Foto: Stefan Holtzem

Das ging im März schneller als gedacht, aber genauso schnell wie erhofft: Der Trainereffekt trat ein! Schon das zweite Spiel unter Dimitrios Grammozis, der 3:2-Sieg gegen ein starkes Holstein Kiel, sah eine überzeugend und selbstbewusst aufspielende Lilienelf. Eine Woche später legte sie mit dem 3:2-Sieg beim HSV eindrucksvoll nach und dominierte anschließend auch Jahn Regensburg. Drei Treffer gingen in diesen Spielen auf das Konto von Marvin Mehlem, der förmlich aufblühte.

Der 15. Februar 2019 dagegen war ganz gewiss kein glanzvoller Tag für den SVD, und irgendwie war er das auch nicht für Marvin Mehlem. An jenem Freitagabend traten die Lilien in Sandhausen an. Der Vierzehnte fuhr zum Sechszehnten. Abstiegskampf pur. Bei einer Niederlage wären die 98er von den Kellerkindern der Tabelle langsam aber sicher aufgesogen worden. Das Spiel begann wie immer in den vorangegangenen Wochen mit einem Rückstand. Und Sandhausen schickte sich an, den Druck zu erhöhen. Doch dann tauchte Mehlem nach einer halben Stunde im Strafraum der Gastgeber auf, legte den Ball am grätschenden Gegenspieler vorbei, und sank anschließend dahin. Elfmeter für den SVD, Tobias Kempe blieb eiskalt, Sandhausen war für den Rest des Spiels der Zahn gezogen. Ein immens wichtiger Punkt, aber irgendwie bot die mitentscheidende Schwalbe durchaus Fremdschämpotenzial.

Verspäteter Shootingstar


Dass es Mehlem gar nicht nötig hat, zu solchen Mitteln zu greifen, sah man in den darauffolgenden Wochen. Er präsentierte sich spielfreudig, torgefährlich und betrieb ordentlich Werbung in eigener Sache. Schon wurden erste Stimmen laut, die ihn auf dem Sprung zu einem Erstligisten sehen. So tickt er, der schnelllebige Fußball, der über die sozialen Medien zusätzlich befeuert wird. Aber: Mit seinen immer noch erst 21 Jahren und rund 60 Zweitligaeinsätzen gerät Mehlem automatisch ins Blickfeld anderer Klubs. Umso mehr, wenn er Spielen seinen Stempel aufdrückt. Und das hat er gegen Kiel und vor allem in Hamburg getan, als zunächst sein Anschlusstreffer den SVD ins Spiel zurückbrachte und sein Last-Minute-Tor den Sieg sicherstellte. Die Partien machten ihn zu einer Art verspätetem Shootingstar beim SVD.

Schwerer Stand unter Schuster …


Der gebürtige Karlsruher scheint jedenfalls der Lilien-Kicker zu sein, der am meisten vom Trainerwechsel profitiert. Das zeigen exemplarisch die Saisonspiele gegen den HSV. Unter Dirk Schuster hätte Mehlem in Hamburg mutmaßlich kein Siegtor geschossen. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte er zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr auf dem Feld gestanden. Der Youngster war bei Schuster stets ein sicherer Kandidat für die Auswechslung. Sofern er überhaupt von Anfang an auf dem Rasen stand. In lediglich 13 von 22 Partien zählte der Kreativspieler beim einstigen Erfolgstrainer zur Startelf. Zweimal schmorte er gar 90 Minuten auf der Bank – unter anderem Anfang Oktober im Hinspiel gegen den HSV. Die Lilien agierten seinerzeit lange wie das Kaninchen vor der Schlange und versuchten spielerische Lösungen gar nicht erst in Betracht zu ziehen. Das sah in den ersten Begegnungen unter Grammozis schon deutlich gefälliger aus. Mit Marvin Mehlem als Fixpunkt in der Offensive. Gegen Kiel und den HSV nominierte ihn das Kicker-Sportmagazin gar zum „Spieler des Spiels“ und stellte ihn jeweils in die Elf des Spieltags.

… aber er blieb dran


Ans Bölle geholt hatte den damals 19-Jährigen im Sommer 2017 Torsten Frings. Der ehemalige Nationalspieler wollte beim SVD mehr Fußball wagen und dabei sollte Mehlem helfen. Man muss schon sehr lange zurückblicken, um einen ähnlich jungen Neuzugang in der SVD-Transferhistorie zu finden. Orrin McKinze Gaines II außen vorlassend, war der letzte Yannick Stark, der im Sommer 2010 leihweise bei den 98ern anheuerte. Was folgte, war der Aufstieg in die 3. Liga. Und auch Stark spielt unter Grammozis wieder spürbar gefälliger als noch unter Schuster. Gemeinsam mit Mehlem leitete er den Umschwung von Hamburg ein. Dafür, dass Mehlem von seinen Anlagen her eigentlich so gar kein Schuster-Spieler war, hatte er sich unter ihm letztlich sogar behauptet. Er wurde im Gegensatz zu manch anderem nicht weggeschickt, und wurde immerhin zu einer Art Stammspieler light.

Die Statistiken sprechen Bände


Dass er aber unter Schuster seine ganze Qualität nicht vollends ins Spiel einbringen konnte, zeigen die jüngsten Statistiken. In den vier Spielen vor dem Trainerwechsel kam Mehlem einmal nur von der Bank, in den drei anderen Begegnungen blieb er vergleichsweise blass. In den ersten vier Partien unter Dimitrios Grammozis spielte er ungleich auffälliger und brachte seine Offensivqualitäten ein. Er schoss unter Grammozis mehr als doppelt so häufig aufs gegnerische Tor und traf dabei dreimal. Da der neue Coach das Lilienspiel weiter nach vorne verschoben hat, ist Mehlem stärker ins Spiel eingebunden als zuvor. Die Anzahl der Ballkontakte nahm folglich spürbar zu. Sie lagen pro Partie immer über 50, während sie dies in Schusters letzten vier Spielen nur einmal waren. Und: Mehlem war unter Grammozis fast doppelt so oft nur durch ein Foul zu stoppen. Dabei fließt die Schwalbe von Sandhausen sogar noch in die „Schuster-Statistik“ als Foul ein. Dann doch lieber ein Marvin Mehlem, der spielerisch derart auftrumpft wie im März unter Grammozis. Bitte einfach weiter so!

 

Saison-Ausklang

So, 05.05.19, 13.30 Uhr: Darmstadt 98 – Union Berlin

So, 12.05.19, 15.30 Uhr: FC Ingolstadt 04 – SV Darmstadt 98

So, 19.05.19, 15.30 Uhr: Darmstadt 98 – FC Erzgebirge Aue

www.sv98.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

www.kickschuh.blog

 

„111 Gründe“-Buch strikes back!

Zuletzt war das Buch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“ vergriffen. Seit Mitte März ist es nun in einer aktualisierten und erweiterten Neuauflage verfügbar. P-Lilien-Kolumnist Matthias Kneifl hat elf Bonusgründe hinzugefügt, die die beiden Bundesliga-Spielzeiten und den letztjährigen Zweitliga-Klassenerhalt unter die Lupe nehmen. Zwei Interviews mit Ex-Lilie Jerôme Gondorf und dem Darmstädter Ironman Patrick Lange zählen ebenfalls zu den neuen Kapiteln. Also: Kopfkino an mit 111, äh 122 Kapiteln über unsere Lilien. Das Buch ist in diversen Darmstädter Buchhandlungen erhältlich.