährigen aus Norddeutschland hierher holst, dann ist der nicht so stark mit dem Verein verbunden. Wenn dein Vater und deine Mutter zuschauen, gibst du als Spieler fünf bis zehn Prozent mehr für deinen Verein. Die Leute von weiter weg dagegen kassieren ihr Geld und denen ist ja egal, wie es ausgeht. Die Kohle kommt ja trotzdem auf dem Konto an. Da muss was passieren!

 

www.alberto-colucci.de