Foto: Cora Trinkaus

Eine Straße am Friedrich-Ebert-Platz im Darmstädter Martinsviertel. Viele alte Häuser der Gründerzeit reihen sich hier aneinander. Durch ein großes Tor gelangen wir in den Innenhof des Hauses. Hier befinden sich Balkone und die Wohnungseingänge. Die hölzerne Treppe knarzt beim Hinaufgehen. Im Treppenhaus ist noch der Charme vergangener Jahre zu spüren. Das viergeschossige, unter Denkmalschutz stehende Haus wurde bereits 1879 erbaut, wie Bewohnerin Gabriella-Mireille Bolz erzählt, die hier seit neun Jahren in einer 70 Quadratmeter großen Drei-Zimmer-Wohnung lebt.

Durch einen glücklichen Zufall landete sie im Martinsviertel – in dem Viertel, in dem sie „schon immer wohnen wollte“. Als sie zufällig eine alte Klassenkameradin traf, die gerade auszog und ihr sagte, dass die Wohnung noch frei sei, ergriff sie spontan die Chance: „Dann ging alles recht schnell. Die Vermieterin war einverstanden und so wurde der Mietvertrag kurzerhand auf einer der Mülltonnen vor dem Haus unterschrieben“, erinnert Gabriella-Mireille sich. Die Wohnungsaufteilung ist noch sehr ursprünglich. So gibt es zum Beispiel nur ein kleines Gäste-WC und kein abgetrenntes Badezimmer. Die Badewanne wurde nachträglich in die Küche eingebaut, wo zuvor die Speisekammer war ein sogenanntes Frankfurter Bad. „Ich habe mich daran gewöhnt. Find‘ es jetzt ganz witzig, dass die Badewanne direkt neben der Spüle steht“, erzählt sie.

Die besondere Einrichtung

Insgesamt ist Gabriella-Mireilles Wohnung sehr farbenfroh eingerichtet: mit allerlei Kuriositäten, Antiquitäten, antiken Möbeln, gesammelten Objekten und Designgegenständen wie die Dürer-Hasen von Ottmar Hörl oder die „Birdy“-Lampe von Ingo Maurer. Jedes ihrer Zimmer hat eine andere Wandfarbe. Die Wände sind geschmückt mit Kunst- und Veranstaltungsplakaten, eigenen Gemälden, alten Fotografien und Gemälden von Verwandten. Ein großes längliches Bild, das ihre Tante Klara zeigt, die von 1956 bis 1965 das bekannte Wiener Café Demel leitete, ziert das Esszimmer. Hier sind jahreszeitenunabhängig auch einige ausgefallene Weihnachtsbaumkugeln zu finden. Die meisten davon am „alternativen Weihnachtsbaum“, der auch schon mal in einer Galerie ausgestellt wurde.

Foto: Cora Trinkaus
Foto: Cora Trinkaus

Die lange Tafel im Esszimmer werde auch gerne für Spiele- oder Kochabende mit Freunden genutzt. Im Esszimmer auf einer Kommode steht eine beachtliche Briefbeschwerersammlung, auf anderen kleinen Schränkchen finden sich selbst hergestellte Puppen – und immer wieder taucht irgendwo ein Schwein auf. Die Kommode im Schlafzimmer dient als Schuhablage. Zudem befindet sich darauf eine Bürstensammlung ihrer Großmutter mit ein paar alten gerahmten Fotografien von ihr. Nahezu jede mögliche freie Fläche auf Möbeln oder an den Wänden ist belegt. Das Auge kann sich nicht sattsehen und entdeckt immer wieder neue kleine Details, die sich an der jeweiligen Stelle so einfügen, als wären sie nur für diesen einen Ort bestimmt. Man könnte fast den Eintruck gewinnen, sich in einem Museum oder Antiquariat zu befinden. Gabriella-Mireilles Tochter Esther scherzte schon, man müsse eigentlich Eintritt ins Museum verlangen beim Betreten dieser Wohnung.

„Ich bin ein Jäger und Sammler und auf jedem Flohmarkt unterwegs“, erzählt die Bewohnerin. Auf einem Flohmarkt fand sie auch die Schaufensterpuppe aus den 50er-Jahren, die neben dem Bücherregal im Wohnzimmer steht. Sie wird von Zeit zu Zeit umdekoriert. Dass Gabriella-Mireille gerne liest, zeigt das üppig bestückte Bücherregal. Bei ihrem letzten Umzug von Eberstadt ins Martinsviertel musste vieles reduziert werden, was ihr nicht leicht fiel, wie sie sagt. Dennoch kamen am Ende 100 Kisten mit in die neue Wohnung, erinnert sie sich.

Foto: Cora Trinkaus
Foto: Cora Trinkaus

Viele Stationen, viel Kreativität

Gabriella-Mireille stammt ursprünglich aus Regensburg, wo sie die ersten Jahre ihrer Kindheit verbrachte. Ihr Vater war Journalist und brachte des Öfteren bekannte Persönlichkeiten wie den Jazzmusiker Chet Baker oder Hildegard Knef für ein Interview mit auf die Wohnzimmercouch. „Hildegard Knef sah einfach toll aus mit ihren fünf Wimpern übereinander“, erinnert sie sich. Ihre Teenager-Zeit verbrachte sie in Darmstadt und gründete bereits dort in ihrer Schule eine Theater-AG, denn „eigentlich wusste ich schon immer, dass ich Schauspielerin werden wollte.“ So ging es nach dem Abi direkt nach München zur Schauspielschule. Dort besuchte sie auch einige Vorlesungen in Theaterwissenschaften an der Universität. Sie wollte nicht nur Theater spielen, sondern den ganzen Theaterbereich kennenlernen, erzählt sie. So führte Gabriella-Mireille im Laufe ihres Lebens auch Regie oder entwarf Kostüme. Neben dem Theater entdeckte sie auch ihre Leidenschaft fürs Malen und Schreiben von Gedichten, Buchrezensionen und Kurzgeschichten.

Nach verschiedenen Stationen und Engagements an Theatern in Deutschland sowie einem Semester Pantomime-Studium in Paris beim berühmten Marcel Marceau zog es sie vor einigen Jahren wieder zurück nach Darmstadt, wo sie auch Theater spielte. Hier waren noch einige aus der alten Clique aus Schulzeiten, erzählt sie.

Foto: Cora Trinkaus

Eine lebendige Nachbarschaft

Auch mit ihrem Wohnumfeld ist Gabriella-Mireille sichtlich glücklich: „Die Leute, die hier wohnen, kennen sich fast alle und man duzt sich.“ Zweimal im Jahr wird von den Nachbarn ein Hoffest veranstaltet – einmal im Frühjahr und einmal im Herbst. Durch Corona sei es in diesem Jahr leider etwas zu kurz gekommen.

Morgens, wenn Gabriella-Mireille ihre Runde durchs Treppenhaus und den Innenhof dreht, kann es schon mal etwas länger dauern. Überall findet sich jemand zum Quatschen, erzählt sie lachend. Abends sitzen die Nachbarn oft auf den in den Innenhof gerichteten Balkonen zusammen und plaudern. „Es ist fast wie eine große WG. Ich bin sehr froh, dass ich hier gelandet bin und fühle mich hier total wohl“, schwärmt sie.

Foto: Cora Trinkaus
Foto: Cora Trinkaus

 

Wie wohnt Darmstadt? Bitte melden!

Möchtest Du Dein besonders schönes, gemütliches oder extravagantes Zuhause mit den Lesern des P Magazins teilen (nur optisch, versteht sich)? Oder kennst Du jemanden, der außergewöhnlich wohnt (was die Einrichtung, den Ort oder die Wohnform betrifft)? Dann schreib uns eine Mail an redaktion@p-verlag.de!