Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Anabel Möbius und Nicolai Gonther haben gemeinsam Schauspiel an der Kunsthochschule in Frankfurt studiert. Als „Alle werden fallen“ schlagen sie Brücken zwischen Techno-Rave und Punkkonzert. Treibend und atmosphärisch geht ihre Musik nach vorne, behält dabei aber stets eine politische Ebene. Im September spielte das Duo auf dem großen Klimastreik in Darmstadt, Anabel war zuletzt auch im Staatstheater Darmstadt als festes Mitglied des Schauspiel-Ensembles zu sehen.

 

Der Begriff „Electro-Punk“ passt irgendwie nicht zu Euch. Musikalisch sehe ich Euch näher beim Techno, doch Eure Punkattitüde ist nicht von der Hand zu weisen. In Eurer Musik benutzt Ihr außerdem diverse Effekte und spielt mit verschiedenen Sprachen. Wie ist dieser Sound entstanden?

Nicolai: Ich mache bereits seit über zehn Jahren elektronische Musik – eigentlich schon immer mit diesem Punk-Einschlag. Mit meiner anderen Band namens Alltag waren wir sogar gerade hier in der Oetinger Villa. Das ist klassischerer Electro-Punk, der auch textlich ein bisschen simpler ist. Von Anabel kam dann der poetischere Sprachumgang. Als sie für Alle werden fallen mit dieser Art von Texten kam und auch mit einem anderen Gefühl für Gesangsmelodien, habe ich versucht, den Sound daran anzupassen. Der Text ist weniger gradlinig, eher wie ein Gedicht – das ändert auch den Rhythmus. Parallel zu dieser gemeinsamen Suche nach der entsprechenden musikalischen Umsetzung haben wir aber auch einfach eine gemeinsame Leidenschaft für Techno und die umgebende Subkultur. Das ist soundtechnisch auch noch mal komplexer und auch irgendwie viel härter als Electro-Punk. Und gleichzeitig auch melancholischer. Durch die gedichthaften Texte, die punkige Geschichte von früher und die technoide Gegenwart sind wir dann da gelandet, wo wir jetzt sind. Und wir sind auch noch nicht fertig. Ich glaube, das entwickelt sich auch noch weiter.

Anabel: Ja, das hat sich krass geändert. Letztes Jahr im Lockdown waren unsere Theater ja geschlossen und in der frei gewordenen Zeit haben wir auch Musik geschrieben, die jetzt noch gar nicht veröffentlicht ist. Das klingt auch noch mal ganz anders als die Musik, die man bisher so von uns kennt. Wir sind uns auch noch gar nicht sicher, was da noch so kommt. Aber das ist auch cool.

 

Ihr steht also zwischen Punk und Techno. Jetzt sind Eure Texte aber auch sehr politisch. Wie politisch ist denn Punk? Und wie politisch ist Techno?

A [lacht]: Man kann gar nicht unpolitisch sein. Sobald ich mich irgendwie verhalte in der Gesellschaft, auch wenn ich mich nicht verhalte, ist das ja politisch. Das, was ich mache, hat einen Einfluss auf meine Umgebung. Deswegen glaube ich, dass es keine unpolitische Kunst gibt, auch wenn das die Leute manchmal wollen – und ich vielleicht manchmal auch. Aber ich glaube, das geht nicht. Zu uns: Wir sind sehr politisch und machen uns zu sehr vielen Sachen Gedanken. Da streiten wir uns auch mal, haben Meinungen und arbeiten uns ab. Das findet sich auch alles in unserer Musik wieder, ohne dass wir das immer eins zu eins ausformulieren. Wir suchen das auch in diesen beiden Musikrichtungen. Bei Techno kann die Kultur ja auch sehr unterschiedlich sein. Also nicht nur das Musikalische, sondern auch, was das für Leute anzieht, und wie unterschiedlich man feiert. Wir führen auch Auseinandersetzungen, wie politisch eigentlich dieses Feiern und diese Musik ist.

N: Neulich beim Klimastreik in Darmstadt hatte ich die Sorge, dass wir da mit unserer dystopischen Musik überhaupt nicht hinpassen, weil es ja eigentlich eine hoffnungsvolle Veranstaltung ist. Ich glaube, dass meine eigenen Texte meist viel hoffnungsloser sind, als ich es als Mensch bin. Oder sie zumindest mehr die düstere Seite betonen. Ich bin immer überrascht, wie politisch unsere Lieder sind, weil das überhaupt keine Absicht ist. Ich glaube, sowohl in Punk als auch in Techno steckt einfach von Beginn an etwas Widerständiges, eine Gegenkultur. Wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Beides sind aber schon immer Szenen gewesen, in denen sich Leute treffen, die irgendwie mit dem, was uns umgibt, Schwierigkeiten haben. Ihnen geht es besser, wenn sie an einem Ort sind, an dem andere Regeln gelten und auch eine gewisse Aggressivität und ein gewisses Aufbegehren stattfindet. Wohin sich diese Aggressivität und die Verzweiflung dann richten, ist unterschiedlich. Im Punk geht es krass nach außen: Die Gesellschaft um einen herum wird angegriffen. Beim Techno habe ich das Gefühl, dass es vielmehr nach innen geht. Dass es darum geht, mit wem ich diese Nacht verbringen will, in welchen Keller ich mich noch zurückziehen kann, dass mich niemand sieht. Und auch, was im Techno immer schon eine Rolle gespielt hat, dieses Ausprobieren von unterschiedlichen Geschlechterrollen und Sexualitäten, und diese Safer Spaces, in denen man gemeinsam Dinge erleben kann, die gesellschaftlich tabuisiert sind. Ich glaube, darin unterscheiden sich die beiden Kulturen. Ich finde aber beides wunderbar und darum die Mischung bereichernd.

A: Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass beides politischer wird. Dass auch der Techno wieder politischer begriffen wird und sich erinnert, wo er eigentlich herkommt. Und dass Techno in seinem Ursprung halt nicht weiß ist. Da würde ich eigentlich gerne viel mehr drüber reden und mehr Bewusstsein dafür haben; über die widerständigen Ursprünge dieser Musik.

 

Ich finde, da tut sich oft die Frage nach der Musik als bloßes Mittel auf: Ist der politische Gedanke Teil einer aktivistischen Grundmotivation oder entsteht der erst im Prozess? Also die Frage nach einer Trennung von Kunst und Aktivismus – seid ihr Künstler:innen, die politisch sind, oder seid ihr Aktivist:innen, die eine künstlerische Form gewählt haben?

A: Ersteres auf jeden Fall.

N: Ja. Ich glaube, wenn ich Aktivismus machen will, dann mache ich Aktivismus. Und das machen wir beide auf jeden Fall auch – wenn auch in der Vergangenheit etwas mehr. Ich sehe die Stärke eines Redebeitrags auf einer Demo darin, dass man Sachen klar benennt, Forderungen formuliert, seine Kritik vorbringt und eine gemeinsame Stoßrichtung entwickelt. Und dann kann man sich in einer politischen Gruppe organisieren und damit an die Öffentlichkeit treten, etwa mit einer Pressemitteilung oder einer Rede. Ich finde, das ist die Stärke von Aktivismus.

A: Oder auch mit zivilen Ungehorsam Dinge erkämpfen und Sachen einen Ausdruck geben. Zu zeigen, dass ich eine Sprecherinnenposition bekomme, auch wenn ich nicht in einem Parlament sitze.

N: Genau. Und ich finde, was die Kunst dem Aktivismus oder der Wissenschaft voraushat, ist die Möglichkeit zur Ambivalenz. Dass ich eben nicht der Wahrheit verpflichtet bin, sondern dass ich mich in Felder wagen kann, die uneindeutiger werden. Ich glaube, dass ein Song, bei dem ich das Ziel verfolge, genau eine Aussage zu treffen, nicht gut wird.

A: Beim Schreiben und Musik machen ist der Ausgangspunkt immer mein eigenes Empfinden. Und das ist eben auch politisch geprägt, weil die Dinge aus meiner Umgebung mich bewegen und ich darüber nachdenke und eine Position dazu entwickle.

 

Nicolai hat vorhin davon gesprochen, dass Eure Kunst auf andere vielleicht anders wirkt als Ihr persönlich tickt. Nun seid Ihr beide Schauspieler:innen. Spielt Ihr auf der Bühne als Alle werden fallen auch eine Rolle?

A: Das bin 100 Prozent ich, das ist ganz anders als beim Schauspiel.

N: Bei mir genauso. Schauspielen macht mir großen Spaß und ist auf eine ganz andere Art und Weise erfüllend. Aber was ich an der Musik so liebe, ist, dass ich nicht mehr irgendeinen Fremdtext oder die Vorgabe irgendeiner Regisseurin für den richtigen Haarschnitt zwischen mir und meinem Ausdruck habe. Ich kann das alles selbst gestalten.

A: Was ich einfach merke beim Musikmachen, natürlich vor allem bei Live-Musik, ist diese unmittelbare Verbindung, die ich durch die Musik zu den Leuten herstellen kann.

N: Und auch, wie die Leute darauf reagieren. Im Theater funktioniert ja ganz viel durch diese Regelung: Wir stehen hier oben und erzählen eine Story und alle anderen sitzen da unten im Dunkeln und sind leise. Und hören sich das an und am Ende klatschen sie eben mehr oder weniger laut, je nachdem, wie gut es ihnen gefallen hat. In der Musik reagieren die Leute unmittelbar, nachdem wir den ersten Ton spielen, indem sie eben tanzen oder mitsingen oder es eben lassen und vielleicht sogar rausgehen.

A: Oder reinkommen.

N: Und das wiederum macht ja dann auch wieder was mit dem, wie wir auf der Bühne sind. Das ist so viel dichter und ich krieg so viel mehr mit. Das, was ich mit den Leuten anstelle, stellt auch wieder was mit mir an. Das ist einfach super geil. Das findet im Theater zwar auch statt, aber viel zugekleisterter.

 

Noch die obligatorische Frage zum Abschluss: Was darf man in naher Zukunft von Euch erwarten? Eure EP „Komfort ist keine Freiheit“ ist ja vor ziemlich genau einem Jahr erschienen.

A: Vor Weihnachten gibt’s noch eine EP. Mit vier Tracks. Das ist gerade so der Plan. Auftritte haben wir im Moment nichts Fixes, was wir schon ankündigen könnten. Aber natürlich kann man das alles immer gut mitbekommen auf unserer Instagram-Seite oder auf der Website unseres Labels Zweihorn Records.

 

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