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Foto: Nikolaus Heiss

Schon gewusst? Darmstadt besitzt nicht nur einen, sondern zwei Hochzeitstürme. Der, der oben auf der Mathildenhöhe seinen Mittelfinger frech gen Himmel deutet, ist allen bekannt. Der andere aber ist der Turm, der nach dem Standesamt der perfekte Ort für ein rauschendes Hochzeitsfest ist: der Wasserturm in der Bismarckstraße 179.

Darmstadts Architekturstudenten kennen das „denkmalgeschützte Bauwerk an Brücke und Gleisen“ als kaum zu bewältigendes Motiv für ihre Bleistiftskizzen. Fast unscheinbar steht das anfangs des 20. Jahrhunderts erbaute Gebäude als Eckpfeiler der Darmstädter Weststadt am Ende der Dornheimer Brücke und begrüßt die in den Hauptbahnhof einfahrenden Züge.

Mit der Verbreitung der Eisenbahn in Deutschland ab 1835 waren leistungsfähige Wasserversorgungseinrichtungen vonnöten. Um die Lokomotiven mit Wasser zu befüllen, mussten Wasserkräne von Wassertürmen aus gespeist werden. Das Wasser kam meist aus in Bahnhofnähe angelegten Tiefbrunnen. Georg Barkhausen hieß der Konstrukteur des halbkugelförmigen stählernen Hängebodentanks, der die Holzkonstruktion des Schieferdaches noch heute trägt und deshalb Barkhausen-Behälter genannt wird. Die Kombination aus Wasserhochbehälter und Stellwerk in einem Gebäude ist die architektonische Besonderheit des Turms.

Der Wasserturm am Hauptbahnhof

Der Darmstädter Wasserturm ist der letzte in Deutschland erhaltene dieser Art, von der es insgesamt nur vier gegeben hat. Als teil des Pützer‘schen Hauptbahnhofes wurde der Turm nach Plänen des Mainzer Baurats Friedrich Mettegang in den Jahren 1910 bis 1912 errichtet.

Mit dem Ende der Dampflok-Ära hatte auch der Wasserturm ausgedient und sollte 1978 abgerissen werden. Das Abbruchgerüst stand bereits, als die Darmstädter Bürger darauf aufmerksam wurden und sich für den Erhalt des Gebäudes einsetzten. Der Wasserturm wurde unter Denkmalschutz gestellt und so vor der Abrissbirne bewahrt. Seine Zukunft war jedoch weiterhin ungewiss. nach einem langjährigen Prozess zwischen Bahn und land setzte sich letztendlich und glücklicherweise der Denkmalschutz durch.

Liebe, Kunst & Musik im Wasserturm

Der Musiker, Komponist und Architekt Albrecht Pfohl alias „OBO“ rettete den Wasserturm, indem er ihn 1986 der Bundesbahn abkaufte. Sein Kulturbeitrag sind seitdem die Pflege und der Erhalt dieses Relikts. Die Kosten für die Unterhaltung und Wartung des Turms werden über Vermietung für Festlichkeiten und Veranstaltungen finanziert.  Im Jahr 2003 wurde der Wasserturm mit Unterstützung des Landes Hessen, der Stadt Darmstadt und des Eigentümers saniert und wieder in einen denkmalwürdigen Zustand versetzt. Seitdem ist er aber nicht nur denkmalwürdig, sondern auch besonders festtauglich.

Bis zu 90 Personen können auf den vier Ebenen des Turms essen, tanzen, feiern und musizieren. Es gibt einen Eingangsbereich mit Garderobe und Wcs, eine Cateringebene, ein Stockwerk zum Sitzen und den „hohen Raum“, der sich bestens zum tanzen oder für kleinere live-Acts eignet. Hausherr „OBO“ ist selbst Gitarrist und lädt regelmäßig zu einem seiner facettenreichen Konzerte ein, die – ob andalusisch oder karibisch – wunderbar klingen (www.obo-towermusic.de). Das Dachgeschoss beherbergt unter angesprochenem Hängebodentank das Atelier der Darmstädter Künstlerin Annette Bischoff, deren Kunstwerke das gesamte Innenleben des Turms zieren. Der Darmstädter Wasserturm ist archivierte Industriekultur, Kunstarchiv – und Feierkult.

Hochzeit mit Geocaching

Bei Redaktionsschluss war der 20.10.2010 als einprägsames Datum für eine Hochzeit noch frei. Doch wer sich das mit dem heiraten und den beiden Darmstädter Hochzeitstürmen nochmal genau überlegen muss, der kann in der Zwischenzeit versuchen, den Geocash zu finden, der in der Nähe des Wasserturms versteckt ist:  www.geocaching.com