Foto: Andreas Kelm

Seit Monaten rumort es in der Darmstädter Kultur- und Bandszene: Die Alte Glasbläserei, eine der größten Sammelstellen für Proberäume in der Stadt, muss dichtmachen. Nach der Bekanntgabe der Kündigung im März 2023 – wir haben berichtet – ist Ende September das Mietverhältnis mit dem ZAS (Zweckverband Abfallverwertung Südhessen) offiziell ausgelaufen. Die Zukunft von vielen Darmstädter Bands ist weiterhin ungewiss. Für Irritation sorgt derweil eine Aussage über ein vermeintliches Angebot zur Übernahme des Gebäudes durch die Stadt. Nun meldet sich Stadtkämmerer André Schellenberg, der gleichzeitig auch stellvertretender Vorstandsvorsitzender des ZAS ist, auf P-Nachfrage zu Wort.

„Rettet die Glasi!“, steht auf dem Banner gegenüber der „Glasi“. Etwa 150 Leute haben sich am letzten Septembertag am Sensfelder Weg 8 in der Nordweststadt eingefunden, um gegen die Kündigung der Proberäume zu demonstrieren. Zwischen Redebeiträgen geben Musiker:innen aus der Alten Glasbläserei kleine Konzerte an dem Ort, an dem bis vor kurzem noch circa 25 lokale Bands regelmäßig proben konnten. Der ZAS, der auch Eigentümer des benachbarten Müllheizkraftwerks ist, hatte im Frühjahr aus genehmigungsrechtlichen und brandschutztechnischen Gründen ein Ende der Nutzung als Proberäume erklärt. In einem offenen Brief schildern die Musiker:innen, dass „ein Antrag auf Nutzungsänderung mit den notwendigen baulichen Maßnahmen“ laut eines vom ZAS beauftragten Architekturbüros „einen sechsstelligen Betrag kosten würde“.

Michael Marquardt von der betroffenen Indie-Band Dann Wohl Sophie sieht das kritisch – und ist etwas ratlos: „Da das dazugehörige Gutachten nie veröffentlicht oder die Summe konkretisiert worden ist, lässt sich darüber natürlich nur schlecht konstruktive Politik machen.“ Neben Maria Stockhaus (Die Linke) und Hildegard Förster-Heldmann (Die Grünen) spricht auch er auf der Kundgebung vor der Glasi, beide bekunden ihre Solidarität. Als Reaktion auf die Kündigung befinden sich nun viele betroffene Bands in einer Art Übergangslösung – auch zurück in den Keller des Elternhauses mussten manche. Zudem besteht die Gefahr, dass Bands sich ohne Probemöglichkeit auflösen müssen. Wer etwas Glück hatte, konnte einen Proberaum in der Umgebung ergattern – etwa in Rodgau oder Weiterstadt. „Dadurch verschärft sich das Problem allerdings mittelfristig nur“, erklärt Marquart. „Die Proberäume dort sind ja teilweise auch schon überfüllt. Damit leiden wiederum noch mehr Bands unter der Situation – insbesondere junge Bands, die es so noch schwieriger haben, überhaupt einen Fuß in die Tür zu bekommen.“ Diese verstärkte Konkurrenzsituation sei seiner Meinung nach „einer Stadt mit kulturellem Welterbe nicht würdig“.

Als einen großen Verlust für die Darmstädter Kulturszene sieht diese Entwicklung auch Simon Enders von der Soul-Band Simon & the Diamonds. Er probt mit verschiedenen Bands bereits seit circa 14 Jahren in der Alten Glasbläserei und schwärmt: „Natürlich war das neben der Probemöglichkeit auch einfach ein Begegnungsort für Musiker, für neue Bekanntschaften und für die Organisation von gemeinsamen Konzerten.“ Auch sei die Immobilie im Gewerbegebiet an einem sehr guten Standort gelegen, an dem man niemanden störe und welcher einigermaßen zentral sei. „Es war einfach perfekt. Wir hatten nie einen besseren Proberaum“, erzählt auch Joris Burkholz von der Metalcore-Band Countless Path. Zu ihrem neuen Proberaum in Rodgau müssten sie nun statt mit dem Fahrrad etwa 45 Minuten mit dem Auto fahren. „Wahrscheinlich werden wir auch kaum noch Anbindung zur Darmstädter Kulturszene haben, weil wir einfach nicht mehr vor Ort sind“, meint er. Ein Event mit Live-Musik wie an diesem Kundgebungstag habe man nie veranstaltet, um den ZAS nicht wegen Lärm zu verärgern oder einen Vorwand für eine Kündigung zu geben.

Kritik an Gutachten

„Ich würde mir wünschen, dass die Stadt entweder ein Gegengutachten macht, welches dann auch veröffentlicht werden kann, oder dass sie das bisherige Gutachten offenlegen lässt, damit wir endlich mal eine Sachlage mit konkreten Kosten haben, über die wir sprechen können“, erklärt Burkholz und nimmt Bezug auf die Argumentation, dass das Gutachten schließlich auch gebührenfinanziert in Auftrag gegeben worden sei und somit der Öffentlichkeit zustehe. Anschließend könnte die Stadt prüfen, ob sie die Kosten zumindest teilweise oder über entsprechende Finanzierungsmodelle übernehmen könnte, um weiterhin die Nutzung des Gebäudes für Proberäume zu ermöglichen. „Ein noch besserer Schritt wäre es meiner Meinung nach, die Glasbläserei nicht nur weiterzubetreiben, sondern auch noch weiter auszubauen. Denn auch die Proberäume, die es in Darmstadt gibt, befinden sich in teilweise viel schlechteren Anlagen. Es muss also die Frage geklärt werden, wie die Stadt dabei helfen kann, dass die Glasbläserei ein richtiges Kulturzentrum für Musik wird.“

Zwar stehen die Chancen für solch ein Vorhaben aktuell nicht besonders gut. Doch hat die Fraktion Die Linke am 28. September noch einen Antrag in der Stadtverordnetenversammlung zur Prüfung des Erhalts der Proberäume in dem Gebäude gestellt. Vorangegangen waren neben einer Kleinen Anfrage der Linken im April auch zwei Anträge der Uffbasse-Fraktion im Mai, die neben dem Erhalt der Proberäume vor allem einen zweiten Lösungsansatz verfolgen: die Suche nach alternativen Standorten. Ende Juni legte die Stadt allerdings einen Prüfbericht vor, in dem alle von Uffbasse vorgeschlagenen und im Zugriff der Stadt befindlichen Immobilien als ungeeignet festgestellt wurden. „Wir verstehen, dass es weder für die ZAS noch für die Stadt einfach ist, aufgrund der schwierigen Eigentumsverhältnisse und der Gebührenordnung eine langfristige Nutzung der Alten Glasbläserei sicherzustellen“, erklärt Fraktionsvorsitzende Kerstin Lau. Die Bands sollten jedoch so lange in dem Gebäude geduldet werden, bis für sie eine bessere Alternative gefunden wurde. „Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Bands jetzt unbedingt raus müssen, wenn das Gebäude dann leer steht“, meint sie. Perspektivisch halte man es für erforderlich, dass bei jeder Umbau- und Neubaumaßnahme der Stadt geprüft werden müsse, ob ohne erheblichen Mehraufwand Proberäume zu realisieren seien. Der im Mai dafür eingebrachte Antrag sei ebenfalls parteiübergreifend angenommen worden, erklärt Lau.

Foto: Andreas Kelm

Aufschiebe-Taktik der Stadt?

Einen Lösungsansatz Richtung „Ausweichmöglichkeiten“ sieht Joris Burkholz als den falschen Fokus an. Schließlich gebe es schlichtweg keinen besseren Ort als einen, an dem rund um die Uhr geprobt werden könne und wo es aufgrund des Müllheizkraftwerkes keine Nachbarn gebe, die gestört werden könnten. „Dieser Ansatz ist für mich ein Aufschieben auf die lange Bank mit der Hoffnung, dass in zwei Jahren jede Band schon irgendwas gefunden hat und nicht mehr jammert.“ Doch wie auch immer die Argumente zwischen „Erhalt“ und „Ausweichen“ ausfallen mögen – sie ändern erst einmal wenig an der akuten Situation der Bands nach der Kündigung. So erklärt Michael Marquardt auf der Kundgebung auch, dass man trotz der bisherigen Bemühungen „bis heute keine geeignete Alternative an Proberäumen angeboten bekommen“ habe. Die unterbreiteten Vorschläge seien „wenn überhaupt, nicht in absehbarer Zeit nutzbar“. Auch seien die Gründe für die Kündigung nach wie vor aufgrund der fehlenden Kommunikation nicht nachvollziehbar. Zu dieser angeprangerten Intransparenz kam noch eine Aussage einer ZAS-Mitarbeiterin, die für viel Überraschung und Unverständnis sorgte: Im Gespräch vor Ort am Tag der Kundgebung habe sie erzählt, es habe ein Angebot der ZAS gegenüber der Stadt zur Übernahme der Alten Glasbläserei gegeben. Demnach soll dieses Angebot von CDU-Politiker und Stadtkämmerer André Schellenberg (Dezernat IV, unter anderem: Eigenbetrieb Immobilienmanagement) abgelehnt worden sein.

Auf P-Nachfrage erklärt das Dezernat IV, es habe ein solches Angebot nicht gegeben. „Daher entsprechen derartige Behauptungen der Unwahrheit“, so Schellenberg. Zu keinem Zeitpunkt habe der ZAS in Erwägung gezogen, der Wissenschaftsstadt Darmstadt oder anderen Dritten das Gebäude zu überlassen – weder durch einen Verkauf noch über eine Vermietung. Vielmehr habe man den Beschluss gefasst, es langfristig im Betriebsvermögen zu halten und wegen der „hohen baulichen Mängel und der bauaufsichtsrechtlich nicht genehmigten Nutzung als Proberäume für Bands“ keine weiteren Finanzmittel zur Gebäudeunterhaltung zur Verfügung zu stellen.

Konfrontiert mit dem Gutachten des ZAS entgegnet Schellenberg, dass dieses der Stadt zwar nicht vorliege, es jedoch nach Auskunft der Geschäftsführung keinerlei Aussagen zu der Frage treffe, ob „bauaufsichtsrechtlich – auch nach einer Beseitigung der Mängel – eine Nutzungsänderung für das Gebäude bei der Wissenschaftsstadt Darmstadt erwirkt werden könnte“. Zusammen mit der Beschlusslage über die Zukunft des Gebäudes sei die Frage nach einer Veröffentlichung des Gutachtens deshalb auch irrelevant. Generell stelle das Gelände für den ZAS eine „überaus wertvolle und unverzichtbare potentielle Erweiterungsfläche für das Betriebsgelände des Müllheizkraftwerkes (MHKW) dar“, welches „bereits jetzt durch die vorhandenen technischen Anlagen in hohem Maße beansprucht“ sei und eine große Verdichtung aufweise. Es sei zudem „durchaus möglich – wenn nicht wahrscheinlich“, dass mittelfristig „eine Nutzung des Grundstücks der Alten Glasbläserei als Erweiterung des Betriebsgeländes und der Abbruch des Gebäudebestandes“ erforderlich sei. Die Entscheidung darüber treffe ausschließlich der ZAS, wobei bei der Entscheidungsfindung „allein die Zukunftsfähigkeit und die Betriebssicherheit des MHKW“ im Mittelpunkt stünden. Zudem verweist Schellenberg darauf, dass die Stadt weder eine Stimmenmehrheit in den ZAS-Gremien noch ein Durchgriffsrecht auf den Zweckverband habe.

Verweigerte Schlüsselabgabe

Und wie geht es nun weiter? Manche Bands haben am 30. September ihre Schlüssel zu den Mieträumen abgegeben, manche nicht. Eine Band, die ihre Schlüssel noch behalten hat, ist die von Michael Marquardt. „Wir wollten einfach die Verantwortlichen darauf hinweisen, dass es uns auch noch gibt und es für uns Künstlerinnen und Künstler wirklich eine prekäre Situation ist“, erklärt er. Natürlich wäre es ihnen auch lieber, konstruktiv zu arbeiten. „Aber ich sehe es auch nicht ein, dass wir uns nur rumschubsen lassen.“ Konfrontiert mit der Frage, wie mit Mieter:innen umgegangen werde, die ihre Schlüssel noch nicht abgegeben haben, bat die Entega AG, die als Dienstleister die Geschäfte des ZAS führt und mit der kaufmännischen Abwicklung des Zweckverbands betraut ist, Anfang Oktober um Verständnis, dass „vertragliche Angelegenheiten grundsätzlich vertraulich zu behandeln“ seien.

Fest steht aber wohl, dass der neue Oberbürgermeister (seit Ende Juni 2023: Hanno Benz) und seine neue Kulturreferentin (seit Oktober 2023: Gabriele König) in Darmstadt gleich zu Beginn ihrer Amtszeit ein Thema vorgesetzt bekommen, bei dem ihnen auch weiterhin viele genau auf die Finger schauen werden. Auch eine mögliche Vereinsgründung von hinterbliebenen Bands aus der Alten Glasbläserei steht im Raum. Stadtkämmerer Schellenberg lässt derweil wissen, dass der Eigenbetrieb Immobilienmanagement Darmstadt (IDA) beauftragt sei, alternative Proberäume zu suchen: „Dies wird vom Eigenbetrieb auch mit großem Engagement vorangetrieben. So laufen derzeit Gespräche unter anderem mit den Eigentümern der Hilpertstraße 31 zur Anmietung möglicher Proberäume.“ Bands und Beobachter:innen fragen sich: Wieso nicht früher?

 

Öffentliche Bandprobe vor der Stavo

„Darmstadt braucht Proberäume jetzt!“ fordern die Bands aus der Glasi und kündigen eine öffentliche Bandprobe vor der Stadtverordnetenversammlung an.

Ludwig-Metzger-Platz | Do, 2.11. | 19 Uhr

Aus für die Proberäume in der Glasi – Wo ist der Plan B?