Illustration: Hans-Jörg Brehm

Von der Öffentlichkeit bislang relativ unbemerkt ist in diesem Sommer das AfD-Mitglied Olaf Sigmund im Darmstädter Stadtparlament im wahrsten Sinne des Wortes frei gedreht. In seiner kurzen fraktionslosen Zeit bombardierte er die Stadtverordneten mit 14 Anträgen teils einfach nur haarsträubenden, teils aber auch rassistischen Inhalts. Die AfD steht dabei voll hinter ihm.

Warum genau Olaf Sigmund zum März 2017 die AfD-Fraktion verließ, darüber möchte er im September – kurz nach seinem Wiedereintritt – nicht mehr sprechen. Überhaupt möchte er die Fragen des P-Magazins eigentlich nicht beantworten. Dort sei die AfD als „braune Scheiße“ bezeichnet worden. Schreiben würden wir so etwas allerdings nie. Und haben es auch nicht. Leider erweist sich das, was Sigmund in seinen Anträgen von sich gibt, nicht ebenfalls einfach nur als substanzlos, sondern dazu noch als bösartig und gefährlich.

So fordert er etwa „die Bronzene Verdienstplakette der Stadt Darmstadt für Erika Steinbach“. Die aus der CDU ausgetretene Bundestagsabgeordnete unterstützt mittlerweile die AfD. Als ehemalige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen habe sie sich um Darmstadt verdient gemacht, schreibt Sigmund, kann jedoch auf Nachfrage keine Verdienste Steinbachs für Darmstadt nennen.

Weniger harmlos wird Sigmunds Fantasie jedoch in seinem „Antrag auf einen Beschluss im Fall Asia Bibi sowie gegen Christenfeindlichkeit“. Asia Bibi gehört in Pakistan einer christlichen Minderheit an und wurde dort 2010 wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilt. Sigmund nimmt den Fall zum Anlass „ein Zeichen“ gegen Christenfeindlichkeit in der zentralen Flüchtlingsunterkunft, dem Eberstädter Süden und Darmstädter Schulen setzen zu wollen. In einem anderen Antrag fordert er aus dem gleichen Grund die getrennte Unterbringung christlicher und muslimischer Flüchtlinge.

Allerdings kann er auf Nachfrage keine christenfeindlichen Vorfälle in Darmstadt benennen. Das Muster ist bekannt: Die Lüge so lange wiederholen, bis sie (suggestiv) für wahr gehalten wird. Dazu muss eine tausende Kilometer entfernt wegen ihrer Religion eingesperrte und vom Tode bedrohte Frau herhalten, um einen allgemeinen Vorwurf gegen Muslime in Darmstadt zu konstruieren. Während sich der Vorwurf der Christenfeindlichkeit (in Darmstadt) nicht erhärtet, scheint dafür in Sigmunds Anträgen eine Muslimenfeindlichkeit hervorzutreten.

Sigmund fordert Gedenktafeln für zahlreiche Gewaltopfer. Von Jürgen Schumann, dem Piloten der 1977 entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“ über die 1972 ermordeten Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft bis hin zu den niederländischen Islamkritikern Pim Fortuyn und Theo van Gogh sowie dem französischen Priester Jacques Hamel, haben die Getöteten nur eines gemeinsam: Sigmund schiebt ihre Ermordung dem Islam oder Grün-Linken in die Schuhe und versucht so, sie politisch missbräuchlich auszunutzen.

Das zeigt sich nicht nur im fehlenden lokalen Bezug der Anträge, sondern auch deutlich in ihrer Sprache. So nennt Sigmund die Mörder des französischen Priesters Jacques Hamel schlicht „zwei Muslime“, wobei sie ideologisch deutlich als Islamisten einzustufen sind, oder als das, was sie bei dieser Tat grundsätzlich sind: nämlich Mörder oder Terroristen. So wird der Mörder durch den Muslim ersetzt, und schließlich der Muslim an sich zum Bösen. Auch den Mörder von Theo van Gogh bezeichnet er als „Muslim Mohammed Bouyeri, einen Sohn marokkanischer Einwanderer“. Und der „grün-linke“ Volkert van der Graaf ermordete mit Pim Fortuyn zunächst einen „bekennenden Homosexuellen“. So macht Sigmund sogar das Opfer vom Menschen zum Statthalter einer schutzwürdigen Minderheit, obwohl Fortuyns Homosexualität bei seiner Ermordung wohl weniger eine Rolle gespielt haben dürfte, als dass er Anführer einer islam-kritischen Partei war.

Einen Beleg für van der Graafs Mitgliedschaft in einer grünen oder linken Partei bleibt Sigmund auch auf direkte Nachfrage schuldig. „Das streiten die Parteien natürlich ab.“ In seinem Antrag heißt es dafür: „Viele Gegner der Islamisierung in Deutschland und den Niederlanden sehen in linken Politikern und Kritikern eine direkte Mitschuld an diesem Mord!“

Außerdem erklärt Sigmund sich und seine Fraktionskollegen an dieser Stelle gleich mit zum Opfer. Die Fraktionsmitglieder Thomas Arend und Siegfried Elbert seien „unangenehmer Hetze ausgesetzt“. Bei der Stadtverordnetenversammlung im April 2016 sei sein AfD-Fraktionskollege Artur Pardela von „grünen Unterstützern“ die Treppe heruntergestoßen worden. Und „linke Unterstützer“ hätten bei einer Versammlung der AfD im Justus-Liebig-Haus im September 2016 ausländische Gäste der AfD niedergeschlagen. Die Polizei hat von einem Treppensturz keine Kenntnis und teilt auf Nachfrage mit: „Ansonsten gibt es in Zusammenhang mit den beiden Veranstaltungen Anzeigen sowohl von der AfD als auch gegen diese.“

Schließlich vergleicht sich Sigmund sogar mit den Opfern der Nationalsozialisten: „Diese Respektlosigkeit gegenüber Kommunalpolitikern hatten wir in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts schon einmal!“ Und gleich dreimal heißt es in dem Antrag in großer Schrift zwischen den Absätzen: „Wehret den Anfängen!“

Er selbst sei bei einem Info-Stand der AfD von „Unterstützern der Grünen“ eingekesselt worden. So würde eine Fortuyn-Gedenktafel auch „für die Einführung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit in Darmstadt stehen“. Sigmund vergisst jedoch, dass die Versammlungs- und Meinungsfreiheit ein Schutzrecht gegenüber dem Staat ist. Sich in der Öffentlichkeit die Kritik anderer Bürger anhören zu müssen, ist keine Beschneidung der Meinungsfreiheit, sondern Teil eben dieser.

Warum Sigmund seine Anträge, solange er Fraktionsmitglied war, nicht über die Fraktion gestellt hat, bleibt indes von beiden Seiten unkommentiert. Allerdings erklären die Fraktionsvizen Thomas Arend und Wolfgang Schöhl: „Wir stehen moralisch hinter seinen Anträgen.“

 

100 Prozent männlich, 60 Jahre alt

Seit April 2016 sitzt die AfD in Darmstadt mit 7 von 71 Stadtverordneten im Parlament. Die Fraktion ist ausschließlich männlich besetzt und hat einen Altersdurchschnitt von 60 Jahren (zum Vergleich: Grüne: 46 Jahre, 50 Prozent Frauen / CDU: 64 Jahre, 30 Prozent Frauen / SPD: 52 Jahre, 50 Prozent Frauen / Linke: 49 Jahre, 60 Prozent Frauen).

 

Lokalpolitik-Kolumne im P

Sebastian Weissgerber hat bis 2009 für die Frankfurter Rundschau aus dem Darmstädter Stadtparlament berichtet. Im P schreibt er seit Februar 2017 als „Vierte Säule“ über die hiesige Politik.